Die korrekte Anzeige von Massenentlastungen steht immer wieder im Mittelpunkt von gerichtlichen Streitigkeiten. Denn werden die formalen Anforderungen bei Massenentlastungen nicht erfüllt, können die ausgesprochenen Kündigungen ggf. unwirksam sein. So vertrat das LAG Hessen in seinem (nicht rechtskräftigen) Urteil vom 25.06.2021 (Az. 14 Sa 1225/20) die Auffassung, dass alle Soll-Angaben in einer Massenentlassungsanzeige als Muss-Angaben zu qualifizieren sind (s. dazu ausführlich novus Personal 1. Ausgabe 2022, S. 18). In einem anderen Verfahren hatte das LAG Düsseldorf mit Urteil vom 15.10.2021 (Az. 7 Sa 405/21) das Massenentlassungsverfahren auch auf die verhaltens- und personenbedingte Kündigung von einer Vielzahl von Arbeitsverhältnissen für anwendbar erklärt.
Im aktuellen dritten Fall, einem Revisionsverfahren vor dem BAG (Az. 6 AZR 155/21), wurde zwar das erforderliche Konsultationsverfahren für Massenentlassungen gemäß § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt. Allerdings wurde entgegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen in nationales Recht umsetzt, der zuständigen Agentur für Arbeit keine Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden und an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung übermittelt. In der Folge wurde dann eine Massenentlassungsanzeige erstattet, deren Eingang die Agentur für Arbeit bestätigte. Nachfolgend wurde dem Arbeitnehmer gekündigt.
Mit seiner Klage machte der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Kündigung geltend. Er führte aus, dass es sich bei der unterbliebenen Übermittlung der Abschrift über das Konsultationsverfahren nicht nur um eine sanktionslose Nebenpflicht, sondern um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung handele. Die Übermittlungspflicht solle sicherstellen, dass die Agentur für Arbeit so früh wie möglich Kenntnis von den bevorstehenden Entlassungen erhalte, um ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Sie habe arbeitnehmerschützenden Charakter. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das BAG legte die Frage dem EuGH vor, der nun klären soll, welchem Schutzzweck diese Übermittlungspflicht dient. Hiervon hängt laut BAG zudem ab, ob § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der unionsrechtskonform in gleicher Weise wie Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie auszulegen ist, ebenso wie andere, den Arbeitnehmerschutz zumindest auch bezweckende Vorschriften im Massenentlassungsverfahren als Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB anzusehen ist. In diesem Fall wäre die Kündigung unwirksam.
Hinweis: Betroffene Arbeitgeber sollten bis zur Entscheidung des EuGH unbedingt die formalen Vorgaben des Massenentlassungsverfahrens und die dazu bestehende LAG-Rechtsprechung einhalten. Es wird mindestens ein Jahr dauern, bis der EuGH über die Vorlagefrage entscheidet.