Die Auffassung des EuGH widerspricht der bisherigen Haltung des BFH. Dieser vertrat in seiner bisherigen Rechtsprechung die Auffassung, dass die Angabe der Anschrift, unter der der Unternehmer zwar postalisch erreichbar ist (sog. Briefkastensitz; BFH-Urteil vom 6.4.2016, Az. V R 25/15, DStR 2016, S. 1527, sowie Az. XI R 20/14, DStR 2016, S. 1532), jedoch dort keine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet, den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechnung nicht genügt. Aufgrund von Zweifeln, ob diese Rechtsauffassung im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung steht, legte der BFH dem EuGH diese Frage zur Vorabentscheidung vor.
Mit Urteil vom 15.11.2017 entschied der EuGH nun erfreulicherweise zu Gunsten der Steuerpflichtigen (Rs. C-374/16 und C-375/16, Geissel/Butin). Die Ansicht des BFH, dass der Steuerpflichtige unter der angegebenen Anschrift eine wirtschaftliche Tätigkeit entfalten muss, findet nach Auffassung des EuGH keine Grundlage im Gemeinschaftsrecht und stellt daher eine unzulässige Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug dar. Der Begriff Anschrift ist weit auszulegen, und erfasst damit jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, sofern die Person unter dieser Anschrift postalisch erreichbar ist.
In den Vorlagefällen war auf den streitgegenständlichen Rechnungen entweder der statuarische Sitz des Leistenden oder eine Briefkastenadresse angegeben. In beiden Fällen reichen diese Angaben aus, um den Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug zu berechtigen.
Die Entscheidung des EuGH war längst überfällig, dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass Tätigkeiten unter Verwendung von Informationstechnologien nicht mehr zwingend an einen bestimmten Ort ausgeübt werden. Positiv ist auch, dass der EuGH - wie auch schon in seiner Senatex-Entscheidung - betont, dass einer ordnungsgemäßen Rechnung grundsätzlich nur formelle Bedeutung zukommt, so dass bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug dieser grundsätzlich zu gewähren ist.
Dennoch bleibt es abzuwarten, wie der BFH die Entscheidung des EuGH in den Vorlagefällen umsetzen wird. Insbesondere die Frage, ob der Leistungsempfänger den Nachweis der postalischen Erreichbarkeit führen muss und welche Anstrengungen ihm hierbei zuzumuten sind, wurde durch den EuGH nicht geklärt. Da geschäftliche Kontakte häufig auf rein elektronischem Weg erfolgen, dürfte in vielen Fällen unklar sein, ob die Erreichbarkeit tatsächlich gegeben ist. Jedenfalls die Verwendung der aus dem Handelsregister ersichtlichen Geschäftsanschrift - sowie die Verwendung von Großkunden- oder Postfachanschriften - sollten ohne Restriktionen für den Vorsteuerabzug möglich sein.
Hinweis
Insgesamt hat sich die Position der Steuerpflichtigen durch die Entscheidung des EUGH erheblich verbessert. In Fällen in denen die Finanzverwaltung den Vorsteuerabzug aufgrund angeblich unzureichender Angaben zur Anschrift des Leistungserbringers versagt, sollte daher geprüft werden, ob diese Entscheidung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH angegriffen werden kann.
Da nach wie vor nicht ausdrücklich geklärt ist, ob auch c/o-Anschriften z.B. bei Dienstleistern ausreichend sind, sollten Unternehmer auf den betroffenen Rechnungen zusätzlich ihre statuarische Anschrift angeben (lassen) um Diskussionen mit Kunden und der Finanzverwaltung zu vermeiden.
Auch wenn die EuGH-Entscheidung zur Anschrift des Leistenden erging, sollte diese auch für die Anschrift des Leistungsempfängers gelten. Die Finanzverwaltung führt bereits im UStAE aus, dass es ausreichend ist, anstelle der Anschrift, die Daten eines Postfaches oder einer Großkundenadresse zu verwenden (A 14.5 Abs. 2 S. 3 UStAE). Weitere Informationen hierzu stellen wir Ihnen mit unserem Umsatzsteuer-Impuls im PDF-Format gerne zur Verfügung. Bitte senden Sie uns dazu eine kurze Nachricht an umsatzsteuer@ebnerstolz.de.