Auslaufen der pandemiebedingten grenzüberschreitenden Home-Office-Regelungen
Infolge der Corona-Pandemie arbeiteten zahlreiche Arbeitnehmer vom Home-Office aus. Gerade bei Grenzgängern befand sich das Home-Office dabei nicht in dem Staat, in dem die berufliche Tätigkeit normalerweise ausgeübt wird. Um negative Auswirkungen auf die Besteuerung des Arbeitsentgelts zu vermeiden, hat Deutschland mit verschiedenen Nachbarländern Sonderregelungen getroffen, die zum 30.06.2022 ausgelaufen sind. Für die Bestimmung des anwendbaren Sozialversicherungsrechts gelten laut Empfehlungen der EU-Kommission, denen sich auch Deutschland angeschlossen hat, die Sonderregelungen für Personen, die vorübergehend ihre Tätigkeit von zu Hause ausüben, noch bis zum 31.12.2022 weiter. Diese sehen vor, dass das grenzüberschreitende pandemiebedingte Arbeiten sozialversicherungsrechtlich ignoriert werden darf. Ab dem 01.01.2023 sollen aber die regulären EU-Vorschriften zur grenzüberschreitenden Koordination der Sozialversicherung angewendet werden. Spätestens ab 2023 kommt es somit bei regelmäßiger Arbeit von einem im EU-Ausland befindlichen Wohnsitz schnell zu einem Wechsel des Sozialversicherungsrechts und damit einhergehenden Registrierungs- und Abrechnungspflichten im Ausland.
Vorstoß der EU-Kommission zu sozialversicherungsrechtlichen Regelungen bei Remote-Work über die Grenze
Vor dem Hintergrund, dass Remote-Work und insbesondere das Arbeiten aus dem Home-Office auch zukünftig Teil der Arbeitskultur bleiben wird, hat die EU-Kommission nun eine Empfehlung zur Auslegung der bestehenden sozialversicherungsrechtlichen EU-Vorschriften im Zusammenhang mit sog. grenzüberschreitender Telearbeit veröffentlicht. Darunter ist laut der Empfehlung vom 14.06.2022 Arbeit zu verstehen, die
- außerhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers bzw. der üblichen Tätigkeitsstätte des Arbeitnehmers,
- in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich die Geschäftsräume des Arbeitgebers bzw. der üblichen Tätigkeitsstätte befinden und
- unter Verwendung von Informationstechnologie, um mit dem Arbeitsumfeld des Arbeitgebers sowie Kunden in Verbindung zu bleiben, um die vom Arbeitgeber oder den Kunden zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen, geleistet wird.
Dabei soll es sich um dieselbe Arbeit handeln, die der Arbeitnehmer auch in den Geschäftsräumen des Arbeitgebers ausführen würde.
Für die Bestimmung des anwendbaren Sozialversicherungsrechts ist darauf abzustellen, ob die grenzüberschreitende Tätigkeit regelmäßig oder nur vorübergehend ist.
Regelmäßige grenzüberschreitende Telearbeit
Wird die grenzüberschreitende Telearbeit regelmäßig ausgeführt, z. B. die von Grenzgängern ausgeübte Arbeit aus dem Home-Office, sollen grundsätzlich die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des Mitgliedstaates, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat, anzuwenden sein. Davon ausgenommen sind Fälle, in denen wesentliche Teile der Tätigkeit als Telearbeit ausgeübt werden (Art. 13 VO (EG) Nr. 883/2004). Für die Beurteilung, ob die Telearbeit einen wesentlichen Teil umfasst, verweist die Empfehlung auf Art. 14 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009, wobei die Kriterien flexibel und angemessen auszulegen seien. In der Praxis wird sich dabei an der 25%-Grenze bezogen auf die vereinbarte Arbeitszeit orientiert. Dabei wird ein Prognosezeitraum von 12 Monaten zu Grunde gelegt. Die Empfehlung gestattet den Mitgliedsstaaten bei der Gesamtschau Flexibilität und die Berücksichtigung von Einzelumständen. Eine rein statische Betrachtung anhand einer Einzeltagebetrachtung soll damit verhindert werden. Die Ausgestaltung bleibt abzuwarten.Handlungsempfehlung: Es sollten möglichst klare Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffen und eine Prognose über die zu erwartenden grenzüberschreitenden Arbeitstage festgehalten werden.
Grenzüberschreitende Telearbeit aus vorübergehendem Anlass
Diese neue Form der Arbeitsausübung stellt die Beteiligten hinsichtlich der Bestimmung der anzuwendenden Sozialversicherungsvorschriften vor eine besondere Herausforderung.
Die Klarstellung der EU-Kommission, dass nur vorübergehendes grenzüberschreitendes Arbeiten als Entsendung behandelt werden dürfen, ist daher zu begrüßen. Zuvor war umstritten, ob der Entsendetatbestand bei arbeitnehmerveranlasster Remote-Arbeit im Ausland überhaupt einschlägig sein kann.
Daraus folgt, dass Arbeitnehmer, die grenzüberschreitende Telearbeit vorübergehend ausüben, weiterhin nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des Mitgliedstaates behandelt werden, in dem sie üblicherweise tätig sind, sofern diese Arbeit nicht länger als 24 Monate andauert (Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004). Um zu verdeutlichen, wann eine solche sporadische Telearbeit gegeben ist, listet die Empfehlung einige Beispiele auf. Darunter fällt u. a. auch das Modell der sog. „Workaholiday“ also Fälle, in denen ein Arbeitnehmer im Anschluss an seinen Urlaub am Urlaubsort bleibt und von dort arbeitet.
Handlungsempfehlung: Es empfiehlt sich einen Prozess einzurichten, der eine rechtzeitige Information über solche im Ausland ausgeübte Tätigkeit gestattet, um insbesondere die gebotene Entsendebescheinigung zu beantragen. Die A1-Bescheinigung ist in der Personalakte vorzuhalten und eine Ausfertigung sollte dem Arbeitnehmer zur Verfügung gestellt werden. Damit lassen sich insbesondere im Falle eines Unfalls oder einer Erkrankung Schwierigkeiten mit den Sozialversicherungsträgern verhindern.
Diskussion auch zu steuerlichen Vereinfachungsregelungen
Die Empfehlungen der EU-Kommission gelten lediglich für die sozialversicherungsrechtliche Absicherung der Arbeitnehmer. Aber auch die Diskussionen zu steuerlichen Vereinfachungen im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Remote-Work verstärken sich. So hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss bereits Anfang 2022 in einer Stellungnahme dafür plädiert, die abkommensrechtlichen Regelungen zur Besteuerung von grenzüberschreitend tätigen Telearbeitnehmern zu vereinfachen und in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, einen Arbeitnehmer nur dann zu besteuern, wenn er mehr als 96 Tage pro Kalenderjahr in dem betreffenden Land arbeitet. Diese Empfehlung wurde am 13.07.2022 offiziell freigegeben. Sie entfaltet jedoch keinerlei rechtliche Bindungswirkung. Offen bleibt weiterhin, ob bei regelmäßiger Arbeit von zu Hause eine ertragsteuerliche Betriebsstätte angenommen werden kann. Eine Reihe von Staaten nehmen diese Position ein.Auch auf nationaler Ebene wurden mit der Konsultationsvereinbarung zwischen Deutschland und der Schweiz vom 26.07.2022 bereits erste vereinfachende Maßnahmen getroffen. Demnach sollen Home-Office Tage von Grenzgängern für die Anwendung der Grenzgängerregelung gemäß dem DBA Deutschland - Schweiz unschädlich sein.
Hinweis: Die Empfehlung der EU-Kommission zur Koordination der Sozialversicherungssysteme bei Remote-Work vom 14.06.2022 kann von den Mitgliedstaaten ab dem 01.07.2022 angewendet werden. Diese ist jedoch nicht rechtsbindend, sondern lediglich als Handlungsvorschlag zu verstehen. Wie die Koordination der Sozialversicherung und der Besteuerung des Arbeitsentgelts für Remote-Work zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten aktuell geregelt ist, muss daher stets anhand des konkreten Falls beurteilt werden. Sprechen Sie uns an, wir beraten Sie hierzu gerne.