Der Beklagte ist Geschäftsführer der Komplementär GmbH der Klägerin, einer GmbH & Co. KG, deren Unternehmensgegenstand insbesondere der Vertrieb von Mineralölprodukten ist. Die Klägerin gibt an ihre Kunden Tankkarten mit einem Kreditlimit aus, mittels derer die Fahrer der Kunden an einer von der Klägerin betriebenen Tankstelle auf Rechnung bargeldlos tanken können. Mangels Kontrolle der Einhaltung des Kreditlimits kam es bereits im Jahr 2006 zu Forderungsausfällen bei der Klägerin. Einige Jahre später waren erneut mehrere Kunden aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten nicht in der Lage, die Tankrechnungen zu begleichen. Diesen Umstand versuchte ein Mitarbeiter der Klägerin unter anderem durch falsche Zuordnung der Tankkarten zu verschleiern. So war es den Kunden weiterhin möglich, die Tankkarten auch über das Kreditlimit hinaus zu nutzen, ohne die entstandenen Forderungen zu begleichen. Da der Geschäftsführer keine Maßnahmen ergriffen hatte, um den schadensträchtigen Bereich der Ausgabe der Tankkarten sowie deren EDV-mäßige Verbuchung und Zuordnung an Kartenkunden zu überwachen, verlangt die Klägerin Schadensersatz.
Das OLG Nürnberg bejahte mit Urteil vom 30.03.2022 (Az. 12 U 1520/19) einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer. Nach § 43 Abs. 1 GmbHG hat der Geschäftsführer in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Dies gebietet es, eine interne Organisationsstruktur der Gesellschaft zu schaffen, welche die Rechtmäßigkeit und Effizienz ihres Handelns gewährleistet. Die Sorgfaltspflicht konkretisiert sich insoweit zu Unternehmensorganisationspflichten.
Der Zivilsenat stellt ausdrücklich fest, dass den Geschäftsführer die Verpflichtung zur Einrichtung eines Compliance Management Systems trifft. Eine Pflichtverletzung kann insoweit schon dann vorliegen, wenn durch unzureichende Organisation, Anleitung bzw. Kontrolle Straftaten oder sonstiges Fehlverhalten ermöglicht oder auch nur erleichtert werden. Verdachtsmomenten muss der Geschäftsführer unverzüglich nachgehen. Zu der Überwachungspflicht gehört zudem auch eine hinreichende Kontrolle, die nicht etwa erst dann erfolgen darf, wenn Missstände entdeckt worden sind. Im Einzelfall kann auch eine gesteigerte Überwachungspflicht bestehen, insbesondere dann, wenn es im Unternehmen bereits in der Vergangenheit zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist.
Nach Ansicht des OLG Nürnberg reduziert sich dessen effektive Überwachungspflicht auf die ihm unmittelbar unterstellten Mitarbeiter und deren Führungs- und Überwachungsverhalten, sofern der Geschäftsführer seine Überwachungsaufgaben delegiert. Aber auch bei mehrstufiger Verteilung der Aufsichtspflichten verbleibt die sog. Oberaufsicht stets bei dem Geschäftsführer. Dazu gehört vor allem die Organisations- und Systemverantwortung für die unternehmensinternen Delegationsprozesse.
Nach den Feststellungen des Gerichts hat der beklagte Geschäftsführer eine Pflichtverletzung begangen, indem er es unterlassen hat, Compliance-Strukturen zu schaffen, die ein rechtmäßiges und effektives Handeln gewährleisten und die Begehung von Rechtsverstößen durch die Gesellschaft oder deren Mitarbeiter – auch mittels Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen – verhindern. Zudem ist ihm eine weitere Pflichtverletzung anzulasten, da er nicht eingeschritten ist, obwohl das rechtswidrige Verhalten des Mitarbeiters unschwer erkennbar und leicht zu verhindern gewesen wäre.
Fazit:
Der 12. Zivilsenat des OLG Nürnberg lässt keinen Zweifel daran, dass der Geschäftsführer einer GmbH nach § 43 GmbHG zur Einführung eines Compliance Management Systems verpflichtet ist. Das Urteil zeigt zudem einmal mehr die praktische Relevanz angemessener, funktionierender Compliance Strukturen. Ausreichende Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen sind nicht nur unerlässlich, um etwaige zivilrechtliche Schadensersatzansprüche abzuwenden. Vielmehr tragen sie maßgeblich dazu bei, eine strafrechtliche Verfolgung der Leitungspersonen, etwa wegen eines Beihilfe- oder Unterlassensvorwurfs, zu verhindern. Daneben müssen Unternehmensverantwortliche die erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen ergreifen, um einer Sanktionierung nach § 130 Abs. 1 OWiG vorzubeugen. Nach § 130 Abs. 1 Satz 2 OWiG gehören dazu auch die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen. Auf diesem Wege kann das Risiko einer etwaigen Geldbuße gegen das Unternehmen nach § 30 OWiG und ein damit einhergehender empfindlicher Reputationsschaden erheblich verringert werden. Hier schützen häufig bereits klare Strukturen und dokumentierte Prozesse vor behördlichen Sanktionen.
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