Die Schlussanträge sind das Ergebnis der Klage eines Einwohners von Paris gegen den französischen Staat. Er begehrt Schadensersatz in Höhe von 21 Mio. Euro, weil die zunehmende Luftverschmutzung in der Stadt seine Gesundheit geschädigt habe. Das Verfahren gelangte bis zum Verwaltungsberufungsgericht von Versailles, welches sich mit einem Vorabentscheidungsersuchen (Rs. C-61/22) an den EuGH wandte. Es sollen zwei Vorlagefragen beantwortet werden:
Zum einen, ob bei einem unmittelbaren Kausalzusammenhang ein Schadensersatzanspruch gegen den Staat besteht und zum anderen, welche Voraussetzungen gelten würden, wenn ein solcher Anspruch besteht.
Die Generalanwältin hält eine Haftung unter drei Voraussetzungen für möglich. Zunächst müssen die unionsrechtlichen Regelungen dem Einzelnen Rechte verleihen, welche durch den Staat verletzt werden können. Darüber hinaus bedarf es eines hinreichend qualifizierten Verstoßes und eines nachgewiesenen unmittelbaren Kausalzusammenhangs.
Aus dem Schlussantrag geht hervor, dass der Hauptzweck der maßgeblichen Richtlinien darin liegt, die menschliche Gesundheit zu schützen. Der Adressaten sei zudem auch nicht zu unbestimmt, sondern beschränkt sich auf die Personengruppe, die in besonders belastenden Bereichen leben und arbeiten. So könnten nur diejenigen Schadensersatz verlangen, die auch wirklich auf gerichtlichen Schutz angewiesen sind. Das Vorliegen einer qualifizierten Verletzung der Regelungen über den Schutz der Luftqualität müsse im Einzelfall von innerstaatlichen Gerichten festgestellt werden.
Die tatsächlichen Schwierigkeiten der Durchsetzung der Schadenersatzansprüche liegt laut Kokott im Nachweis eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen der qualifizierten Verletzung der Regelungen über die Luftqualität und den konkreten Gesundheitsschäden. Der Geschädigte müsse dafür drei Voraussetzungen glaubhaft machen.
- Erstens müsse er nachweisen, dass er sich über einen ausreichend langen Zeitraum in einer Umgebung aufgehalten hat, in der die unionsrechtlichen Grenzwerte hinreichend qualifiziert überschritten wurden.
- Zweitens müsse er einen Schaden nachweisen, der grundsätzlich mit der entsprechenden Luftverschmutzung in Verbindung gebracht werden kann.
- Und drittens müsse der Geschädigte einen unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen dem erwähnten Aufenthalt an einem Ort, an dem ein Grenzwert für die Qualität der Umgebungsluft in qualifizierter Weise verletzt wurde, und dem geltend gemachten Schaden nachweisen.
Der Mitgliedstaat könne sich jedoch entlasten, indem er nachweist, dass die Überschreitungen der Grenzwerte auch eingetreten wären, wenn er rechtzeitig Luftqualitätspläne erlassen hätte, die den Anforderungen der Richtlinie genügen.
Hinweis: Wie der EuGH aufgrund dieser Schlussanträge in dem Verfahren urteilen wird, ist zwar grundsätzlich offen. Aufgrund der hohen Voraussetzungen für den Nachweis eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit die Klage des französischen Bürgers jedoch scheitern.