Hintergrund
Nach den nationalen Steuerbefreiungsvorschriften in § 4 Nr. 21 Buchst. b) UStG werden die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen selbständiger Lehrer an Schulen und Hochschulen von der Umsatzsteuer befreit.
Dies gilt sofern die Unterrichtsleistungen an Hochschulen im Sinne der §§ 1 und 70 des Hochschulrahmengesetzes erbracht werden. Hierunter fallen Universitäten, Pädagogische Hochschulen, Kunsthochschulen, Fachhochschulen sowie sonstige Einrichtungen des Bildungswesens, die nach Landesrecht staatliche Hochschulen sind.
Ferner kann die Steuerbefreiung in Anspruch genommen werden, wenn die Unterrichtsleistung an privaten Schulen und anderen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtungen erbracht wird, wenn diese bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Konkret muss die zuständige Landesbehörde bescheinigen, dass die Bildungseinrichtung auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet.
Ist ein selbständiger Lehrer nicht bei einer solchen Einrichtung als freier Mitarbeiter o. ä. tätig und erbringt seine Unterrichtsleistung nicht im Zuge einer solchen Tätigkeit, kann die Steuerbefreiung demnach nach den nationalen Regelungen nicht in Anspruch genommen werden. Dies betrifft zum Beispiel selbständige Nachhilfelehrer.
Unionsrechtlich beruht die Steuerbefreiung für Privatunterricht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL, mit der der von Privatlehrern erteilte Schul- und Hochschulunterricht von der Mehrwertsteuer befreit wird.
Die unionsrechtliche Vorschrift enthält keine Einschränkung, nach der die Steuerbefreiung für Privatlehrer nur greift, wenn sie für bestimmte Einrichtungen tätig sind.
In der MwStSystRL wird weniger auf die beteiligte Institution, sondern vielmehr auf die Art der erbrachten Leistung, nämlich den Unterricht, der sich auf Inhalte von Schul- oder Hochschulunterricht bezieht, abgestellt.
Hinweis: Die deutsche Sprachfassung der MwStSystRL weicht in diesem Punkt von anderen Sprachfassungen ab. In der deutschen Fassung wird von „Schul- und Hochschulunterricht“ gesprochen, wohingegen die Formulierung in anderen Sprachen mit „Unterrichtseinheiten, die sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen“ zu übersetzen ist (z. B. Englisch „Tuition given privately by teachers and covering school or university education"). Nach diesem Verständnis werden also nicht nur der Schul- und Hochschulunterricht, sondern auch Unterrichtseinheiten, die sich auf Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung beziehen, erfasst.
Bereits seit Längerem wird aus diesen Gründen in Literatur und Rechtsprechung die Meinung vertreten, dass in § 4 Nr. 21 Buchst. b) UStG die unionsrechtlichen Vorgaben zur Steuerbefreiung von Privatunterricht nicht korrekt umgesetzt werden (EuGH-Urteil vom 28.01.2010, Rs. Ingenieurbüro Eulitz GbR, C-473/08, DStR 2010, S. 218; Oelmaier in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 4 Nr. 21 Rn. 8; Korn, DStR 2010, S. 688).
Daher gestattet der BFH, dass sich betroffene Steuerpflichtige unmittelbar auf die unionsrechtlichen Befreiungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und Buchst. j MwStSystRL berufen können (BFH-Urteil vom 24.01.2008, Az. V R 3/05, BStBl. II 2012, S. 267). In diesem Fall entfaltet etwa die Bescheinigung keine materielle Wirkung mehr.
Hinweis: Die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemein- oder berufsbildender Einrichtungen sind gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a) UStG umsatzsteuerbefreit. Auch diese Regelung deckt sich nicht mit dem zugrundeliegenden Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL.
Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland
Die EU-Kommission ist der Ansicht, dass die Bundesrepublik Deutschland ihren Verpflichtungen aus der MwStSystRL nicht nachkommt, indem sie für Leistungen eines selbständigen Lehrers, der privat Unterrichtsleistungen erbringt, den Anspruch auf eine sich aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL ergebende Umsatzsteuerbefreiung verwehrt bzw. hierfür Bescheinigungen als Nachweise verlangt.
Daher hatte die EU-Kommission bereits in der Vergangenheit ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.
Im Rahmen dieses Verfahrens wurde nun eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet. Reagiert die Bundesrepublik nicht innerhalb von zwei Monaten auf die Stellungnahme und ergreift die erforderlichen Maßnahmen, kann die EU-Kommission den EuGH anrufen.
Was bedeutet das für Sie in der Praxis?
Momentan ist noch nicht absehbar, wie Deutschland auf die mit Gründen versehene Stellungnahme reagieren wird. Dementsprechend können auch noch keine Schlussfolgerungen zu den Auswirkungen auf die umsatzsteuerliche Beurteilung der Erteilung von Privatunterricht in den verschiedenen möglichen Konstellationen gezogen werden.
Demnach sollten betroffene Privatlehrer sowie ggf. auch deren Auftraggeber die entsprechenden Umsatzsteuerveranlagungen verfahrensrechtlich offenhalten, um den Fortgang des Vertragsverletzungsverfahrens abzuwarten. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Steuerfreiheit vorteilhaft ist, da sie zugleich auf der Eingangsseite den Vorsteuerabzug des Privatlehrers ausschließt.