Der Sachverhalt:
Die France Télécom SA, die heute Orange heißt, wurde 1991 als öffentliches Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit gegründet und hat seit 1996 den Status einer französischen Aktiengesellschaft, deren Mehrheitsaktionär im Jahr 2002 der französische Staat war. Im Juni 2002 erreichten ihre Nettoschulden rd. 70 Mrd. €, wovon rd. 49 Mrd. € auf Obligationen entfielen, die in den Jahren 2003 bis 2005 zur Rückzahlung fällig wurden. Zur finanziellen Situation von France Télécom erklärte der französische Wirtschaftsminister in einem Interview im Juli 2002: "Der Staat als Aktionär wird sich wie ein umsichtiger Kapitalgeber verhalten, und wenn France Télécom Schwierigkeiten haben sollte, werden wir die geeigneten Maßnahmen treffen. Ich wiederhole, wenn France Télécom Finanzierungsprobleme haben sollte, was gegenwärtig nicht der Fall ist, würde der Staat die zu ihrer Überwindung erforderlichen Entscheidungen treffen." Im September und Oktober 2002 folgten weitere öffentliche Erklärungen, die im Wesentlichen darauf gerichtet waren, France Télécom die Unterstützung der französischen Behörden zuzusichern.
Mit Urteil vom 21.5.2010 erklärte das EuG die Entscheidung der Kommission für nichtig, weil die Erklärungen der französischen Behörden trotz des France Télécom dadurch gewährten finanziellen Vorteils nicht als staatliche Beihilfen qualifiziert werden könnten, da tatsächlich keine staatlichen Mittel gebunden worden seien. Daraufhin wurden gegen dieses Urteil Rechtsmittel zum EuGH eingelegt. Dieser hob mit Urteil vom 19.3.2013 das Urteil des EuG auf, weil nach der France Télécom versprochene Vorschuss, obwohl er nicht angenommen worden war, dem Unternehmen einen aus staatlichen Mitteln gewährten Vorteil verschafft habe, soweit potenziell der Staatshaushalt belastet worden sei. Zwar entschied der EuGH selbst abschließend über das vom EuG behandelte Vorbringen, verwies die Rechtssache jedoch zur Entscheidung über die vom französischen Staat und von France Télécom vorgetragenen Argumente, über die das EuG in seinem ersten Urteil nicht entschieden hatte, an dieses zurück.
Das EuG entschied demzufolge nun, dass die Kommission das France Télécom unterbreitete Vorschussangebot zu Unrecht als staatliche Beihilfe qualifizierte, und erklärt daher die Entscheidung der Kommission für nichtig.
Die Gründe:
Mit dem sogenannten Kriterium des "umsichtigen privaten Kapitalgebers" soll bestimmt werden, ob ein umsichtiger privater Kapitalgeber, wenn er sich in derselben Situation wie hier der französische Staat befunden hätte, Unterstützungserklärungen zugunsten der France Télécom abgegeben, ihr einen Aktionärsvorschuss gewährt und dabei selbst ein sehr hohes finanzielles Risiko übernommen hätte. Dieses Kriterium ist erforderlich für die Feststellung, ob eine staatliche Beihilfe vorliegt. Denn Mittel, die der Staat einem Unternehmen unter Umständen, die den normalen Marktbedingungen entsprechen, zur Verfügung stellt, sind nicht als staatliche Beihilfen anzusehen.
Die Bekanntgabe im Dezember 2002 und das Angebot des Aktionärsvorschusses wurde von der Kommission zusammen genommen als staatliche Beihilfe eingestuft. Damit ist das Kriterium des umsichtigen privaten Kapitalgebers auf beide Maßnahmen und nur auf diese anzuwenden. Die Kommission hatte bei der Bewertung des angebotenen Aktionärsvorschusses als staatliche Beihilfe das Kriterium des privaten Kapitalgebers hingegen im Wesentlichen auf die ab Juli 2002 abgegebenen Erklärungen angewandt. Eine solche Anwendung des Kriteriums war vor allem deshalb verfehlt, weil der Kommission keine hinreichenden Anhaltspunkte zur Klärung der Frage vorlagen, ob durch die ab Juli 2002 abgegebenen Erklärungen als solche staatliche Mittel gebunden und sie somit als staatliche Beihilfe angesehen werden konnten.
Die Kommission hätte sich für die Prüfung des Kriteriums des umsichtigen privaten Kapitalgebers in den Kontext der Zeit, also Dezember 2002, zu der die fraglichen Maßnahmen vom französischen Staat getroffen wurden, versetzen müssen. Die Kommission hatte tatsächlich aber auf den Kontext der Lage vor Juli 2002 abgestellt. Es ist es zwar möglich, auf Ereignisse und objektive Anhaltspunkten aus der Vergangenheit Bezug zu nehmen, aber diese Ereignisse und vorherigen Anhaltspunkte können nicht, um das Kriterium des umsichtigen privaten Kapitalgebers anzuwenden, für sich allein den maßgeblichen Bezugsrahmen bilden. Insbesondere für die (deutlich vor der Bekanntgabe im Dezember 2002) abgegebene Erklärung von Juli 2002 konnte die Kommission nach Überzeugung des Gerichts nicht nachweisen, dass die Absicht der französischen Behörden genügend real, ernsthaft, bestimmt und unbedingt war, um eine rechtliche Verpflichtung zu ihren Lasten zu begründen.
Zu dem Vorbringen der Kommission, bei dem Angebot eines Aktionärsvorschusses habe es sich nur um eine Konkretisierung der vorangegangenen Erklärungen des französischen Staates gehandelt, so dass dessen Verhalten das Kriterium des umsichtigen privaten Kapitalgebers unberücksichtigt gelassen habe, ist festzustellen dass die ab Juli 2002 abgegebenen Erklärungen als solche nicht die Vorwegnahme einer bestimmten finanziellen Unterstützung darstellen, die so bestimmt wie die war, die letztlich im Dezember 2002 Gestalt angenommen hat. Die Erklärungen sind in Bezug auf Art, Reichweite und Voraussetzungen eines etwaigen künftigen Eingreifens des französischen Staates offen, unpräzise und bedingt geblieben.
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