Ab wann muss ein Hinweisgebersystem implementiert sein?
Die Richtlinie (EU) 2019/1937 (sog. „Whistleblower-Richtlinie“) hätte bereits bis zum 17.12.2021 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Allerdings ist das in der vergangenen Legislaturperiode eingeleitete Gesetzgebungsverfahren zunächst gescheitert, so dass die Umsetzungsfrist nicht eingehalten wurde. Für Unternehmen aus dem öffentlichen Sektor dürfte jedoch von einer unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie auszugehen sein, so dass hier entsprechende Hinweisgebersysteme bereits implementiert sein müssten.
Private Unternehmen können grundsätzlich die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht abwarten. Damit ist nun zeitnah zu rechnen, auch wenn derzeit noch offen ist, wann das Gesetz in Kraft treten soll. Lediglich Arbeitgeber mit in der Regel 50 bis 249 Beschäftigten müssen ein entsprechendes Hinweisgebersystem erst bis 17.12.2023 implementieren, § 42 HinSchG.
Welche Unternehmen sind betroffen?
Insbesondere privatwirtschaftliche Unternehmen ab 250 Mitarbeitern oder einem Jahresumsatz von mehr als 10 Mio. Euro müssen nach dem vorliegenden Referentenentwurf schnellstmöglich sichere interne Meldekanäle vorhalten. Der Gesetzgeber hat für diese Unternehmen keine Übergangsregelung vorgesehen und dürfte sich darauf berufen, dass die Vorgaben der entsprechenden EU-Richtlinie bereits ab dem 17.12.2021 gegolten hätten.
Ebenso müssen öffentliche Einrichtungen, Behörden sowie Kommunen ab 10.000 Einwohnern Hinweisgebersysteme einführen - für diese ist bereits jetzt von einer unmittelbaren Geltung der EU-Richtlinie auszugehen.
Privatwirtschaftliche Unternehmen zwischen 50 und 249 Mitarbeitern haben für die Einführung eines Hinweisgebersystems bis 17.12.2023 Zeit.
Welche Arten von Hinweisgebersystemen sind möglich?
Für die hinweisgebenden Personen bestehen grundsätzlich zwei gleichwertig nebeneinanderstehende Meldewege. Hierbei handelt es sich zum einen um interne und zum anderen um externe Meldekanäle, § 7 HinSchG.
Interne Meldekanäle
Bei der genauen Ausgestaltung des internen Meldekanals besteht Gestaltungsspielraum, § 12 ff. HinSchG. Als Hinweisgebersystem bietet sich in erster Linie die Einrichtung einer elektronischen Meldemöglichkeit an; grundsätzlich genügt auch ein unternehmensinterner Briefkasten, wobei diese Option mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben einen erheblichen organisatorischen Aufwand erfordert. Zur Entgegennahme der Meldungen kann auch ein Rechtsanwalt als externer Ombudsmann beauftragt werden. In jedem Fall benötigt die betreffende Person hinreichende Kompetenzen, um die notwendige rechtliche Bewertung der Meldungen vornehmen zu können.
Die Meldewege müssen so ausgestaltet sein, dass die Hinweise in schriftlicher oder mündlicher Form erfolgen können. Außerdem sollte auf Wunsch des Hinweisgebers auch eine physische Zusammenkunft innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens ermöglicht werden.
In jedem Fall muss die Vertraulichkeit (Anonymität ist nicht vorausgesetzt) des Hinweisgebers gewahrt werden.
Die verschiedenen Meldemöglichkeiten können miteinander kombiniert werden. Welche Lösung favorisiert wird, hängt vom konkreten Einzelfall, u. a. von Größe, Struktur und Weiträumigkeit der Unternehmensorganisation und letztlich davon ab, ob intern eine fachlich geeignete Person bestimmt werden kann.
Zusätzlich sollte (hierzu besteht aber keine Verpflichtung) das Hinweisgebersystem auch von Personen außerhalb des Unternehmens genutzt werden können. So sollten die Unternehmen den Meldekanal möglichst so gestalten, dass dieser auch Arbeitnehmern von Geschäftspartnern des Unternehmens bzw. der Unternehmensgruppe sowie Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit von dem Unternehmen Informationen erhalten, offensteht. Hierbei handelt es sich etwa um Organmitglieder und Aktionäre des Unternehmens, Bewerber, Selbstständige bzw. ehemalige Arbeitnehmer.
Externe Meldekanäle
Neben der Etablierung eines internen Meldesystems müssen die Unternehmen ihren Mitarbeitern als potenziellen Hinweisgebern aber auch verständliche und leicht zugängliche Informationen über die Möglichkeiten externer Meldungen an bestimmte Behörden erteilen.
Anders als bisher hat die interne Meldung keinen Vorrang mehr. Der Hinweisgeber kann entscheiden, ob er Verstöße unternehmensintern meldet oder sich extern an eine Behörde wendet, § 7 Abs. 1 HinSchG. Unternehmen sollten deshalb im eigenen Interesse dafür Sorge tragen und Anreize schaffen, dass das interne Meldesystem in Anspruch genommen wird.
Welche Meldungen genießen Whistleblower-Schutz?
Das Hinweisgeberschutzgesetz geht in seinem Anwendungsbereich über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus. Danach sind Hinweisgeber bei der Meldung von Verstößen geschützt, die strafbewehrt oder (mit einigen Einschränkungen) bußgeldbewehrt sind, § 2 Abs. 1 und 2 HinSchG. Darüber hinaus erstreckt sich der sachliche Anwendungsbereich auf sonstige Verstöße gegen Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder sowie unmittelbar geltende Rechtsakte der EU und der Europäischen Atomgemeinschaft, § 2 Abs. 3 HinSchG. Darunter fallen u. a. insbesondere folgende Bereiche:
- die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung
- Produktsicherheit und -konformität,
- Verkehrssicherheit inklusive Eisenbahnsicherheit, Seeverkehr und die Luftverkehrssicherheit,
- Umweltschutz,
- Strahlenschutz und kerntechnische Sicherheit,
- Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz,
- öffentliche Gesundheit,
- Verbraucherschutz,
- Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie Sicherheit von Netz- und Informationssystemen.
Whistleblower-Meldung - und dann?
Geht eine Whistleblower-Meldung im Unternehmen ein, ist die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und Dritter, die in der Meldung erwähnt werden, zu wahren, § 8 HinSchG.
Unbefugte Mitarbeiter dürfen keinen Zugriff auf die Meldung haben. Nicht erforderlich ist die Etablierung anonymer Hinweisgeber-Systeme bzw. die Möglichkeit zur anonymen Hinweisabgabe. Dem Hinweisgeber muss der Eingang der Meldung innerhalb von sieben Tagen bestätigt werden.
Die Unternehmen müssen eine unparteiische Person oder Abteilung benennen, die basierend auf den Meldungen Folgemaßnahmen, etwa interne Nachforschungen und Ermittlungen, ergreift. Dabei kann es sich um die gleiche Person oder Abteilung handeln, die Meldungen entgegennimmt. Zudem müssen die Hinweisgeber in einem angemessenen zeitlichen Rahmen, konkret innerhalb von maximal drei Monaten, zu veranlassten Reaktionen auf die Meldung eine Rückmeldung geben.
Die eingehenden Meldungen sind vom Unternehmen zu dokumentieren, § 11 HinSchG. Ggf. sollte dem Hinweisgeber die Dokumentation zum Zwecke der Verifizierung vorgelegt werden.
Da es den Hinweisgebern offensteht, den Weg der internen oder externen Meldung zu beschreiten, sollten Unternehmen dringend professionelle interne Strukturen schaffen.. Nur wenn Hinweisgeber darauf vertrauen können, dass Unternehmen Hinweise ernst nehmen, ihnen sorgfältig nachgehen und Straftaten und Unregelmäßigkeiten aufklären und angemessen sanktionieren, werden sie sich interner Meldestrukturen bedienen.
Schutzwirkung für den Hinweisgeber
Whistleblower genießen nur dann rechtlichen Schutz, wenn ein berechtigter Grund zu der Annahme bestand, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen, in den Anwendungsbereich des Gesetzes fielen und sie diese über die vorgegeben internen oder externen Meldekanäle abgegeben haben, § 9 Abs. 1 HinSchG. Unter diesen Voraussetzungen verbietet der Referentenentwurf jede Form von Repressalien, Diskriminierungen oder Benachteiligungen, § 33ff. HinSchG. Die Hinweisgeber müssen bei einer ordnungsgemäßen Meldung keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen befürchten. Im Falle eines arbeitsrechtlichen Prozesses sieht der Referentenentwurf eine Beweislastumkehr zugunsten des Hinweisgebers vor, § 36 Abs. 2 HinSchG. Danach muss der Arbeitgeber beweisen, dass kein Zusammenhang mit der Meldung des Hinweises durch den Arbeitnehmer bestand. Im Übrigen sieht der Referentenentwurf bei Verstößen Sanktionierungen mit empfindlichen Geldbußen zwischen 20.000 und 100.000 Euro vor, § 40 HinSchG. Diese Bußgelder können sowohl die Verantwortlichen als auch (über § 30 OWiG) die jeweiligen Unternehmen betreffen.
Dringender Handlungsbedarf - ab sofort!
Speziell für mittelständische Unternehmen wird die Umsetzung des Hinweisgeberschutzgesetzes nicht zu unterschätzende Auswirkungen haben, da Hinweisgebersysteme dort bisher ganz regelmäßig noch nicht bestehen. Sofern solche Systeme bereits vorhanden sind, erfüllen sie häufig zumindest nicht die nunmehr anstehenden, gesetzlichen Vorgaben. Insofern ist es ratsam, sich schnellstmöglich mit der Implementierung eines solchen Systems einschließlich der gesetzlichen Rahmenbedingungen auseinander zu setzen und Personen mit den anstehenden Aufgaben betrauen. Um einen Anreiz für interne Meldungen zu schaffen und hierdurch möglichen Rufschädigungen durch Bekanntwerden eventueller Missstände vorzubeugen, sollten Unternehmen möglichst von Anfang an ein transparentes internes Meldesystem aufsetzen und die Mitarbeiter darüber informieren. Flankierend hierzu sollte eine unternehmensinterne Hinweisgeberrichtlinie implementiert bzw. in einen Code of Conduct eingebettet werden.
Mit diesen Maßnahmen sollte unbedingt begonnen werden, um neben den technischen Anforderungen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, etwa mögliche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats und datenschutzrechtliche Anforderungen, unmittelbar zu klären.