Konkretisiert hat die Bundesregierung ihre Pläne nun in dem am 16.12.2020 veröffentlichten Gesetzesentwurf über ein (Artikel-)Gesetz zur Einführung von elektronischen Wertpapieren, dem am 11.8.2020 ein gleichnamiger Referentenentwurf mit anschließender Konsultation einschlägiger Verbände vorangegangen war.
Mit dem Artikelgesetz trägt die Bundesregierung einerseits dem Umstand Rechnung, dass die Digitalisierung des Finanzmarktes bereits weit fortgeschritten ist und durch die Nutzung von Technologien wie der Blockchain noch weiter beschleunigt wird; anderseits liegt die Erkenntnis zugrunde, dass andere Staaten bereits die elektronische Begebung von Wertpapieren ermöglichen und auch teilweise Regelungen über Blockchain-Wertpapiere vorsehen und dass deshalb die Gefahr besteht, dass die Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland verringert werden könnte, wenn es in Deutschland keine entsprechenden Regelungen gibt.
Neues Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) - Beschränkung auf elektronische Schuldverschreibungen
Den Gesetzesmaterialien zufolge soll das deutsch Recht generell für elektronische Wertpapiere, d. h. Wertpapiere ohne Urkunde, geöffnet werden. In einem ersten Schritt soll primär die elektronische Begebung von Schuldverschreibungen möglich sein. Dem dient das vorgesehene neue Gesetz über elektronische Wertpapiere, abgekürzt eWpG. Das eWpG gibt die derzeit zwingende urkundliche Verkörperung von Wertpapieren auf, löst aber nicht die Möglichkeit der Verkörperung von Wertpapieren durch Urkunden vollständig ab. Vielmehr soll zukünftig ein Wahlrecht bestehen, ob Wertpapiere auf bewährte Weise mittels Urkunde oder auf elektronischem Wege emittiert werden. Wählt ein Emittent den neuen Weg der elektronischen Ausgabe, tritt an die Stelle der Urkunde und die mit ihr verbundenen Funktionen die Eintragung in einem elektronischen Wertpapierregister. Durch die Wahl der genutzten neuen Skriptur ändert sich zwar das Bezugsobjekt, die mit einem „Papier-Wertpapier“ verbundene Rechtsnatur und Rechtswirkung bleiben aber - worauf das eWpG explizit hinweist - beim elektronischen Wertpapier gleich.
Elektronische Wertpapiere mit gleicher Rechtsnatur und Rechtsfolge wie verbriefte Wertpapiere
Der elektronischen (Inhaber-)Schuldverschreibung bzw. dem elektronischen Wertpapier kommt konkret qua Fiktion ebenso Sachqualität zu wie dem in einer Urkunde verkörperten (Inhaber-)Wertpapier, so dass die Anknüpfung an das Sachenrecht für jene ebenso wie für diese gegeben ist.
- So wie bei einer Inhaber-Schuldverschreibung der Inhaber der die Schuldverschreibung verbriefenden Urkunde vom Aussteller der Urkunde die Erfüllung des darin verkörperten Leistungsversprechens verlangen kann, kann der im elektronischen Wertpapierregister eingetragene Inhaber - als Inhaber der als elektronisches Wertpapier begebenen Schuldverschreibung - vom Emittenten die in der Schuldverschreibung versprochene Leistung verlangen (sog. Legitimationswirkung).
- Der Emittent einer elektronischen (Inhaber-)Schuldverschreibung wird durch Leistung an die als Inhaber der Schuldverschreibung im elektronischen Wertpapierregister eingetragene Person ebenso befreit wie der Aussteller der Urkunde über eine verbriefte (Inhaber-)Schuldverschreibung bei Leistung an deren Inhaber (sog. Liberationswirkung).
- Schließlich kommt dem elektronischen Wertpapierregister in gleicher Weise die Transportfunktion zu wie der Urkunde als Inhaberpapier bei der verbrieften (Inhaber-)Schuldverschreibung. So wie hier das Recht aus dem Papier dem Recht am Papier folgt, folgt das Recht aus dem elektronischen Wertpapier der Eintragung (der Übertragung des Eigentums) im elektronischen Wertpapierregister.
- Die Möglichkeit des Gutglaubenserwerbs, die bei der verbrieften (Inhaber-)Schuldverschreibung an die Inhaberschaft der Urkunde anknüpfen kann, ergibt sich bei der elektronischen Schuldverschreibung zugunsten des Inhabers einer elektronischen Schuldverschreibung aus dessen Eintragung in das elektronische Wertpapierregister.
Kategorien elektronischer Wertpapiere: Zentralregisterwertpapiere Versus Kryptowertpapiere
Hinsichtlich der Ausgestaltung des elektronischen Wertpapierregisters bzw. des elektronischen Wertpapiers unterscheidet der Gesetzgeber zwischen der Möglichkeit der Emission von Zentralregisterwertpapieren einerseits und der Emission von Kryptowertpapieren andererseits. Hintergrund dieser Unterscheidung ist, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Führung elektronischer Wertpapiere nicht nur in Form von Zentralregisterwertpapieren erfolgen kann, die in herkömmlicher Weise zentral in einem Register geführt werden, sondern dass die Führung auch in einem sogenannten Aufzeichnungssystem erfolgen kann, das definitionsgemäß als dezentrale Zusammenschluss zu verstehen ist, in dem die Kontrollrechte zwischen den das System betreibenden Einheiten nach einem im Vorfeld festgelegten Muster verteilt sind. Diese zweite Alternative des Kryptowertpapierregisters ist technikoffen formuliert.
Hinweis: Nach derzeitigem Stand der Technik kommen laut Gesetzesbegründung für Kryptowertpapierregister in erster Linie Aufzeichnungssysteme auf Basis der Distributed Ledger Technologie in Frage.
Kryptowertpapier-Registerführung als neue Finanzdienstleistung im KWG
Aus Gründen des Anlegerschutzes, der Marktintegrität, der Transaktionssicherheit und der Funktionsfähigkeit der Märkte sieht der Gesetzesentwurf vor, dass diejenigen Stellen, die ein Kryptoverwahrregister führen, unter die Aufsicht der BaFin gestellt werden. Hierzu wird in Ergänzung des Kreditwesengesetzes die Kryptowertpapier-Registerführung als (neue) erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung ausgestaltet. Nicht zuletzt, weil auch der Emittent registerführende Stelle sein kann, sollen aus ähnlichen Erwägungen, wie sie bereits für das Kryptoverwahrgeschäft gelten, entsprechend weitreichende Ausnahmen von der Anwendbarkeit der KWG-Vorschriften möglich sein. Anwendbar bleiben jedoch insbesondere Vorschriften zum Anfangskapital, zu Inhabern bedeutender Beteiligungen, zu Meldepflichten, zu organisatorischen Pflichten (insb. nach MaRisk und BAIT), zu Geschäftsleitern und zum Jahresabschluss sowie zu Verpflichteten nach dem Geldwäschegesetz.
Elektronische Wertpapiere versus Wertpapier-Token
Bereits seit Anfang des Jahres 2019 werden in Deutschland nicht verbriefte digitale Wertpapiere (sogenannte Wertpapier-Token) in Form von u. a. Anleihen, Nachrangdarlehen und Genussrechten im Rahmen sogenannter STOs (Security Token Offerings) emittiert. Bei dieser Art der Emission handelt es sich nur im aufsichtsrechtlichen Sinne um Wertpapiere; mangels Verbriefung liegen jedoch keine Wertpapiere im zivilrechtlichen Sinne vor. Die rechtliche Möglichkeit der Emission von Wertpapier-Token wird durch die Einführung elektronischer Wertpapiere nicht abgeschafft. Vielmehr besteht zukünftig neben der bisherigen Möglichkeit der Emission von Wertpapier-Token die neue Möglichkeit der Emission („echter“) elektronischer Wertpapiere.
Hinweis: Die Möglichkeit des Nebeneinanders der Emission nicht verbriefter digitaler Wertpapiere neben der Möglichkeit der Emission elektronischer Wertpapiere hat auch der Gesetzgeber gesehen. Er verlangt bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen in beiden Fällen die Beachtung der Vorschriften über das Wertpapier-Informationsblatt (WIB) nach dem Wertpapierprospektgesetz (WpPG).
Elektronische Fondsanteile
In kleinerem Umfang soll neben den elektronischen Schuldverschreibungen auch die Möglichkeit zur elektronischen Begebung von Anteilscheinen an Sondervermögen eröffnet werden. Dies erfolgt durch Inkorporierung neuer Regelungen in das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB), und zwar in der Weise, dass die Regelungen des eWpG, soweit diese sich nicht auf Kryptowertpapiere beziehen oder Eigenschaften von Schuldverschreibungen betreffen, die auf Fondsanteile nicht anwendbar sind, für entsprechend anwendbar erklärt werden. Entgegen der Ankündigung im Referentenentwurf, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur elektronische Inhaberschuldverschreibungen zu normieren, elektronische Aktien und elektronische Investmentfondsanteile dagegen zu einem späteren Zeitpunkt, hat sich der Gesetzgeber in dem nun vorliegenden Regierungsentwurf offensichtlich entschieden, doch schon elektronische Fondsanteile zu regeln. Jedoch schließt der Gesetzgeber die Möglichkeit von elektronischen Fondsanteilen in Form von Kryptowertpapieren zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch ebenso aus wie die Möglichkeit elektronischer Fondsanteile für andere Investmentvermögen als Sondervermögen.
Inkrafttreten, Übergangsvorschrift
Das Gesetz soll einen Tag nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten. Übergangsfristen sind grundsätzlich nicht vorgesehen, da es sich bei der elektronischen Begebung von Wertpapieren und dem Angebot der Kryptowertpapierregisterführung als neue Finanzdienstleistung um fakultative Alternativen handelt, so dass es jeder selbst in der Hand hat, ob und wann er von den neuen Möglichkeiten Gebrauch macht. Jedoch sehen die Ergänzungen zum Kreditwesengesetz zugunsten solcher Unternehmen, die innerhalb der ersten sechs Monate ab Inkrafttreten des Gesetzes die Tätigkeit als Kryptowertpapierregisterführung aufnehmen, die Fiktion der vorläufigen Erlaubnis vor, wenn sie innerhalb von sechs Monaten nach Tätigkeitsaufnahme den Erlaubnisantrag stellen und der BaFin zwei Monate vor Tätigkeitsaufnahme die Absicht dieser Tätigkeitsaufnahme anzeigen. Diese Art der fiktiven vorläufigen Erlaubniserteilung ist bereits von der Einführung der neuen Finanzdienstleistung des Kryptoverwahrgeschäfts bekannt, wo sie sich bewährt hat.
Ausblick/Einschätzung
Die längst überfällige Einführung elektronischer Wertpapiere ist grundsätzlich zu begrüßen, trägt sie doch der fortschreitenden Digitalisierung in der Finanzindustrie Rechnung und macht die Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen durch Anwendung der Distributed Ledger Technologie möglich. Insbesondere bringt die Einführung elektronischer Wertpapiere die notwendige Rechtssicherheit, an der es bei der schon bisher möglichen Emission sogenannter Wertpapier-Token mangelt. Auch die Einführung elektronischer Fondsanteile an Sondervermögen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Hier bedarf es jedoch zeitnah dringend weiterer Schritte, um Investmentvermögen in größtmöglicher Weise an den Vorteilen der Digitalisierung teilhaben zu lassen. Nur dann kann sich Deutschland die Chance, als attraktiver Fondsstandort zu gelten, wahren, was mit dem ebenfalls neu vorgelegten Referentenentwurf eines Fondsstandortgesetzes angestrebt wird.