Speicherumlage
Bereits Ende April 2022 wurde mit § 35e EnWG die rechtliche Grundlage dafür geschaffen, dass die Kosten, die dem Marktgebietsverantwortlichen insbesondere im Zusammenhang mit der zwangsweisen Einspeicherung von Erdgas entstehen, auf die Bilanzkreisverantwortlichen im Marktgebiet umgelegt werden. Die Bundesnetzagentur (Beschlusskammer 7) hat am 30.05.2022 ein Verfahren zur Genehmigung der Methodik zur Ausgestaltung der Umlage nach § 35e EnWG eingeleitet. Mit dem Verfahren sollen die Parameter bestimmt werden, die für die Berechnung der Umlage relevant sind. Der Marktgebietsverantwortliche, die Trading Hub Europe GmbH, hat ein Konzept erarbeitet, das Grundlage für das Verfahren ist. Die Umlage soll ab Oktober 2022 durch den Marktgebietsverantwortlichen bei den Bilanzkreisverantwortlichen erhoben werden, die berechtigt sein sollen, diese Umlage an ihre Kunden weiterzureichen. Über die Höhe der Umlage ist noch nichts bekannt geworden.
Energiesicherungsgesetz
Weitergabe von Mehrkosten an Kunden
Ende Mai 2022 hat der Gesetzgeber das Energiesicherungsgesetz (EnSiG) überarbeitet und in diesem Zuge einen neuen § 24 in das Gesetz eingefügt. Diese Vorschrift gibt Gaslieferanten auf allen Lieferebenen das Recht, Mehrkosten, die durch den Anstieg der Importpreise entstehen, an ihre Kunden weiterzugeben. Voraussetzung ist, dass die Bundesnetzagentur nach Ausrufung der Alarmstufe oder gar der Notfallstufe gemäß der Verordnung (EU) 2017/1938 (SoS-Verordnung) zusätzlich eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmenge nach Deutschland festgestellt hat.
Hinweis: Die Alarmstufe gemäß SoS-Verordnung ist bereits veröffentlicht; eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmenge nach Deutschland ist allerdings noch nicht festgestellt, so dass § 24 EnSiG derzeit noch nicht anwendbar ist.
Preisanpassungen dürfen nur auf ein angemessenes Niveau erfolgen. Das soll dann nicht mehr gegeben sein, wenn die Preisanpassung die Mehrkosten einer Ersatzbeschaffung überschreitet, die dem jeweiligen Energieversorgungsunternehmen aufgrund der Reduzierung der Importmengen entstehen. Der Kunde muss „rechtzeitig“ über die Preisanpassung informiert werden und hat ein außerordentliches Kündigungsrecht, das unverzüglich nach Zugang der Preisanpassungsmitteilung ausgeübt werden muss. Sofern der betroffene Kunde Letztverbraucher ist, gilt § 41 Abs. 5 EnWG mit der Maßgabe, dass die Ankündigungsfrist für alle Letztverbraucher von einem Monat bzw. zwei Wochen auf eine Woche abgekürzt wird.
Umlageverfahren statt Preisanpassungsrecht
Mit Artikel 3 des Gesetzes vom 08.07.2022 (Ersatzkraftwerkbereithaltungsgesetz, BGBl. I, S. 1054 ff.) hat der Gesetzgeber das EnSiG um weitere Instrumente ergänzt. Mit § 26 EnSiG wird die Bundesregierung ermächtigt, eine Rechtsverordnung zu erlassen, mit der an Stelle der Preisanpassungsrechte nach § 24 EnSiG ein Umlageverfahren eingeführt wird, mit dem die Mehrkosten in der Lieferkette weitergereicht werden.
Hinweis: Von dieser Ermächtigungsgrundlage kann die Bundesregierung schon Gebrauch machen, wenn eine erhebliche Reduzierung der Gasimportmengen nach Deutschland unmittelbar bevorsteht.
Der Vorteil dieses Umlagemechanismus gegenüber dem Preisanpassungsmechanismus in § 24 EnSiG liegt darin, dass mit dem Umlagemechanismus eine breitere, zufallsfreiere Verteilung der Mehrkosten erreicht werden kann.
Leistungsverweigerungsrechte für Energieversorgungsunternehmen nur mit Genehmigung der Bundesnetzagentur
Mit einem ebenfalls neu eingefügten § 27 EnSiG wird Energieversorgungsunternehmen verboten, in Erdgaslieferverträgen vertragliche oder gesetzliche Leistungsverweigerungsrechte geltend zu machen, die mit dem Ausfall oder der Reduzierung von Gaslieferungen begründet werden, solange nicht eine entsprechende Genehmigung der Bundesnetzagentur vorliegt. Ziel dieser Regelung ist es, den Gasmarkt möglichst lange aufrecht zu erhalten. Die Genehmigung der Bundesnetzagentur ist nicht mehr erforderlich, wenn das entsprechende Energieversorgungsunternehmen nachweist, dass eine Ersatzbeschaffung unabhängig von den Kosten unmöglich ist oder der Handel mit Gas für das deutsche Marktgebiet an der Energiebörse EEX ausgesetzt ist.
Hinweis: Die Regelung ist anwendbar, solange die Alarmstufe oder die Notfallstufe gemäß SoS-Verordnung besteht. Damit ist die Regelung jetzt bereits anwendbar. Im Zuge der Genehmigung über einen entsprechenden Antrag auf Ausübung von Leistungsverweigerungsrechten hat die Behörde das betroffene Energieversorgungsunternehmen für den Vermögensnachteil zu entschädigen, soweit das Vertrauen des Betroffenen auf das Recht zur Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts schutzwürdig ist.
Erleichterte Inanspruchnahme von Stabilisierungsmaßnahmen
Schließlich wurde mit § 29 EnSiG eine Vorschrift geschaffen, die es Energieunternehmen ermöglicht, unter erleichterten Voraussetzungen Stabilisierungsmaßnahmen in Anspruch nehmen zu können. Dazu wird die Anwendbarkeit einer Reihe von Bestimmungen des Wirtschaftsstabilisierungsbeschleunigungsgesetzes vom Oktober 2008 angeordnet. Damit hat der Bund die Möglichkeit, angeschlagene Energieversorgungsunternehmen zu stützen und damit möglicherweise eine Kettenreaktion von Insolvenzen zu verhindern.
Energiewirtschaftsgesetz
Aktivierung von Anlagen aus der Netzreserve
Ebenfalls mit dem Ersatzkraftwerkbereithaltungsgesetz sind eine Reihe neuer Vorschriften in das Energiewirtschaftsgesetz eingefügt worden. Mit den neu eingefügten §§ 50a bis 50j EnWG wird es Unternehmen gestattet, Anlagen aus der Netzreserve zu reaktivieren und befristet wieder am Strommarkt teil zu nehmen.
Einschränkung der Energieerzeugung durch Erdgas
Nach § 50f EnWG kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung anordnen, dass die Erzeugung elektrischer Energie durch Erdgas weitestgehend eingeschränkt wird. Anlagen, die neben elektrischer Energie auch Wärme erzeugen und nicht dauerhaft auf andere Energieträger ausweichen können, müssen von den entsprechenden Begrenzungen ausgenommen werden. Auch darf die Versorgung geschützter Kunden, das sind vorrangig Haushaltskunden, durch eine entsprechende Verordnung nicht eingeschränkt werden.
Anreize zum Verzicht auf den Bezug von Gas
Mit §§ 50g und 50h EnWG werden Anreize für große Letztverbraucher mit einer Anschlussleistung von mehr als 10 MW geschaffen, ganz oder teilweise auf den Gasbezug zu verzichten. Gaslieferanten werden verpflichtet, allen Kunden mit registrierender Leistungsmessung (RLM-Kunden) jährlich eine Vertragsanalyse zur Verfügung zu stellen, aus der sich die relevanten Großhandelspreise an der Börse, die Möglichkeiten eines Weiterverkaufs kontrahierter Mengen, die Möglichkeiten einer Partizipation am Verkaufserlös und mögliche Vertragsänderungen ergeben.
Einstellung der Tätigkeit als Energielieferant
Weitere Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz hat der Bundesrat am 08.07.2022 beschlossen. Sie werden voraussichtlich innerhalb der nächsten Tage veröffentlicht und in Kraft treten.
Mit dem „Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung“ wird festgelegt, dass Energielieferanten ihre Tätigkeit frühestens drei Monate nach einer entsprechenden Mitteilung an die Bundesnetzagentur einstellen dürfen, es sei denn, ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt vor.
Hinweis: Damit soll verhindert werden, dass es erneut zu Situationen wie zum Jahreswechsel 2021/2022 kommt, als eine Reihe von Energielieferanten von heute auf morgen ihre Tätigkeit eingestellt haben und die Kunden keine Lieferanten mehr hatten.
Grundversorger: Keine Preisdifferenzierung nach Zeitpunkt des Vertragsschlusses
Durch eine Änderung in § 36 EnWG wird Grundversorgern künftig verboten, bei allgemeinen Bedingungen und insbesondere allgemeinen Preisen nach dem Zeitpunkt des Zustandekommens des Grundversorgungsvertrages zu unterscheiden. Grundversorger, die noch gespaltene Grundversorgungstarife anbieten, müssen diese innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes an die neuen Vorgaben anpassen. Zum Ausgleich wird Grundversorgern gestattet, für die Ersatzversorgung auch von Haushaltskunden allgemeine Preise einzuführen, die höher sind als die allgemeinen Preise der Grundversorgung. Haushaltskunden, deren Lieferant aufgrund der Kündigung des Netznutzungs- oder Bilanzkreisvertrages ausfällt, fallen für die ersten drei Monate in die Ersatzversorgung und haben erst danach einen Anspruch auf Grundversorgung. Damit kann der Grundversorger durch entsprechende Gestaltung der Preise für die Ersatzversorgung reagieren, wenn, wie im Winter 2021 Lieferanten ausfallen und eine größere Anzahl von Kunden plötzlich durch den Grundversorger beliefert werden muss.
Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme
Weitergabe von Preissteigerungen auch bei der Fernwärme
Ebenfalls am 08.07.2022 hat der Bundesrat eine Änderung der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) gebilligt. Auch Fernwärmeversorgern soll es ermöglicht werden, Preissteigerungen im Gasbezug außerplanmäßig an die Kunden weiterzugeben. Mit einem neuen § 24 Abs. 5 AVBFernwärmeV erhalten Fernwärmeversorger das Recht, Kostensteigerungen im Gasbezug, die auf Preisanpassungen gemäß § 24 EnSiG beruhen, an die Kunden weiterzugeben.
Die Regelung verlangt allerdings, dass in einem Wärmeliefervertrag ein Preisanpassungsrecht vereinbart ist, das „insoweit einschlägig“ ist und gibt dem Kunden das Recht, den Wärmeliefervertrag außerordentlich mit Wirkung spätestens zum Ende des ersten Jahres nach Wirksamwerden der Preisänderung zu kündigen. Die Kündigung ist binnen vier Wochen nach Wirksamwerden der Preisänderung zu erklären.
Hinweis: Die Regelung hilft den von Preissteigerungen betroffenen Fernwärmelieferanten nur wenig. In der Regel sehen Fernwärmelieferverträge Preisanpassungsklauseln vor, bei denen der Wärmepreis an die Entwicklung einschlägiger Indizes gekoppelt ist. Die Wärmelieferverträge enthalten in der Regel keine Bestimmung, die es dem Wärmelieferanten ermöglicht, Änderungen in seinen Bezugskosten an die Kunden weiterzugeben.
Das Recht der Kunden, Wärmelieferverträge zu kündigen, kann erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich bringen. In der Regel haben die betroffenen Kunden keine andere Möglichkeit, als auch nach der Kündigung weiterhin Wärme zu beziehen, weil die Beheizung der Immobilien nur über Fernwärme möglich ist. Wenn der Kunde nach Beendigung des Vertrages weiterhin Wärme bezieht, kommt gemäß den Regelungen der AVBFernwärmeV stillschweigend ein neuer Fernwärmeliefervertrag zustande. Für diesen Vertrag gelten dann die für gleichartige Versorgungsverhältnisse geltenden Preise (§ 2 Abs. 2 AVBFernwärmeV). Kunde und Wärmeversorgungsunternehmen streiten dann darüber, welches die für gleichartige Versorgungsverhältnisse geltenden Preise sind. In der Regel werden das die erhöhten Preise sein, wegen derer der Kunde den Vertrag gekündigt hat. Die Kündigung liefe damit leer. Wie mit derartigen Streitfragen befasste Gerichte künftig entscheiden, ist völlig offen. Es spricht einiges dafür, dass Wärmeversorger von diesem Instrument, wenn überhaupt nur sehr zögerlich Gebrauch machen werden.