Herr Professor Hennrichs, erläutern Sie uns doch nochmals im Detail, was Sie mit dem INUR genau vorhaben?
Die Welt entwickelt sich zunehmend arbeitsteilig und differenziert nach Spezialgebieten. Das gilt auch für die Rechtswissenschaft. Die Aufteilung in die klassischen juristischen Säulen – Privatrecht, Öffentliches Recht, Strafrecht – ist bekannt. Das geht aber noch weiter: Gesellschaftsrecht neben Steuerrecht, selbst im Gesellschaftsrecht weitere Spezialisierungen, etwa zum Aktienrecht, dort weiter Spezialisten zum Recht des Aufsichtsrats usw. Oder im Steuerrecht: Experten zur Mitunternehmerbesteuerung, zur Körperschaftsteuer usw. Durch diese zunehmende Ausprägung von Spezialisierungen können gedankliche Silos entstehen. Für gebietsübergreifende Rechtsfragen ist das problematisch. Nachhaltigkeit ist ein gebietsübergreifendes Thema. Es betrifft sämtliche Felder des Unternehmensrechts: vom Zivilrecht angefangen über Fragen des Gesellschaftsrechts bis hin zu Unternehmensberichterstattung und Prüfung. Dabei stellen sich oft ähnliche Fragen. Es gibt beispielsweise beachtliche Querverbindungen zwischen der Nachhaltigkeitsberichterstattung und der Lieferkettenregulierung. Oder Greenwashing ist ein Thema, das sich im Kaufrecht, im Wettbewerbsrecht, im Gesellschaftsrecht und im Reporting und bei der Prüfung stellt.
Hier will das INUR ansetzen und die verschiedenen Teildisziplinen des Unternehmensrechts verknüpfen. Wir bündeln unsere an der Universität zu Köln stark ausgeprägten Kernkompetenzen im Wirtschaftsrecht und bringen die verschiedenen Spezialisten zusammen. Wir knüpfen ein Forschernetzwerk, bilden eine Forschergruppe. Das bringt neue Ideen, neue Akzente.
Natürlich kann man eine Thematik wie Nachhaltigkeit nicht allein aus juristischer Sicht erörtern. Alle Direktoren des INUR sind breit interdisziplinär vernetzt, insbes. mit den Wirtschaftswissenschaften. Diese interdisziplinäre Vernetzung setzen wir im INUR fort und vertiefen sie für Nachhaltigkeitsfragen. Das ist spannend und weiterführend. Da am Ende des Tages viele Nachhaltigkeitsfragen reguliert, also in Gesetze gegossen werden, braucht es andererseits nicht allein Klimaforscher und Ökonomen, sondern eben auch Juristen, die sich mit diesen Fragen befassen.
Last but not least verknüpfen wir Theorie und Praxis. Die Unternehmen sind es, die all die Regulierungsideen und -ansätze am Ende „ausbaden“ müssen. Vor allem die EU hat bisweilen die Tendenz zum Perfektionismus, zur Bürokratie und zur Überregulierung. Hier soll der intensive Austausch mit der Praxis mithelfen und Vorschläge erarbeiten, Maß zu halten. Das ist eine gewaltige Herausforderung, denn der Zeitgeist und die Brüsseler Bürokratie gehen leider in eine andere Richtung. Aber der konstruktive Dialog mit der Praxis ist wichtig und wertvoll. Außerdem kann nur dadurch verlässlich abgeschätzt werden, wie all die Regulierungen überhaupt wirken, welche Veränderungen sie tatsächlich anstoßen. Wir müssen die Regulierungswirkungen im Blick behalten, sonst regulieren wir möglicherweise am Problem vorbei.
Kurzum: Das INUR schafft ein intra- und interdisziplinäres Netzwerk zur umfassenden (versucht „ganzheitlichen“) Diskussion von Nachhaltigkeitsfragen mit Bezug zum Unternehmensrecht.
Das INUR vereint Wissenschaft, Praxis und Politik. Bleiben wir doch zunächst einmal bei der Wissenschaft. Klimaschutz und Nachhaltigkeit liegen uns allen, aber in besonderem Maße der jungen Generation am Herzen. Richtet sich das INUR auch an Studierende und wie wird das Institut von diesen angenommen und wie können sie konkret mitwirken?
Selbstverständlich richten wir uns auch an Studierende. Als Universitätsinstitut sind wir drei Säulen verpflichtet: Forschung, Lehre und Third Mission. Von Forschung und Third Mission (also der Vernetzung mit der Praxis und der Politikberatung) habe ich schon gesprochen. Die Lehre ist ein weiterer wichtiger Aspekt unserer Aktivitäten. Wir haben an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln jüngst einen neuen Schwerpunktbereich Nachhaltigkeit geschaffen. Ab dem Sommersemester 2024 kann man diesen neuen Schwerpunkt bei uns studieren. Dabei bieten wir nicht nur unternehmensrechtliche Themen an, sondern auch Nachhaltigkeitsaspekte des öffentlichen Rechts und des Strafrechts.
Auch sonst ist das Interesse seitens der Studierenden an Nachhaltigkeitsfragen sehr hoch. Das zeigt beispielsweise auch meine Mitarbeit im Nachhaltigkeitsrat der Universität zu Köln. Die Studierendenvertreter machen da sehr deutlich, was sie von einer modernen Universität erwarten. Nicht alle Erwartungen können oder wollen wir bedienen. Für die Universität einen „Klimanotstand“ auszurufen, ist z. B. m. E. nicht wirklich empfehlenswert. Aber viele Anregungen greifen wir gern auf, sowohl in Forschung und Lehre – siehe INUR – als auch hinsichtlich unseres eigenen CO2-Abdrucks. Da ist noch viel zu tun.
Die Forschungsbereiche des INUR erstrecken sich auf Unternehmensberichterstattung und Prüfung (Reporting and Auditing), Unternehmensführung und Haftung (Corporate Governance and Responsibility) sowie die Unternehmensbesteuerung (Tax). Dabei wird frühzeitig der Austausch mit der Praxis gesucht. Welche Erwartungen haben Sie an die Praxis?
Von der Praxis erwarten wir uns vor allem zweierlei: Erstens Impulse für neue Fragen. Wo entstehen bei der praktischen Umsetzung der vielen neuen Regeln besonders Probleme? Wo hakt es und warum? Was könnte man aus Sicht der Praxis besser machen? Zweitens möchten wir aber auch erfahren und diskutieren, wie die Regulierungen in den Unternehmen tatsächlich umgesetzt werden, welche Prozesse neu aufgesetzt oder nachjustiert werden, welche Veränderungen in den Unternehmen wirklich angestoßen werden und welche Wirkungen die neuen Regeln haben.
Besonders unter dem drängenden Aspekt „E“ von ESG, also Umwelt und Klimaschutz, ist es wichtig, dass die Regulierung wirksam und passgenau ist. Denn eines ist klar: neue Regulierung kostet viel Geld. Dem erhöhten Aufwand zur Rechtsbefolgung sollte ein wirklicher Nutzen gegenüberstehen. Das ist leider derzeit nicht durchweg gewährleistet. Hier liegt nach meinem Eindruck noch viel Arbeit vor uns.