Im Streitfall erwarb eine GmbH eine Immobilie mit einem Verkehrswert von etwa 16 Mio. Euro. Hierbei handelte es sich um das gesamte Vermögen der GmbH. Drei Jahre später stimmte die Mehrheitsgesellschafterin in einer Gesellschafterversammlung gegen die Minderheitsgesellschafterin für die Abberufung des GmbH-Geschäftsführers. Die Wirksamkeit dieses Beschlusses wurde sowohl vom GmbH-Geschäftsführer als auch von der Minderheitsgesellschafterin bezweifelt. Zwei Tage nach dieser Versammlung verkaufte die GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer, das Grundstück für 12,2 Mio. Euro an einen Käufer. Die klagende Grundstücksverkäuferin verlangte die Löschung der Auflassungsvormerkung zugunsten des Käufers. Dieser wusste zwar, dass der Geschäftsführer abberufen worden war; er kannte auch die Zweifel zur Wirksamkeit der Abberufung.
Gemäß Urteil des BGH vom 09.01.2024 (Az. II ZR 220/22) war der Geschäftsführer wegen des wirksamen Widerrufs seiner Bestellung als Geschäftsführer auf der Gesellschafterversammlung tatsächlich nicht mehr befugt, den Verkauf des Grundstücks durchzuführen. Der Käufer hatte jedoch nur Kenntnis vom Abberufungsbeschluss und den Zweifeln an dessen Wirksamkeit, weswegen sich die klagende Grundstücksverkäuferin so behandeln lassen musste, als habe die Vertretungsmacht ihres Geschäftsführers beim Vertragsschluss noch fortbestanden, obwohl dies tatsächlich nicht mehr der Fall war.
Hinweis: Ein Geschäftsgegner kann im Fall eines Missbrauchs der Vertretungsmacht aus einem formal durch die Vertretungsmacht gedeckten Geschäft keine vertraglichen Rechte herleiten. Diese Grundsätze gelten auch im Anwendungsbereich des Rechtsscheintatbestands des § 15 Abs. 1 HGB. Da beim Grundstückskaufvertrag offensichtlich das gesamte Vermögen der GmbH veräußert werden sollte, bedurfte es hierfür eines Gesellschafterbeschlusses.