Hintergrund der Entscheidung
Der EuGH entschied aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des BFH, dass einer Führungsholding kein Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen, die als Gesellschafterbeitrag an eine nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Tochtergesellschaft weitergegeben werden, zusteht (EuGH-Urteil vom 08.09.2022, Rs. C-98/21, Finanzamt R gegen W GmbH).
Die Klägerin (Holdinggesellschaft W-GmbH) bezog Architekten- und Planungsleistungen, die sie jedoch nicht für ihre eigenen steuerpflichtigen Ausgangsleistungen verwendete, sondern in ihre Tochtergesellschaft als Gesellschafterbeitrag einlegte. Bei Direktbezug durch die Tochtergesellschaft wäre der Vorsteuerabzug ausgeschlossen gewesen, weil die Leistungen auf Ebene der Tochtergesellschaft in steuerfreie Grundstücksumsätze eingingen. Neben den unentgeltlichen Gesellschafterbeiträgen erbrachte die Holding entgeltliche Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen an die Tochtergesellschaft.
Hinweis: Die Gesellschafterbeiträge führten auf Ebene der Holding nicht zu einer Versteuerung als unentgeltliche Wertabgabe, da Gegenstand der Sachleistungen reine Dienstleistungen (Werkleistungen) und keine Einlage körperlicher Gegenstände bspw. in Form von Werklieferungen waren. Während die unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstandes (unentgeltliche Lieferungen) unabhängig von der betrieblichen Verwendung zu einer unentgeltlichen Wertabgabenversteuerung führt, tritt diese Rechtsfolge bei Sachleistungen (unentgeltlichen Dienstleistungen) nur beim Vorliegen außerbetrieblicher Gründe ein.
Erstinstanzlich bejahte das FG Niedersachsen (Urteil vom 10.04.2018, Az. 5 K 285/16, EFG 2019, S. 653) das Recht auf Vorsteuerabzug unter Verweis auf die EuGH Rechtsprechung zum Vorsteuerabzugsrecht einer Führungsholding. Aufgrund der entgeltlichen Buchführungs- und Geschäftsführungsleitungen, die die Holding an ihre Tochtergesellschaft erbrachte, sei diese grundsätzlich zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des EuGH, wonach Sachleistungen, die dem Einwerben von Geldmitteln dienten, welche in Beteiligungen eingelegt wurden, der unternehmerischen Tätigkeit der Holding zuzurechnen seien. Darüber hinaus verneinte das FG das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs i. S. d. § 42 AO. Im Streitfall lagen gut dokumentierte außerunternehmerische Gründe für die Gesellschaftsstruktur vor.
Der BFH (BFH-Beschluss vom 23.09.2020, Az. XI R 22/18, DStR 2021, S. 346) zweifelte hingegen an der Vorsteuerabzugsberechtigung der Holding und wandte sich hierzu mit zwei Vorlagenfragen an den EuGH. Es sei fraglich, ob ein Leistungsbezug für das (eigene) Unternehmen der Holding vorläge oder nicht vielmehr ein Leistungsbezug für das Unternehmen ihrer Tochtergesellschaften anzunehmen wäre. Hinzu käme, dass die bezogenen Eingangsleistungen auf Ebene der Tochtergesellschaften im Streitfall im Zusammenhang mit steuerfreien Umsätzen gestanden haben. Sollte der EuGH die erste Frage und damit den Vorsteuerabzug der Holding aus den bezogenen Eingangsleistungen bejahen, legte er ihm als zweite Frage vor, ob die Zwischenschaltung der Holding zur Erlangung eines an sich nicht zulässigen Vorsteuerabzugs rechtmissbräuchlich wäre und damit zur Versagung des Vorsteuerabzugs führen würde.
Kernaussagen der EuGH-Entscheidung
Zusammenfassend verneint der EuGH in seinem Urteil vom 08.09.2022 den Vorsteuerabzug bereits im Rahmen der ersten Frage, weil
- erstens die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holdinggesellschaft, sondern mit den weitgehend steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen,
- zweitens diese Eingangsleistungen keinen Eingang in den Preis der an die Tochtergesellschaften erbrachten steuerpflichtigen Umsätze finden und
- drittens diese Leistungen nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holdinggesellschaft gehören.
Damit konkretisiert der EuGH im Rahmen dieser Entscheidung die Anforderungen an den Vorsteuerabzug einer Holdinggesellschaft.
EuGH konkretisiert die weiteren Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug einer Holding
Laut EuGH gehe aus Art. 168 lit. a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie hervor, dass das Recht auf Vorsteuerabzug an zwei Voraussetzungen geknüpft sei:
- erstens müsse der Betroffene ein Steuerpflichtiger (i.e. Unternehmer) sein und
- zweitens müssen die zur Begründung dieses Rechts bezogenen Gegenstände oder Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden.
Die Unternehmereigenschaft und damit die erste Voraussetzung bejahte der EuGH im Streitfall aufgrund der entgeltlichen Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen.
Hinweis: Lange Zeit war umstritten, welche Eingriffsqualität die Leistungen der Holding an ihre Tochtergesellschaften voraussetzen, um deren Unternehmereigenschaft zu begründen. Gemäß der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des EuGH genügt hierfür jede Art von Tätigkeit, die eine nachhaltige Tätigkeit im Sinne der Mehrwertsteuersystemrichtlinie darstellt. Zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten einer Holdinggesellschaft zählen z. B. das Erbringen von administrativen, finanziellen, kaufmännischen und technischen Dienstleistungen (vgl. EuGH-Urteil vom 16.07.2015, Rs. C‑108/14 und C‑109/14, Larentia + Minerva mbH & Co. KG und Marenave Schiffahrts AG, DStR 2015, S. 1673) oder auch die Vermietung von Grundstücken (vgl. EuGH-Urteil vom 05.07.2018, Rs. C‑320/17, Marle Participations SARL, MwStR 2018, S. 753).
Im Folgenden konkretisiert der EuGH die weitere Voraussetzung für das Vorsteuerabzugsrecht einer Holding, wonach neben der Unternehmereigenschaft grundsätzlich ein Bezug für das eigene Unternehmen erforderlich ist:
- Grundsätzlich ist das Vorsteuerabzugsrecht dann gegeben, wenn die bezogenen Liefer- oder Leistungselemente unmittelbar in einen oder mehrere, den Vorsteuerabzug nicht ausschließende Ausgangsumsätze des Unternehmens eingehen.
- Fehlt der direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangsumsätzen des Unternehmens, besteht jedoch ebenfalls ein Recht auf Vorsteuerabzug, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören. Diese allgemeinen Aufwendungen müssen dann Kostenelemente der von dem Steuerpflichtigen gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sein (vgl. EuGH-Urteil vom 12.11.2020, Rs. C‑42/19, Sonaecom SGPS SA, DStR 2020, S. 2602).
Beides traf im Urteilsfall nach Auffassung des EuGH nicht zu. Denn im Urteilsfall brachte die Holdinggesellschaft eingekaufte Architektur- und Planungsleistungen in die Tochtergesellschaft (unentgeltlich) ein, um ihren Verpflichtungen in Bezug auf Gesellschafterbeiträge nachzukommen. Damit konnte diese weder Gegenstand der entgeltlichen Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen noch anderer entgeltlicher Umsätze der Holding sein.
EuGH schärft Anforderung an den Bezug für das eigene Unternehmen
Die bezogenen Eingangsleistungen gehörten auch nicht zu den Allgemeinaufwendungen der Holding, da diese im vorliegenden Fall explizit zur Erfüllung der Verpflichtung in Bezug auf Gesellschafterbeiträge gegenüber ihren Tochtergesellschaften bezogen wurden. Ein solcher Beitrag einer Holding gehöre zum Halten von Gesellschaftsanteilen und begründe keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Die Regelung des Vorsteuerabzugs zielt nur darauf ab, dass Unternehmer vollständig von der im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Dementsprechend bestehe kein Recht auf Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit Ausgaben, die mit Umsätzen von Dritten zusammenhängen.
Maßgeblich für die Prüfung des Zusammenhangs mit Umsätzen ist der objektive Inhalt der Umsätze
Aufgrund des unmittelbaren Bezugs für steuerfreie Leistungen der Tochtergesellschaft habe der objektive Inhalt der Transaktion offenbart, dass im vorliegenden Fall kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Kosten der von der Holding bezogenen Dienstleitungen zu ihrer (eigenen) wirtschaftlichen Tätigkeit bestand - so der EuGH.
Was bedeutet das für Sie in der Praxis?
Grundsätzlich bestätigt der EuGH die bisher durch ihn aufgestellten Grundsätze zum Vorsteuerabzugsrecht einer Führungsholding. Ein Vorsteuerabzugsrecht aus Allgemeinaufwendungen ist grundsätzlich gegeben, da insoweit ein Bezug für die wirtschaftliche Tätigkeit und damit eine Berücksichtigung in den Kostenelementen der Holding unterstellt wird. Einschränkungen bestehen beispielsweise dann, wenn die Holding auch steuerfreie Umsätze (u. a. im Zusammenhang mit Darlehensgewährungen) tätigt.
Allerdings ist nunmehr auch bei einer reinen Führungsholding ein Leistungsbezug für den außerunternehmerischen Bereich mit Beschränkungen beim Vorsteuerabzug denkbar, zumindest dann, wenn - wie dieser außergewöhnliche Fall gezeigt hat - die Leistungsbezüge unmittelbar für schädliche Ausgangsumsätze der Tochtergesellschaften bestimmt sind.
Hinweis: Generell sollten Holdinggesellschaften bei Leistungsbezug den Konnex zur eigenen unternehmerischen Tätigkeit - wie bisher - ausreichend dokumentieren. Hierbei gilt es fortan den durch den EuGH aufgezeigten Rahmen zu beachten. Die Möglichkeit entgeltlicher Leistungserbringungen sollte eruiert und - soweit möglich - implementiert werden.
Die Folgeentscheidung des BFH steht noch aus. Falls der BFH die durch den EuGH aufgezeigten Grundsätze bestätigt, sollten Unternehmen, die von der dem Urteil zugrundeliegenden (nicht alltäglichen) Gestaltungsoption Gebrauch gemacht haben, mit einem steuerlichen Berater abstimmen, ob weiterer Handlungsbedarf besteht.