Der Sachverhalt:
Die Kläger sind zusammenveranlagte Ehegatten. Die Kläger reichten die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2011 in Maschinenschrift zusammen mit Belegen beim Finanzamt ein. Die Klägerin erklärte in der Anlage N den Bruttoarbeitslohn mit rd. 25.500 €, die Lohnsteuer mit rd. 5.300 € und den Solidaritätszuschlag mit 280 €. Außerdem erklärte die Klägerin in der Anlage Vorsorgeaufwand "Arbeitnehmerbeiträge zu Krankenversicherungen lt. Nr. 25 der Lohnsteuerbescheinigung" i.H.v. rd. 2.100 € und "Arbeitnehmerbeiträge zu sozialen Pflegeversicherungen lt. Nr. 26 der Lohnsteuerbescheinigung" i.H.v. rd. 270 €.
Das Finanzamt änderte daraufhin entsprechend die Steuerfestsetzung mit Bescheid vom 9.12.2013 nach § 173 S. 1 Nr. 1 AO. Grundlage für die Änderung seien die vom Arbeitgeber (A-GmbH) dem Beklagten nach Veranlagung übermittelten geänderten Lohnsteuerbescheinigungsdaten. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Klage. Sie sind der Ansicht, dass weder die Voraussetzungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO noch die nach § 129 AO vorlägen. Es handele sich bei der fehlerhaften Lohndatenübertragung nicht um einen Übertragungs- bzw. Übermittlungsfehler, der die Änderung nach § 129 AO ermöglichen würde. Vielmehr handele es sich um einen Bearbeitungsfehler des Finanzamts, der nicht auf ihre Kosten behoben werden dürfe.
Das FG gab der Klage statt. Die Revision zum BFH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Sie wird dort unter dem Az. VI R 41/16 geführt.
Die Gründe:
Das Finanzamt war mangels Bekanntwerdens neuer Tatsachen nicht berechtigt, den Einkommensteuerbescheid 2011 gem. § 173 Abs. 1 AO zu ändern. Das Finanzamt kann eine Änderung auch nicht auf § 129 S. 1 AO stützen.
Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit - innerhalb der Verjährungsfrist - berichtigen. Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist. Offenbar ist eine Unrichtigkeit, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Das Tatbestandsmerkmal "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" setzt voraus, dass die Unrichtigkeit einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich ist, d.h. dass es sich um einen "mechanischen" Fehler handelt, der ebenso "mechanisch", also ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden kann.
Ist die mehr als theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums gegeben, liegt keine offenbare Unrichtigkeit vor. Auch eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter - ggf. unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht - jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung ist kein mechanisches Versehen. Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist jeweils nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen. Bei der im Streitfall - ungeprüften - Übernahme/Beistellung der nicht vollständig übermittelten Lohnsteuerdaten in das Veranlagungsprogramm handelt es sich weder um einen Schreibfehler oder Rechenfehler noch um einen ähnlich offenbaren Fehler.
Die Kläger haben in ihrer Steuererklärung den Arbeitslohn, den Lohnsteuerabzug, den einbehaltenen Solidaritätszuschlag, die Beiträge zur Altersvorsorge und die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin vollständig und richtig angegeben. Die Zeugin R hat bei der Veranlagung diese Angaben aus der Erklärung jedoch nicht in das Veranlagungsprogramm übertragen, sondern die vom Arbeitgeber elektronisch übermittelten Werte beistellen lassen. Einen Abgleich zwischen den vom Arbeitgeber übermittelten und ins Veranlagungsprogramm übernommenen Werten und den erklärten Werten hat sie nur bei den Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gemacht, weil in diesem Bereich die tatsächlichen Aufwendungen von den übermittelten Beträgen aufgrund von privaten Kranken- bzw. Zusatzversicherungen, von denen der Arbeitgeber in der Regel keine Kenntnis hat, gelegentlich abweichen können. Bei den übrigen Werten hat sie deshalb keinen Abgleich vorgenommen, weil sie darauf vertraut hat, dass diese - wie im Regelfall - zutreffend und vollständig übermittelt worden waren.
Hätte sie die Werte aus der Erklärung in die entsprechenden Eingabefelder eingegeben, wären ihr die Abweichungen aufgefallen und es hätte sich für sie Aufklärungsbedarf ergeben. Selbst wenn ihr bei einer Eingabe die Abweichungen noch nicht aufgefallen wären, hätte zumindest das Veranlagungsprogramm die Abweichungen von den übermittelten Werten erkannt und einen entsprechenden Hinweis ausgegeben, was dann zu einer Überprüfung und weiteren Sachverhaltsaufklärung hätte führen müssen. Bei einer derartigen Veranlagung ohne Abgleich der übermittelten und der erklärten Angaben bzw. ohne Eingabe der Werte aus der Erklärung liegt kein Fehler vor, der lediglich auf einem mechanischen Versehen beruht. Es liegt vielmehr ein Fehler bei der Sachverhaltsermittlung vor, da die Veranlagungsbeamtin bei ihrer Vorgehensweise bewusst und gewollt in Kauf genommen hat, dass ggf. ein unzutreffender Sachverhalt der Veranlagung zugrunde gelegt wird. Eine Änderung der fehlerhaften Veranlagung nach § 129 S. 1 AO kam daher nicht in Betracht.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank NRW veröffentlicht.
- Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.