Der Sachverhalt:
Im Februar 2003 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Im Jahr 2002 hatte die Schuldnerin Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis erteilt und die Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt. Im Jahr 2003 versagte das zuständige Finanzamt X einem der Empfänger dieser Rechnungen die Erstattung der Vorsteuer; es vertrat die Auffassung, dass die Schuldnerin keine Lieferungen erbracht und daher unberechtigt die Umsatzsteuer in ihren Rechnungen ausgewiesen habe. Die dagegen gerichtete Klage des Rechnungsempfängers hatte keinen Erfolg.
Das Finanzamt hat gegen die Schuldnerin Ansprüche aus Bescheiden über Umsatzsteuervorauszahlungen für Oktober bis Dezember 2002. Mit diesen Ansprüchen rechnete es gegen das Guthaben der Schuldnerin aus der Umsatzsteuer 2008 auf. Der Kläger wiedersprach der Aufrechnung. Daraufhin erließ das Finanzamt im Juli 2014 den hier streitigen Abrechnungsbescheid, mit dem es die Aufrechnungen bestätigte.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision des Finanzamts hatte keinen Erfolg. Der BFH änderte den Abrechnungsbescheid von Juli 2014 dahingehend, dass die darin ausgewiesene festgesetzte Umsatzsteuer nicht durch Aufrechnung mit Insolvenzforderungen erloschen ist.
Die Gründe:
Die vom Finanzamt erklärte Aufrechnung ist nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig.
Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Beruht der Erstattungsanspruch auf der Berichtigung eines unberechtigten Steuerausweises gem. § 14c Abs. 2 UStG, kommt es darauf an, ob bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt gewesen ist. 14c Abs. 2 UStG gewährt - ebenso wie § 17 Abs. 2 UStG - einen eigenständigen Berichtigungsanspruch. Die (zu berichtigende) Umsatzsteuer entsteht mit der Vornahme des unberechtigten Steuerausweises und besteht materiell-rechtlich nach § 14c Abs. 2 UStG bis zu einer Berichtigung des Steuerbetrags fort. Ob es zu einer solchen Berichtigung tatsächlich kommt, ist auch hier zum Zeitpunkt der Entstehung der Umsatzsteuer ungewiss.
Kommt es tatsächlich zu einer Rechnungsberichtigung, so wirkt diese erst für den Besteuerungszeitraum der Berichtigung ohne Rückwirkung auf den Besteuerungszeitraum der Rechnungserteilung. Die Berichtigung führt also nicht dazu, dass die nach § 14c UStG geschuldete Steuer rückwirkend auf den Zeitpunkt der Rechnungserteilung entfällt. Dies ist letztlich auch für die Frage entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Erstattungsanspruch des Rechnungsausstellers in Bezug auf § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entstanden ist. Soweit der erkennende Senat mit Urteil vom 4.2.2005 (VII R 20/04) zu § 14 Abs. 2 S. 2 UStG 1999 entschieden hat, dass ein entsprechender Anspruch insolvenzrechtlich bereits im Zeitpunkt der Rechnungsausgabe entsteht, hält er daran im Hinblick auf die geänderte BFH-Rechtsprechung nicht mehr fest.
Besteuerungszeitraum der Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags ist nach § 14c Abs. 2 S. 3 UStG der Zeitraum, in dem die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist. Nach § 14c Abs. 2 S. 4 UStG ist die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer der Finanzbehörde zurückgezahlt worden ist. Dies ist in dem Sinne zu verstehen, dass endgültig feststehen muss, dass jedwede Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen ist. Im vorliegenden Streitfall ist die Gefährdung des Steueraufkommens erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beseitigt worden.
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