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Gleichstellung des Verleihens von E-Books mit dem Verleihen herkömmlicher Bücher

EuGH 10.11.2016, C-174/15

Das Ver­lei­hen elek­tro­ni­scher Bücher (E-Books) kann un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen dem Ver­lei­hen herkömm­li­cher Bücher gleich­ge­stellt wer­den. In die­sem Fall fin­det die Aus­nahme für gleich­ge­stellt das öff­ent­li­che Ver­leih­we­sen An­wen­dung, die u.a. eine an­ge­mes­sene Vergütung für die Ur­he­ber vor­sieht.

Der Sach­ver­halt:
In den Nie­der­lan­den fällt das Ver­lei­hen von E-Books nicht un­ter die Re­ge­lung, die für das öff­ent­li­che Ver­lei­hen herkömm­li­cher Bücher gilt. Zur­zeit stel­len die öff­ent­li­chen Bi­blio­the­ken E-Books über das In­ter­net auf der Grund­lage von Li­zenz­ver­ein­ba­run­gen mit den Rechts­in­ha­bern zur Verfügung. Der Ver­band, in dem alle öff­ent­li­chen Bi­blio­the­ken in den Nie­der­lan­den zu­sam­men­ge­schlos­sen sind (VOB), ist der An­sicht, dass die Re­ge­lung für herkömm­li­che Bücher auch für das Ver­lei­hen von E-Books gel­ten müsse.

Vor die­sem Hin­ter­grund er­hob die VOB eine ent­rpre­chende Fest­stel­lungs­klage ge­gen die Stif­tung, die mit der Er­he­bung der Ur­he­ber­vergütung be­traut ist. Die Klage der VOB be­trifft das nach dem "One-copy-one-user-Mo­dell" or­ga­ni­sierte Ver­lei­hen, bei dem eine di­gi­tale Buch­ko­pie in der Form ver­lie­hen wird, dass diese Ko­pie auf dem Ser­ver ei­ner öff­ent­li­chen Bi­blio­thek ab­ge­legt und es dem Nut­zer ermöglicht wird, diese durch Her­un­ter­la­den auf sei­nem ei­ge­nen Com­pu­ter zu re­pro­du­zie­ren, wo­bei nur eine ein­zige Ko­pie während der Leih­frist her­un­ter­ge­la­den wer­den kann und der Nut­zer nach Ab­lauf der Leih­frist die von ihm her­un­ter­ge­la­dene Ko­pie nicht mehr nut­zen kann.

Das mit der Sa­che be­fasste Be­zirks­ge­richt Den Haag ist der An­sicht, dass die Ent­schei­dung über die Anträge der VOB von der Aus­le­gung uni­ons­recht­li­cher Vor­schrif­ten abhängt. Es hat dem EuGH meh­rere Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt. Die Richt­li­nie 2006/115/EG aus dem Jahr 2006, die u.a. das Ver­miet- und Ver­leih­recht in Be­zug auf Bücher be­han­delt, sieht nämlich vor, dass das aus­schließli­che Recht, das Ver­mie­ten oder Ver­lei­hen ei­nes Buchs zu er­lau­ben oder zu ver­bie­ten, dem Ur­he­ber des Werks zu­steht. Die Mit­glied­staa­ten können je­doch hin­sicht­lich des öff­ent­li­chen Ver­leih­we­sens Aus­nah­men von die­sem aus­schließli­chen Recht vor­se­hen, so­fern zu­min­dest die Ur­he­ber eine an­ge­mes­sene Vergütung er­hal­ten. Da­mit stellt sich die Frage, ob diese Aus­nahme auch auf das Ver­lei­hen von E-Books nach dem "One-copy-one-user-Mo­dell" An­wen­dung fin­det.

Die Gründe:
Es gibt kei­nen zwin­gen­den Grund dafür, das Ver­lei­hen von di­gi­ta­len Ko­pien und von unkörper­li­chen Ge­genständen in je­dem Fall vom An­wen­dungs­be­reich der Richt­li­nie aus­zu­schließen. Zu­mal die Richt­li­nie das Ziel ver­folgt, das Ur­he­ber­recht an neue wirt­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen an­zu­pas­sen. Ein vollständi­ger Aus­schluss des di­gi­ta­len Ver­lei­hens vom An­wen­dungs­be­reich der Richt­li­nie liefe 4dem all­ge­mei­nen Grund­satz zu­wi­der, der ein ho­hes Schutz­ni­veau für die Ur­he­ber vor­schreibt.

In An­be­tracht der Be­deu­tung des öff­ent­li­chen Ver­lei­hens von E-Books und zur Wah­rung so­wohl der prak­ti­schen Wirk­sam­keit der Aus­nahme für das öff­ent­li­che Ver­leih­we­sen nach Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie als auch des Bei­trags die­ser Aus­nahme zu kul­tur­po­li­ti­schen Ziel­set­zun­gen lässt sich nicht aus­schließen, dass Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie auch für den Fall gilt, dass die Hand­lung ei­ner für die Öff­ent­lich­keit zugäng­li­chen Bi­blio­thek Merk­male auf­weist, die im We­sent­li­chen mit de­nen des Ver­lei­hens ge­druck­ter Werke ver­gleich­bar sind. Dies ist beim Ver­lei­hen ei­ner di­gi­ta­len Buch­ko­pie nach dem "One-copy-one-user"-Mo­dell der Fall. Der Be­griff des "Ver­lei­hens" i.S.d. Richt­li­nie er­fasst da­her auch diese Ver­leih­form.

Die Mit­glied­staa­ten dürfen je­doch zusätz­li­che Vor­aus­set­zun­gen fest­le­gen, die ge­eig­net sind, den Schutz der Rechte der Ur­he­ber über die ausdrück­li­chen Vor­ga­ben der Richt­li­nie hin­aus zu ver­bes­sern. Im vor­lie­gen­den Fall ver­lan­gen die nie­derländi­schen Rechts­vor­schrif­ten, dass die von der öff­ent­li­chen Bi­blio­thek zur Verfügung ge­stellte di­gi­tale Ko­pie ei­nes Bu­ches durch einen Erst­ver­kauf oder eine an­dere erst­ma­lige Ei­gen­tumsüber­tra­gung die­ser Ko­pie in der EU vom In­ha­ber des Ver­brei­tungs­rechts oder mit des­sen Zu­stim­mung in den Ver­kehr ge­bracht wor­den sein muss. Eine der­ar­tige zusätz­li­che Vor­aus­set­zung ist als mit Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2006/115 ver­ein­bar an­zu­se­hen.

Für den Fall, dass eine di­gi­tale Buch­ko­pie aus ei­ner il­le­ga­len Quelle stammt, ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass ei­nes der Ziele die­ser Richt­li­nie die Bekämp­fung von Pi­ra­te­rie ist und dass, wenn eine sol­che Ko­pie zu­ge­las­sen würde, den In­ha­bern des Ur­he­ber­rechts da­durch ein nicht ge­recht­fer­tig­ter Scha­den zu­gefügt wer­den könnte. Die Aus­nahme für das öff­ent­li­che Ver­leih­we­sen fin­det so­mit auf die Zur­verfügung­stel­lung ei­ner di­gi­ta­len Ko­pie ei­nes Bu­ches durch eine öff­ent­li­che Bi­blio­thek keine An­wen­dung, wenn diese Ko­pie aus ei­ner il­le­ga­len Quelle stammt.

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