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Fehlender Abgleich von übermittelten und erklärten Beträgen ist kein lediglich mechanisches Versehen

FG Köln 14.3.2016, 5 K 1920/14

Ein vom Ver­an­la­gungs­be­am­ten nicht durch­geführ­ter Ab­gleich von über­mit­tel­ten und erklärten Beträgen ist kein le­dig­lich me­cha­ni­sches Ver­se­hen i.S.v. § 129 AO. Es liegt viel­mehr ein Feh­ler bei der Sach­ver­halts­er­mitt­lung vor, da der Ver­an­la­gungs­be­amte bei ih­rer Vor­ge­hens­weise be­wusst und ge­wollt in Kauf ge­nom­men hat, dass ggf. ein un­zu­tref­fen­der Sach­ver­halt der Ver­an­la­gung zu­grunde ge­legt wird.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläger sind zu­sam­men­ver­an­lagte Ehe­gat­ten. Die Kläger reich­ten die Ein­kom­men­steu­er­erklärung für das Streit­jahr 2011 in Ma­schi­nen­schrift zu­sam­men mit Be­le­gen beim Fi­nanz­amt ein. Die Kläge­rin erklärte in der An­lage N den Brut­to­ar­beits­lohn mit rd. 25.500 €, die Lohn­steuer mit rd. 5.300 € und den So­li­da­ritätszu­schlag mit 280 €. Außer­dem erklärte die Kläge­rin in der An­lage Vor­sor­ge­auf­wand "Ar­beit­neh­mer­beiträge zu Kran­ken­ver­si­che­run­gen lt. Nr. 25 der Lohn­steu­er­be­schei­ni­gung" i.H.v. rd. 2.100 € und "Ar­beit­neh­mer­beiträge zu so­zia­len Pfle­ge­ver­si­che­run­gen lt. Nr. 26 der Lohn­steu­er­be­schei­ni­gung" i.H.v. rd. 270 €.

In dem Ein­kom­men­steu­er­be­scheid vom 10.7.2012 wurde bei den Einkünf­ten der Kläge­rin aus nicht­selbständi­ger Tätig­keit ein Brut­to­ar­beits­lohn von rd. 13.300 €, ein Lohn­steu­er­ab­zug vom Lohn der Kläge­rin i.H.v. rd. 2.900 €, ein So­li­da­ritätszu­schlags­ab­zug i.H.v. rd. 1506 €, Beiträge zur Kran­ken­ver­si­che­rung der Kläge­rin i.H.v. rd. 1.100 € und Beiträge zur Pfle­ge­ver­si­che­rung der Kläge­rin i.H.v. rd. 150 € berück­sich­tigt. Der Ein­kom­men­steu­er­be­scheid wurde nicht an­ge­foch­ten und da­mit be­standskräftig. Im No­vem­ber 2013 stellte das Fi­nanz­amt fest, dass seit dem 22.8.2012 Lohn­da­ten aus dem Be­schäfti­gungs­verhält­nis der Kläge­rin bei der Firma A-GmbH beim Fi­nanz­amt vor­lie­gen, die in dem Be­scheid nicht berück­sich­tigt wor­den wa­ren. Diese Da­ten sum­mie­ren sich mit den in dem Steu­er­be­scheid berück­sich­tig­ten Da­ten - aus dem Be­schäfti­gungs­verhält­nis bei der Firma B-GmbH - auf die Beträge, die die Kläge­rin in der Steu­er­erklärung an­ge­ge­ben hatte.

Das Fi­nanz­amt änderte dar­auf­hin ent­spre­chend die Steu­er­fest­set­zung mit Be­scheid vom 9.12.2013 nach § 173 S. 1 Nr. 1 AO. Grund­lage für die Ände­rung seien die vom Ar­beit­ge­ber (A-GmbH) dem Be­klag­ten nach Ver­an­la­gung über­mit­tel­ten geänder­ten Lohn­steu­er­be­schei­ni­gungs­da­ten. Hier­ge­gen wen­den sich die Kläger mit ih­rer Klage. Sie sind der An­sicht, dass we­der die Vor­aus­set­zun­gen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO noch die nach § 129 AO vorlägen. Es han­dele sich bei der feh­ler­haf­ten Lohn­da­tenüber­tra­gung nicht um einen Über­tra­gungs- bzw. Über­mitt­lungs­feh­ler, der die Ände­rung nach § 129 AO ermögli­chen würde. Viel­mehr han­dele es sich um einen Be­ar­bei­tungs­feh­ler des Fi­nanz­amts, der nicht auf ihre Kos­ten be­ho­ben wer­den dürfe.

Das FG gab der Klage statt. Die Re­vi­sion zum BFH wurde we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung der Rechts­sa­che zu­ge­las­sen. Sie wird dort un­ter dem Az. VI R 41/16 geführt.

Die Gründe:
Das Fi­nanz­amt war man­gels Be­kannt­wer­dens neuer Tat­sa­chen nicht be­rech­tigt, den Ein­kom­men­steu­er­be­scheid 2011 gem. § 173 Abs. 1 AO zu ändern. Das Fi­nanz­amt kann eine Ände­rung auch nicht auf § 129 S. 1 AO stützen.

Nach § 129 AO kann die Fi­nanz­behörde Schreib­feh­ler, Re­chen­feh­ler und ähn­li­che of­fen­bare Un­rich­tig­kei­ten, die beim Er­lass ei­nes Ver­wal­tungs­ak­tes un­ter­lau­fen sind, je­der­zeit - in­ner­halb der Verjährungs­frist - be­rich­ti­gen. Das setzt grundsätz­lich vor­aus, dass der Feh­ler in der Sphäre der den Ver­wal­tungs­akt er­las­sen­den Fi­nanz­behörde ent­stan­den ist. Of­fen­bar ist eine Un­rich­tig­keit, wenn der Feh­ler bei Of­fen­le­gung des Sach­ver­halts für je­den un­vor­ein­ge­nom­me­nen Drit­ten klar und deut­lich als of­fen­bare Un­rich­tig­keit er­kenn­bar ist. Das Tat­be­stands­merk­mal "ähn­li­che of­fen­bare Un­rich­tig­kei­ten" setzt vor­aus, dass die Un­rich­tig­keit einem Schreib- oder Re­chen­feh­ler ähn­lich ist, d.h. dass es sich um einen "me­cha­ni­schen" Feh­ler han­delt, der ebenso "me­cha­ni­sch", also ohne wei­tere Prüfung, er­kannt und be­rich­tigt wer­den kann.

Ist die mehr als theo­re­ti­sche Möglich­keit ei­nes Rechts­irr­tums ge­ge­ben, liegt keine of­fen­bare Un­rich­tig­keit vor. Auch eine aus recht­li­chen oder tatsäch­li­chen Gründen er­for­der­li­che, vom Sach­be­ar­bei­ter - ggf. un­ter Ver­let­zung der Amts­er­mitt­lungs­pflicht - je­doch un­ter­las­sene Sach­ver­halts­er­mitt­lung ist kein me­cha­ni­sches Ver­se­hen. Ob ein me­cha­ni­sches Ver­se­hen oder ein die Be­rich­ti­gung nach § 129 AO aus­schließender Tat­sa­chen- oder Rechts­irr­tum vor­liegt, ist je­weils nach den Verhält­nis­sen des Ein­zel­falls zu be­ur­tei­len. Bei der im Streit­fall - un­geprüften - Über­nahme/Bei­stel­lung der nicht vollständig über­mit­tel­ten Lohn­steu­er­da­ten in das Ver­an­la­gungs­pro­gramm han­delt es sich we­der um einen Schreib­feh­ler oder Re­chen­feh­ler noch um einen ähn­lich of­fen­ba­ren Feh­ler.

Die Kläger ha­ben in ih­rer Steu­er­erklärung den Ar­beits­lohn, den Lohn­steu­er­ab­zug, den ein­be­hal­te­nen So­li­da­ritätszu­schlag, die Beiträge zur Al­ters­vor­sorge und die Beiträge zur ge­setz­li­chen Kran­ken- und Pfle­ge­ver­si­che­rung der Kläge­rin vollständig und rich­tig an­ge­ge­ben. Die Zeu­gin R hat bei der Ver­an­la­gung diese An­ga­ben aus der Erklärung je­doch nicht in das Ver­an­la­gungs­pro­gramm über­tra­gen, son­dern die vom Ar­beit­ge­ber elek­tro­ni­sch über­mit­tel­ten Werte bei­stel­len las­sen. Einen Ab­gleich zwi­schen den vom Ar­beit­ge­ber über­mit­tel­ten und ins Ver­an­la­gungs­pro­gramm über­nom­me­nen Wer­ten und den erklärten Wer­ten hat sie nur bei den Beiträgen zur ge­setz­li­chen Kran­ken- und Pfle­ge­ver­si­che­rung ge­macht, weil in die­sem Be­reich die tatsäch­li­chen Auf­wen­dun­gen von den über­mit­tel­ten Beträgen auf­grund von pri­va­ten Kran­ken- bzw. Zu­satz­ver­si­che­run­gen, von de­nen der Ar­beit­ge­ber in der Re­gel keine Kennt­nis hat, ge­le­gent­lich ab­wei­chen können. Bei den übri­gen Wer­ten hat sie des­halb kei­nen Ab­gleich vor­ge­nom­men, weil sie dar­auf ver­traut hat, dass diese - wie im Re­gel­fall - zu­tref­fend und vollständig über­mit­telt wor­den wa­ren.

Hätte sie die Werte aus der Erklärung in die ent­spre­chen­den Ein­ga­be­fel­der ein­ge­ge­ben, wären ihr die Ab­wei­chun­gen auf­ge­fal­len und es hätte sich für sie Aufklärungs­be­darf er­ge­ben. Selbst wenn ihr bei ei­ner Ein­gabe die Ab­wei­chun­gen noch nicht auf­ge­fal­len wären, hätte zu­min­dest das Ver­an­la­gungs­pro­gramm die Ab­wei­chun­gen von den über­mit­tel­ten Wer­ten er­kannt und einen ent­spre­chen­den Hin­weis aus­ge­ge­ben, was dann zu ei­ner Überprüfung und wei­te­ren Sach­ver­halts­aufklärung hätte führen müssen. Bei ei­ner der­ar­ti­gen Ver­an­la­gung ohne Ab­gleich der über­mit­tel­ten und der erklärten An­ga­ben bzw. ohne Ein­gabe der Werte aus der Erklärung liegt kein Feh­ler vor, der le­dig­lich auf einem me­cha­ni­schen Ver­se­hen be­ruht. Es liegt viel­mehr ein Feh­ler bei der Sach­ver­halts­er­mitt­lung vor, da die Ver­an­la­gungs­be­am­tin bei ih­rer Vor­ge­hens­weise be­wusst und ge­wollt in Kauf ge­nom­men hat, dass ggf. ein un­zu­tref­fen­der Sach­ver­halt der Ver­an­la­gung zu­grunde ge­legt wird. Eine Ände­rung der feh­ler­haf­ten Ver­an­la­gung nach § 129 S. 1 AO kam da­her nicht in Be­tracht.

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