Mehr Risiken durch steigende Compliance-Anforderungen
Dass sich Unternehmen mehr und mehr erheblichen Schadensersatzforderungen ausgesetzt sehen, ergibt sich zum einen aus den gestiegenen Compliance-Anforderungen, zum anderen aber auch daraus, dass eine Vielzahl von Gesetzen mittlerweile empfindliche Sanktionen vorsehen. Aktuellstes Beispiel dafür ist die im Mai 2018 in Kraft tretende EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO). Verstärkt nehmen die insoweit in Anspruch genommenen Unternehmen ihrerseits ihre Arbeitnehmer, insbesondere diejenigen in den Leitungsfunktionen, in Regress.
Während Geschäftsführer- und Vorstandsverträge mittlerweile häufig Regelungen zu „D&O-Versicherungen“ bereithalten, ist dies bei Führungskräften unterhalb der Vorstands-/Geschäftsführungsebene bislang noch nicht verbreitet. Oft hängt es aber auch schlicht vom Zufall ab, ob Arbeitnehmer auf der Grundlage eines Geschäftsführer-Anstellungsvertrages oder eines Arbeitnehmer-Anstellungsvertrages bei einer Holding-Gesellschaft die Organstellung als Geschäftsführer übernommen haben.
Daher kommt der leider noch nicht höchstrichterlich entschiedenen Frage, ob sich auch Führungskräfte auf die Haftungsprivilegierungen im Arbeitsrecht berufen können, mehr und mehr Bedeutung zu.
BAG vertagte Entscheidung über Schadensersatz in dreistelliger Millionenhöhe
Mit Urteil vom 29.6.2017 (Az: 8 AZR 189/15) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) einen Schadensersatzprozess im Zusammenhang mit Kartellbußen in Höhe 191 Mio. Euro zunächst an das zustände Landgericht zurückverwiesen. Die BAG-Entscheidung war insoweit mit Spannung erwartet worden, als sich die Praxis wertvolle Hinweise über die Anwendbarkeit von arbeitsrechtlichen Haftungserleichterungen für Führungskräfte erhoffte. Bereits das Urteil der Vorinstanz (Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 20.1.2015, Az: 16 Sa 459/14) hatte für Aufsehen gesorgt. Denn der Geschäftsführer einer GmbH war vor dem Hintergrund einer Kartellbuße auf einen Schadensersatzanspruch von 191 Mio. Euro verklagt worden.
Im Streitfall wurde deshalb das Arbeitsgericht angerufen, weil die Geschäftsführertätigkeiten in den Tochtergesellschaften des Arbeitgebers auf der Grundlage eines Anstellungsvertrages mit der Muttergesellschaft erfolgte. Da jedoch kartellrechtliche Vorfragen entscheidend für die Frage des Schadensersatzanspruchs waren, sind nach Auffassung des BAG die Arbeitsgerichte unzuständig. Insoweit dürfte in Zukunft das Gros vermeintlicher Millionenschadensersatzansprüche am Ende nicht von den Arbeitsgerichten entschieden werden.
Grundzüge der arbeitsrechtlichen Haftungsprivilegierung
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG bestehen für Arbeitnehmer besondere Haftungsprivilegierungen, wenn sie im Rahmen ihrer betrieblichen Tätigkeit Sach- und Vermögensschäden schuldhaft verursachen. So trifft den Arbeitnehmer vereinfacht dargestellt im Fall leichter und leichtester Fahrlässigkeit keine Haftung. Bei mittlerer Fahrlässigkeit wird der Schaden zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geteilt. Bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz hat der Arbeitnehmer grundsätzlich den gesamten Schaden zu tragen. Dieser Grundsatz hat im Laufe der Jahre durch das BAG jedoch weitere Modifizierungen erfahren. Insbesondere ist im Rahmen des Mitverschuldens des Arbeitgebers zu berücksichtigen, ob und inwieweit der in Frage stehende Schaden hätte versichert werden können. Daneben spielen die berufliche Stellung des Arbeitnehmers, die Höhe seines Verdienstes sowie die Schadenshöhe ebenfalls eine Rolle bei der Festlegung des konkret zu zahlenden Schadensersatzes. Einen „Höchstbetrag“ hat das BAG bislang abgelehnt. Es gibt aber bisher – soweit ersichtlich – keine Entscheidung, wonach dem Arbeitnehmer trotz hoher Schadenssummen mehr als ein Jahresarbeitsentgelt auferlegt wurde.
Anwendbarkeit auf Führungskräfte
Grundsätzlich ist der Arbeitnehmerstatus weder von der hierarchischen Stellung im Betrieb und einer etwaigen weitreichenden Mitarbeiterführung abhängig, noch spielt die Höhe des Verdienstes eine Rolle. Daher sind grundsätzlich auch Führungskräfte Arbeitnehmer. Der Bundesgerichtshof (BGH) verneint jedoch eine solche Anwendung des Arbeitnehmerprivilegs. Eine entsprechende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu dieser Thematik steht bislang noch aus.
In der Literatur ist umstritten, ob die dargestellten Haftungsbeschränkungen auch auf Führungskräfte ausgedehnt werden können. Zum Teil wird vertreten, eine entsprechende Privilegierung vor dem Hintergrund der Stellung in der Arbeitsorganisation sei schlicht abzulehnen. Selbst diejenigen, die eine Anwendbarkeit grundsätzlich bejahen, wollen die eigenverantwortliche und selbstbestimmte Tätigkeit von Führungskräften insoweit berücksichtigen, so dass bei den Sorgfaltsanforderungen ein strengerer Maßstab anzulegen ist.
Folgen für die Praxis
Solange diese vorstehende Frage der Anwendung von Haftungsbeschränkungen noch ungeklärt ist, sollten sich Führungskräfte ebenfalls mit dem Abschluss einer D&O-Versicherung auseinandersetzen. Weiterhin zeigt der Fall des BAG, dass die Zufälligkeit der Konstellation, ob man vertraglich als Arbeitnehmer oder als Geschäftsführer tätig ist, auch Argumente dafür liefert, eine etwaige Haftungsprivilegierung auch bei Organen geltend zu machen.