Bislang sind in Deutschland Zinszahlungen aus Fremdkapitalfinanzierungen grundsätzlich in voller Höhe steuerlich abzugsfähig, während bei Eigenkapitalfinanzierung kein entsprechender steuermindernder Aufwand anfällt. Dies könnte sich in Zukunft ändern. Als Teil der 2021 veröffentlichten EU-Strategie zur Unternehmensbesteuerung hat die EU-Kommission am 11.05.2022 einen Richtlinienentwurf für einen Freibetrag zur Reduzierung des Verschuldungsgrads von Unternehmen (dept equity bias reduction allowance - DEBRA) vorgelegt. Mit der Abzugsfähigkeit einer fiktiven Eigenkapitalverzinsung und der gleichzeitigen Beschränkung der Abzugsfähigkeit von Zinsen soll eine steuerliche Gleichbehandlung von Eigen- und Fremdkapital erreicht und so Anreize für Unternehmen geschaffen werden, ihre Investitionen künftig weniger durch Fremdkapital, sondern verstärkt durch Eigenkapital zu finanzieren. Der daraus resultierende verringerte Verschuldungsgrad soll dazu beitragen, dass Unternehmen zukünftig widerstandsfähiger gegenüber unvorhergesehenen Veränderungen im Unternehmensumfeld sind und deren Insolvenzrisiko gesenkt wird.
Personeller Anwendungsbereich
Die Richtlinie soll grundsätzlich auf alle Steuerpflichtige, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten körperschaftsteuerpflichtig sind, anzuwenden sein. Damit werden auch in den Mitgliedstaaten belegene Betriebsstätten einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft erfasst.
Freibetrag für Eigenkapitalerhöhungen
Konkret sieht der Vorschlag der EU-Kommission einen steuerlichen Freibetrag auf den Nettoeigenkapitalzuwachs eines Wirtschaftsjahres vor. Dabei versteht die Kommission das Nettoeigenkapital als Eigenkapital verringert um eigene Anteile und Beteiligungen an verbundenen Unternehmen. Der Abzugsbetrag soll anhand der Differenz zwischen dem Nettoeigenkapital am Ende des Wirtschaftsjahres und dem Nettoeigenkapital am Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahres berechnet werden, welcher anschließend mit einem fiktiven Zinssatz multipliziert wird. Der Zinssatz soll sich aus dem zehnjährigen risikofreien Zins zzgl. eines Risikoaufschlags von 1 % bzw. 1,5 % für KMU ergeben.
Beispiel: Die X-GmbH (kein KMU) verfügt zum 31.12.xxx1 über ein Eigenkapital i. H. v. 500.000 Euro. Zum 31.12.xxx2 beträgt des Eigenkapital der Gesellschaft 750.000 Euro. Unter der Annahme eines risikofreien Zinses i. H. v. 2 % (und dem vorgesehenen Risikoaufschlag von 1 %) kann die X-GmbH damit einen Freibetrag i. H. v. 250.000 Euro x 3 % = 7.500 Euro in Anspruch nehmen.
Der sich so ergebende Freibetrag soll für die folgenden zehn Wirtschaftsjahre jeweils von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen werden können. Kann der Freibetrag aufgrund eines unzureichend hohen steuerpflichtigen Gewinns nicht vollständig abgezogen werden, ist ein zeitlich unbegrenzter Vortrag des ungenutzten Betrags möglich.
Zur Vermeidung eines Steuermissbrauchs soll die Abzugsfähigkeit des Freibetrags allerdings auf 30 % des EBITDA des Unternehmens begrenzt werden. Übersteigt der errechnete Freibetrag diesen Höchstbetrag, sollen ungenutzte Freibetragskapazitäten für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren vorgetragen werden können.
Rückgängigmachung bei Eigenkapitalreduzierungen
Verringert sich das Eigenkapital in den Jahren nach der Eigenkapitalerhöhung, soll in den folgenden zehn Wirtschaftsjahren ein entsprechend ermittelter negativer Freibetrag das zu versteuernde Einkommen erhöhen. Gedeckelt ist dies auf die Höhe des zuvor in Anspruch genommenen Freibetrags, so dass die gewährte Begünstigung rückgängig gemacht wird. Dies soll nicht gelten, wenn der Steuerpflichtige nachweisen kann, dass die Reduzierung des Eigenkapitals auf Verlusten oder einer rechtlichen Verpflichtung zur Kapitalverringerung beruht.
Beispiel: Zum 31.12.xxx3 nimmt die X-GmbH eine Kapitalherabsetzung i. H .v. 250.000 Euro vor. Die Herabsetzung führt dazu, dass der X-GmbH im Veranlagungsjahr xxx3 und den folgenden neun Jahren ein Betrag in Höhe der jährlichen fiktiven Verzinsung von 250.000 Euro angerechnet wird. Die Anrechnung erfolgt laut dem vorgesehenen Richtlinientext maximal bis zur zuvor vorgenommenen „Gesamterhöhung des Nettoeigenkapitals“. Somit könnte eine steigende fiktive Verzinsung in den Jahren nach der Kapitalherabsetzung zu einer die vorgehenden Freibeträge übersteigenden Hinzurechnung führen.
Missbrauchs- und Sondervorschriften
Um einen Missbrauch der geplanten Vorschriften zu vermeiden, soll der Freibetrag für ausgewählte Eigenkapitalerhöhungen nicht gewährt werden.
Laut dem Richtlinienentwurf ist davon ein Eigenkapitalzuwachs erfasst, der auf einer konzerninternen Darlehensvergabe oder der Übertragung von Anteilen oder Geschäftsaktivitäten zwischen verbundenen Unternehmen beruht. Auch Bareinlagen einer Person, die in einem Drittstaat ansässig ist, mit denen kein Informationsaustausch vereinbart wurde, sollen nicht begünstigt werden. Abweichend hiervon soll der Freibetrag trotzdem gewährt werden, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass die Eigenkapitalerhöhung aus triftigen wirtschaftlichen Gründen durchgeführt wurde und nicht zu einem doppelten Abzug des Freibetrags führt.
Zudem sieht der Entwurf eine Nichtberücksichtigung von Sacheinlagen und Investitionen in Wirtschaftsgüter, die für die Einkünfte generierende Tätigkeit des Steuerpflichtigen nicht notwendig sind, bei der Ermittlung der für den Freibetrag maßgeblichen Eigenkapitalerhöhung vor.
Für Eigenkapitalerhöhungen aufgrund von Konzernumstrukturierungen möchte die EU-Kommission die Begünstigung insoweit beschränkten, als das Eigenkapital bereits vor der Umstrukturierung in der Unternehmensgruppe bestand und dieses durch die Umstrukturierung lediglich in neues Eigenkapital umgewandelt wird.
Verringerung der Abzugsfähigkeit von Fremdkapitalzinsen
Um den Anreiz, statt durch Fremd- mehr durch Eigenkapital zu finanzieren, zu verstärken, sieht die EU-Kommission eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Nettozinsaufwendungen, also Zinsaufwendungen, die den Betrag der Zinseinnahmen übersteigen, vor. Zukünftig sollen diese Aufwendungen nur noch zu 85 % abzugsfähig sein. Da auch die laut der sog. ATAD-Richtlinie vorgesehene Zinsschrankenregelung eine Beschränkung des Zinsabzugs vorsieht, soll laut dem Richtlinienentwurf ein Vergleich der nach den beiden Vorschriften abzugsfähigen Beträge vorgenommen werden. Abzugsfähig soll dann lediglich der niedrigere Betrag sein. Die Differenz zwischen den beiden Beträgen soll entweder vor-/oder rückgetragen werden können.
Beispiel: Die X-GmbH hat überschüssige Zinsaufwendungen i. H. v. 200.000 Euro. Aufgrund des Richtlinienvorschlags sind davon 85 %, also 170.000 Euro, abziehbar. Der nichtabzugsfähige Betrag beläuft sich damit auf 30.000 Euro. Ist der nichtabzugsfähige Betrag nach der Zinsschrankenregelung höher, bspw. 40.000 Euro, können lediglich die nach dieser Vorschrift abzugsfähigen Zinsaufwendungen i. H. v. 160.000 Euro zum Ansatz gebracht werden. Der zusätzliche nichtabzugsfähige Betrag i. H. v. 10.000 Euro kann nach den Regelungen der ATAD I-Richtlinie vor- bzw. zurückgetragen werden.
Zeitplan
Der Kommissionsentwurf schlägt eine Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten bis zum 31.12.2023 und ein Inkrafttreten der Vorschriften zum 01.01.2024 vor. Zuvor ist die Richtlinie aber noch auf EU-Ebene zu verabschieden. Hierzu fehlen noch die erforderlichen Beschlüsse. Es ist jedoch zu erwarten, dass die im Entwurf vorliegende Richtlinie bis zu einem etwaigen Inkrafttreten noch einige Änderungen durchlaufen wird. Unternehmen sollten jedenfalls die Entwicklungen im Blick behalten, um ggf. ihre Finanzierungstrukturen rechtzeitig anpassen zu können.