Der Sachverhalt:
Wegen anhaltender Ertragsschwäche war die Liquidation der Klägerin mit dem Ziel beschlossen worden, nach Ausverkauf des Warenbestandes das Geschäftslokal zu schließen. In der Folgezeit beantragte die Klägerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Noch am gleichen Tag wurde die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270a InsO angeordnet und Rechtsanwalt X zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Kurz darauf wurde wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren angeordnet. Zugleich wurde die Eigenverwaltung angeordnet und Rechtsanwalt X zum Sachwalter ernannt. Die Schuldnerin sollte berechtigt sein, unter der Aufsicht des Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen (§§ 270 - 285 InsO).
Für die Monate Februar bis April 2017 gab die Klägerin Umsatzsteuer-Voranmeldungen ab. Das Finanzamt stellte sich auf den Standpunkt, dass es sich bei den Umsatzsteuern aus der vorläufigen Eigenverwaltung (01.02.2017 bis 30.04.2017) nicht um Insolvenzforderungen, sondern um Masseverbindlichkeiten handele. Für den Monat Februar 2017 setzte es dementsprechend die Umsatzsteuer fest. In der Anlage zu dem Bescheid war festgehalten, dass es sich um Masseverbindlichkeiten nach §§ 270a, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 55 Abs. 4 InsO handele.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim BFH unter dem Az.: V R 19/19 anhängig.
Die Gründe:
Das Finanzamt hat zu Unrecht entschieden, dass die Umsatzsteuer, die im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung (§ 270a InsO) entstanden ist, eine Masseverbindlichkeit ist.
Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO steht dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen aus eigenem Recht zu, soweit das Insolvenzgericht keine beschränkenden Anordnungen erlässt. Insolvenzspezifische Befugnisse sind dem Schuldner nicht zugewiesen. Die Rechtsstellung des Schuldners im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren entspricht daher nicht der Rechtsstellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 22 Abs. 1 InsO.
Gegen die Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO spricht zudem in systematischer Hinsicht die gesetzliche Regelung in § 270b Abs. 3 InsO. Danach hat das Gericht im Schutzschirmverfahren auf Antrag des Schuldners anzuordnen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründen darf. Nach § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO gilt in diesem Fall § 55 Abs. 2 InsO entsprechend. Die Regelung in § 270b Abs. 3 InsO stellt sich als eine von einer gerichtlichen Anordnung abhängige Privilegierung des Schuldners im Schutzschirmverfahren gegenüber dem Schuldner im eigenverwalteten Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO dar. Ihr liegt ersichtlich die Annahme zugrunde, dass ein Schuldner im Verfahren nach § 270a InsO nicht wie ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter nach § 55 Abs. 2 InsO auch ohne Anordnung des Gerichts Masseverbindlichkeiten begründen kann. Ebenso wenig lässt sich die Begründung von Masseverbindlichkeiten aus § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 275 InsO herleiten. Denn keine Masseverbindlichkeiten wären dann nur Verbindlichkeiten, die vom Schuldner außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs ohne Zustimmung des vorläufigen Sachwalters oder gegen dessen Widerspruch begründet wurden. Und das kann nicht sein.
Zu Recht geht hiernach der BGH in dem angeführten Urteil vom 22.11.2018 (IX ZR 167/16) davon aus, dass dem praktischen Bedürfnis, dem Schuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren Masseverbindlichkeiten im erforderlichen Umfang zu möglichen, dadurch Rechnung getragen werden kann, dass das Insolvenzgericht die notwendigen Ermächtigungen anordnet, wovon im Streitfall keinen Gebrauch gemacht worden ist. Für das nicht auf eine Eigenverwaltung zielende Eröffnungsverfahren ist anerkannt, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter auch dann, wenn dem Schuldner kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt worden ist, die Verfügungsbefugnis deshalb nicht auf den vorläufigen Verwalter übergegangen ist (§ 22 Abs. 2 InsO) und dieser deshalb von der Regelung in § 55 Abs. 2 InsO nicht erfasst wird, Masseverbindlichkeiten begründen kann, wenn er vom Insolvenzgericht im Einzelfall oder der Art nach konkret ermächtigt worden ist (BGH-Urt. v. 18.7.2002, IX ZR 195/01).
Rechtsgrundlage einer solchen Ermächtigung ist § 22 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO. Diese Möglichkeit besteht auch im eigenverwalteten Eröffnungsverfahren. Denn § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO gehört zu den allgemeinen Vorschriften, die über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auch im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren gelten. Dies steht auch nicht in Widerspruch zu § 270b Abs. 3 InsO, der für das Schutzschirmverfahren eine Pflicht des Gerichts zu einer entsprechenden Anordnung auf Antrag des Schuldners vorsieht. Denn § 270b Abs. 3 InsO ist keine anderweitige Bestimmung im Sinne von § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO. Die Ermächtigung ist an den Schuldner zu richten, dem weiterhin die Befugnis zusteht, sein Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen.
Masseverbindlichkeiten lassen sich entgegen der Auffassung des Finanzamtes auch nicht aus § 55 Abs. 4 InsO herleiten. Eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift scheidet bereits deshalb aus, weil im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren kein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt ist. Ebenso wenig kommt eine analoge Anwendung in Betracht.
Linkhinweis:
- Der Volltext des Urteils ist erhältlich unter www.nrwe.de-Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW.
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.