Das Gesetz zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und zur Regelung reiner Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht, so der offizielle Titel, wurde am 24.06.2021 vom Bundestag beschlossen und einen Tag später vom Bundesrat bestätigt. Es dient der Umsetzung des EU-Winterpakets. Neben den Neuregelungen für reine Wasserstoffnetze werden mit einer entsprechenden Gesetzesänderung die Rechte der Letztverbraucher im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) nochmals erweitert. Die Änderungen betreffen die Produkt- und Tarifgestaltung, einzelne Vertragsinhalte, den Prozess der Vertragsanbahnung und -abwicklung, die Verbrauchsermittlung, die Rechnungsinhalte, Fälligkeitsregelungen und die Stromkennzeichnung.
Im Folgenden geben wir Ihnen einen Überblick über die Änderungen, die den Energievertrieb betreffen.
Tarifgestaltung
Künftig müssen Stromlieferanten, die mehr als 200.000 Kunden beliefern, den Kunden, die ein intelligentes Messsystem installiert haben, dynamische Tarife anbieten und umfassend über die Vor- und Nachteile dieser Tarife und der intelligenten Messsysteme informieren. Die Pflicht wird bis 2025 in zwei Stufen auf Unternehmen ausgedehnt, die mehr als 50.000 Kunden beliefern. In § 3 Nr. 31b EnWG 2021 wird der Begriff der dynamischen Tarife definiert. Das sind Stromlieferverträge, bei denen die Preisschwankungen auf den Spot-Märkten in Intervallen wiedergespiegelt werden, die mindestens den Abrechnungsintervallen des jeweiligen Marktes entsprechen.
Vertragsinhalte
Bisher gelten die Regelungen des § 41 EnWG, die Mindestinhalte für Energielieferverträge definieren, nur für Verträge mit Haushaltskunden. Künftig gelten diese Regelungen für Energielieferverträge mit allen Letztverbrauchern, gleich ob Haushaltskunden, Verbraucher oder Unternehmer.
Neu ist die Verpflichtung in § 41 Abs. 1 Nr. 4 EnWG 2021, wonach im Vertrag ausdrücklich angegeben werden muss, ob der Messstellenbetrieb und die Entgelte dafür im Vertrag enthalten sind, ob es sich also um einen „All-inclusive-Vertrag“ handelt oder nicht.
Neu ist weiterhin, dass ein ausdrücklicher Hinweis im Vertrag enthalten sein muss, ob die Belieferung im Rahmen der Grundversorgung erfolgt oder außerhalb der Grundversorgung.
Künftig müssen in allen Verträgen mit Letztverbrauchern Informationen über die Rechte der Letztverbraucher aufgenommen werden. Nach wie vor haben aber ausschließlich Verbraucher das Recht, die Schlichtungsstelle anzurufen oder den Verbraucherservice der Bundesnetzagentur (BNetzA) in Anspruch zu nehmen.
Neu ist ebenfalls, dass gemäß § 41 Abs. 2 EnWG 2021 nunmehr allen Letztverbrauchern unterschiedliche Zahlungsmöglichkeiten angeboten werden müssen. Die Kosten dieser Zahlungssysteme dürfen die Kosten nicht übersteigen, die dem Energielieferanten tatsächlich für die Nutzung der jeweiligen Zahlungsart entstehen.
Unberührt bleiben die Informationspflichten nach Artikel 246 EGBGB, die ebenfalls nach wie vor nur gegenüber Verbrauchern gelten.
Sonderregelungen für Verträge mit Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung
Auch künftig wird es Sonderregelungen für Verträge mit Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung geben. Künftig bedürfen sowohl der Abschluss von Energielieferverträgen als auch deren Kündigung durch den Energielieferanten der Textform, d.h. Verträge können nicht wirksam nur am Telefon geschlossen werden. Die Kündigung durch den Haushaltskunden bleibt aber weiterhin formfrei möglich. Der Energielieferant muss dem Haushaltskunden dessen Kündigung allerdings innerhalb einer Woche nach Zugang unter Angabe des Vertragsendes in Textform bestätigen.
Neu ist ebenfalls die Regelung in § 41b Abs. 2 EnWG 2021. Sie betrifft die Pflichten des Lieferanten im Vorfeld einer geplanten Versorgungsunterbrechung wegen Nichtzahlung. Bevor der Lieferant eine Versorgungsunterbrechung einleitet, ist er verpflichtet, den Haushaltskunden kostenlos auf etwaige Hilfsangebote, Vorauszahlungssysteme, Energieaudits oder Energieberatungsdienste, Möglichkeiten der Schuldnerberatung und ähnliches hinzuweisen.
Die Pflichten machen es außerordentlich unattraktiv, außerhalb der Grundversorgung Haushaltskunden bei Zahlungsschwierigkeiten die Versorgungsunterbrechung anzudrohen.
Neu ist auch, dass der Haushaltskunde bei Umzug mit einer Frist von sechs Wochen zur außerordentlichen Kündigung des Energieliefervertrages berechtigt ist. Der Lieferant hat die Möglichkeit, dem Kunden die Fortsetzung der Belieferung zu den bisherigen Bedingungen an der neuen Adresse anzubieten. Dazu muss der Kunde in seiner außerordentlichen Kündigung seine künftige Anschrift oder die an der künftigen Entnahmestelle verwendete Identifikationsnummer mitteilen.
Vertragsanbahnung / -abwicklung
Bereits jetzt hat der Lieferant dem Kunden unverzüglich in Textform zu bestätigen, ob und zu welchem Termin er eine vom Kunden gewünschte Belieferung aufnehmen kann. Der Lieferantenwechsel darf maximal drei Wochen betragen. Neu ist, dass ab 2026 der technische Vorgang des Lieferantenwechsels nicht mehr länger als 24 Stunden dauern darf.
Neu ist weiterhin, dass der Lieferant dem Letztverbraucher nach Vertragsschluss, innerhalb angemessener Frist eine leicht verständliche, klar gekennzeichnete Zusammenfassung der wichtigsten Vertragsbedingungen übermitteln muss. Der Kunde soll, so die Gesetzesbegründung, die Möglichkeit bekommen, die wichtigsten Vertragsbedingungen nachvollziehen zu können.
Die Verpflichtung des Lieferanten, Kunden über beabsichtigte Vertrags- oder Preisänderungen zu informieren, wird ebenfalls neu gestaltet. Die Regelung ist in § 41 Abs. 5 EnWG 2021 enthalten. Dadurch, dass § 41 EnWG künftig nicht nur für Haushaltskunden, sondern für alle Letztverbraucher gilt, gilt auch die Verpflichtung zur Information über Preis- und Vertragsänderungen einschließlich des Sonderkündigungsrechts für alle Letztverbraucher und nicht nur für Haushaltskunden.
Die neue Regelung sieht vor, dass über Preisänderungen spätestens zwei Wochen und bei Haushaltskunden spätestens einen Monat vor Eintritt der Änderung zu unterrichten ist. Die Unterrichtung hat „unmittelbar“ unter Hinweis auf Anlass, Voraussetzungen und Umfang der Preisänderungen zu erfolgen.
Nach wie vor kann der Kunde den Vertrag ohne Einhaltung einer Frist zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderungen kündigen.
Die Regelung wirft allerdings einige Fragen auf.
- Bislang war die Regelung auf Verträge mit Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung beschränkt. D. h., dass für Preisänderungen im Rahmen der Grundversorgung ausschließlich die Grundversorgungsverordnung galt. Preisänderungen gegenüber anderen Kunden als Haushaltskunden mussten nicht mit einem Kündigungsrecht verbunden werden.
- Die neue Regelung könnte so verstanden werden, dass Preisänderungen auch im Rahmen der Grundversorgung künftig nur mit individueller Mitteilung an den Kunden und nicht mehr im Wege der öffentlichen Bekanntmachung zulässig sein sollen.
- Die Regelung gilt künftig auch gegenüber Nicht-Haushaltskunden, also gegenüber allen Letztverbrauchern und insbesondere auch Unternehmen. Fraglich ist, ob davon abweichende vertragliche Regelungen insbesondere gegenüber Unternehmern zulässig bleiben.
- Aus der Begründung ergibt sich, dass eine Preisänderung in diesem Sinne nicht vorliegen soll, wenn vertraglich vereinbart ist, dass bestimmte Kostenänderungen automatisch weitergegeben werden. Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass auch gegenüber Verbrauchern sog. „desintegrierte Preismodelle“ zulässig sein können, mit denen Änderungen von Steuern, Abgaben und Umlagen oder Netzentgelten automatisch an den Kunden weitergegeben werden können, ohne dass dem Kunden daraus ein Sonderkündigungsrecht entsteht.
Verbrauchsermittlung / Rechnungs- und Informationszeiträume
In § 40a und 40b EnWG 2021 werden nunmehr die Regelungen für die Verbrauchsermittlung und für Rechnungs- und Informationszeiträume gesondert getroffen.
In § 40a Abs. 1 EnWG 2021 ist geregelt, welche Werte der Energielieferant zur Abrechnung des Verbrauchs heranziehen darf. Das sind zum einen Ablesewerte oder rechtmäßig ermittelte Ersatzwerte, die der Lieferant vom Messstellenbetreiber oder dem Netzbetreiber erhalten hat, und zum anderen Werte, die er selbst durch Ablesung der Messeinrichtung gewonnen hat, oder Werte, die ihm durch Selbstablesung vom Kunden übermittelt wurden.
Neu ist, dass Haushaltskunden im Einzelfall einer Selbstablesung widersprechen dürfen, wenn sie ihnen nicht zumutbar ist. Gemäß der Gesetzesbegründung soll eine Unzumutbarkeit bspw. bei Gebrechlichkeit des Kunden vorliegen.
Eine Schätzung ist erst dann zulässig, wenn der Lieferant keinerlei Möglichkeit hat, tatsächlich abgelesene Messwerte zu erlangen.
Wenn Schätzwerte der Abrechnung zugrunde gelegt werden, müssen diese künftig optisch besonders hervorgehoben sein. Der Lieferant muss darlegen, aus welchem Grund er Schätzwerte zugrunde gelegt hat und welche Faktoren für die Schätzung maßgeblich waren.
In § 40b EnWG 2021 sind Neuregelungen zu Rechnungs- und Informationszeiträumen getroffen. Künftig darf der Abrechnungszeitraum nicht länger als ein Jahr sein. Nach wie vor hat der Lieferant auf Wunsch des Kunden monatliche, viertel- oder halbjährliche Abrechnungen anzubieten. Neu ist, dass dem Kunden auf Wunsch eine elektronische Übermittlung der Rechnung anzubieten ist.
Neu ist weiterhin, dass Kunden, bei denen keine Fernübermittlung der Verbrauchsdaten erfolgt und die sich für eine elektronische Übermittlung entschieden haben, mindestens alle sechs Monate und auf Verlangen sogar alle drei Monate unentgeltlich Abrechnungsinformationen erhalten müssen. Abrechnungsinformationen sind alle Informationen, die auch in einer Rechnung enthalten sind, mit Ausnahme der Zahlungsaufforderung (§ 3 Nr. 1 EnWG 2021).
Kunden, bei denen eine Fernübermittlung der Verbrauchsdaten erfolgt, müssen sogar monatlich Abrechnungsinformationen zur Verfügung gestellt werden. Das kann über das Internet oder „andere geeignete elektronische Medien“ erfolgen.
Schließlich werden Lieferanten verpflichtet, sog. „ergänzende Informationen“ zur Verbrauchhistorie des Kunden dem Kunden selbst oder einem von ihm benannten Dritten zur Verfügung zu stellen. Die ergänzenden Informationen müssen die kumulierten Daten mindestens für die letzten drei Jahre umfassen.
Rechnungsinhalte
Bereits bisher regelt § 40 EnWG sehr ausführlich, welche konkreten Inhalte Rechnungen für Energielieferungen an Letztverbraucher haben müssen. Künftig sollen noch eine ganze Reihe weiterer Informationen hinzukommen.
Neu ist, dass nunmehr nicht nur bei Haushaltskunden, sondern bei allen Kunden der Anfangszählerstand und der Endzählerstand des abgerechneten Zeitraums angegeben werden müssen. Die Regelung dürfte aber nur für Kunden gelten, die nach Standardlastprofilen (SLP) beliefert werden, weil es bei Kunden mit registrierender Leistungsmessung (RLM) keinen Anfangs- und Endzählerstand gibt.
Neu ist weiterhin, dass künftig auch nicht nur bei Haushaltskunden, sondern bei allen Kunden in grafischer Form ein Vergleich des Jahresverbrauchs des Kunden zum Jahresverbrauch von Vergleichskundengruppen dargestellt werden muss. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nicht, wie das bei gewerblichen und industriellen Kunden abgebildet werden soll.
Neu ist weiterhin die Pflicht zur Information über Kontaktstellen zur Beratung in Energieangelegenheiten und die Pflicht, den Kunden auf die Verfügbarkeit und die Möglichkeiten eines Lieferantenwechsels hinzuweisen.
Nach § 41c EnWG 2021 hat die BNetzA künftig sicherzustellen, dass Haushaltskunden und sonstige Verbraucher mit einem Verbrauch von weniger als 100.000 kWh/Jahr unentgeltlichen Zugang zu mindestens einem Preisvergleichsinstrument haben, das die in § 41c Abs. 2 EnWG 2021 im Einzelnen aufgeführten Anforderungen erfüllt. Auch auf dieses Vergleichsinstrument muss der Lieferant in der Rechnung hinweisen.
Weil viele Verbraucher nicht wissen, ob sie im Rahmen der Grundversorgung oder außerhalb der Grundversorgung beliefert werden, muss auch das neben der einschlägigen Produktbezeichnung künftig in der Rechnung enthalten sein.
Künftig muss die Zusammensetzung des Gesamtpreises in der Stromrechnung noch detaillierter aufgeschlüsselt werden. Neben der Konzessionsabgabe, den Netzentgelten und den darin enthaltenen Entgelten für den Messstellenbetrieb müssen künftig die einzelnen Umlagen und Aufschläge sowie bei Gasrechnungen bis zum 31.12.2025 die Kosten für den Erwerb von Emissionszertifikaten nach dem BEHG dargestellt werden.
Fälligkeit
Forderungen aus Energierechnungen sind nach wie vor wie vom Lieferanten angegeben, frühestens allerdings zwei Wochen nach Zugang der Rechnung fällig. Für die Abrechnung und die Auszahlung von Guthaben werden verpflichtende Fristen gesetzt. Die Rechnung muss künftig spätestens sechs Wochen nach Ende des abzurechnenden Zeitraums bzw. nach Beendigung des Lieferverhältnisses zur Verfügung gestellt werden. Guthaben müssen mit der nächsten Abschlagszahlung verrechnet oder binnen zwei Wochen ausgezahlt werden. Guthaben aus einer Abschlussrechnung müssen ebenfalls binnen zwei Wochen ausgezahlt werden. Maßgeblich ist jeweils der Tag der Rechnungsstellung.
Stromkennzeichnung
Im Gesamtenergieträgermix des Unternehmens werden künftig die Strommengen „erneuerbare Energien, finanziert aus der EEG-Umlage“ nicht mehr aufgeführt. Der „EEG-Anteil“ soll künftig nur noch im Produktmix ausgewiesen werden. Der Gesamtversorgermix soll das Beschaffungsverhalten abbilden. Da der Lieferant die EEG-Strommengen nicht beschafft, sollen sie auch im Gesamtversorgermix nicht mehr angegeben werden.
Sonstiges
In § 41d und e EnWG 2021 werden künftig Dienstleistungen außerhalb von Energielieferungen geregelt. Dort sind die Verpflichtungen von Lieferanten und Bilanzkreisverantwortlichen im Hinblick auf Aggregatoren sowie die Eckdaten der Verträge zwischen Aggregatoren und Anlagenbetreibern oder Letztverbrauchern geregelt.
Hinweis: Im Gesetz sind keine Übergangsvorschriften vorgesehen. In der Gesetzesbegründung ist sogar ausdrücklich erwähnt, dass eine Übergangsregelung als nicht angezeigt erachtet wird, weil es sich um die Umsetzung von EU-Richtlinien handelt und das keinen Aufschub dulde. D. h., dass die Änderungen am 27.07.2021 in Kraft getreten sind und umgesetzt werden müssen.