Wie sieht es insb. mit den steuerlichen Rahmenbedingungen aus? Zahlreiche Wirtschaftsverbände, allen voran der Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI), fordern vom deutschen Gesetzgeber Reformen bei der Unternehmensbesteuerung, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmensstandorts zu sichern. Wo konkret Reformbedarf gesehen wird, darüber haben wir mit Frau Dr. Monika Wünnemann, Abteilungsleiterin Steuern und Finanzpolitik des BDI gesprochen.
Frau Dr. Wünnemann, nach der Bundestagwahl im September letzten Jahres dauerte es rund ein halbes Jahr, bis die neue Bundesregierung ihre Amtsgeschäfte aufgenommen hat. Sind Sie aus Sicht des führenden Wirtschaftsverbands Deutschlands mit deren bisherigen Arbeit in Sachen Steuerpolitik zufrieden?
Die Bundesregierung hat nach wie vor kein klares Konzept vorgelegt, wie sie mit einer weitsichtigen Steuerpolitik die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland nachhaltig sichern will. Der Koalitionsvertrag ist aus Sicht der Wirtschaft eine Enttäuschung und steuerpolitisch ist deutlich mehr Tatendrang in dieser Legislaturperiode gefordert.
Die Haushaltsspielräume sind deutlich größer als ursprünglich angenommen: Die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen steigen bis Ende 2022 auf rd. 906 Milliarden Euro (Steuerschätzung Mai 2018). Allein aus der Körperschaftsteuer nimmt der Fiskus zwischen 2017 und 2022 kumuliert über 34 Milliarden Euro zusätzlich ein (Ergebnisse des Arbeitskreises "Steuerschätzungen").
Als für steuerpolitische Fragen zuständige Abteilungsleiterin des BDI haben Sie bereits mehrfach eine Reform des Unternehmensteuerrechts gefordert. Wo sehen Sie konkret Reformbedarf?
Struktureller Reformbedarf besteht besonders beim Außensteuerrecht, denn die geltende – seit Jahrzehnten unveränderte – Hinzurechnungsbesteuerung führt zu einer Benachteiligung von Auslandsinvestitionen. Überfällig sind auch Nachbesserungen bei der Gewerbesteuer, die im Kontext europäischer Harmonisierung als Sonderweg Deutschlands nicht mehr zu rechtfertigen ist. Ansätze hierfür liegen auf dem Tisch und reichen von einer Korrektur der gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen bis zu einer Anrechnung der Gewerbesteuer bei der Körperschaftsteuer. Beseitigt werden müssen aber auch bestehende Hürden im Bereich des Körperschaftsteuer- und Umwandlungssteuerrechts, die den Unternehmen notwendige Umstrukturierungen erschweren.
Mit Blick auf die internationale Bühne, sehen Sie hier eine Kehrtwende der Steuerpolitik, weg vom Bestreben einer gerechten Besteuerung der Gewinne in den Staaten, in denen sie erwirtschaftet werden - Stichwort BEPS - wieder hin zu mehr Protektionismus und schädlichem Steuerwettbewerb zwischen den Staaten? Kann und muss da Deutschland mitziehen?
Auch im nunmehr fünften Jahr nach Beginn der BEPS-Initiative fällt die Bestandsaufnahme aus Sicht des Steuerstandortes Deutschlands ernüchternd aus. Schon im Verlauf der BEPS-Diskussionen auf OECD-Ebene wurde deutlich, dass die Initiative insbesondere auch dem Ziel einer Neuverteilung des Steueraufkommens zwischen den Staaten diente. Der internationale Steuerwettbewerb und Protektionismus hat im Nachgang des BEPS-Prozesses zugenommen und hieraus resultiert ein steigender Handlungsdruck in Deutschland, mitzuziehen. Im Wettbewerb nichts zu tun und abzuwarten bis Gewinne und Investitionen abwandern – das schadet dem Unternehmensstandort Deutschland.
Derzeit steht die Umsetzung einiger BEPS-Aktionspunkte noch aus. Auf EU-Ebene wurde vorgegeben, dass die Mitgliedstaaten u. a. für das kommende Jahr die Hinzurechnungsbesteuerung anpassen müssen. So wird jedenfalls nicht mehr an der starren Grenze einer Niedrigbesteuerung bei einer Steuerbelastung unter 25 % festgehalten werden können. Wie sieht aus Ihrer Sicht eine gute Reform der Hinzurechnungsbesteuerung aus?
Reformbedarf besteht vor allem bei der Niedrigsteuergrenze, aber auch systematisch bei anderen Punkten. Wenn zahlreiche EU-Mitgliedstaaten und selbst die USA nach der Steuerreform nun als Niedrigsteuerländer im Sinne des AStG gelten, ist die Niedrigsteuergrenze von 25 % nicht mehr passend. Eine Absenkung dieser Grenze auf 15 % ist dringend notwendig. Beseitigt werden muss damit auch der administrative Aufwand der Unternehmen, der durch entsprechende Erklärungspflichten der Unternehmen stetig ansteigt. Dazu gehört es auch, die Mehrbelastung durch die fehlende Anrechnung der ausländischen Ertragsteuer auf die deutsche Gewerbesteuer zu beseitigen.
Zudem muss der veraltete Aktivitätskatalog (§ 8 AStG) modernisiert werden, wobei hierbei – abweichend von den Vorgaben der ATAD-Richtlinie – keine Verschärfung bei Dividenden erfolgen darf. Schließlich muss der Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 AStG) begrenzt werden, so dass der Erwerb einer kleinen Beteiligung keine Hinzurechnungsbesteuerung mehr auslöst.
Die Hinzurechnungsbesteuerung ist auch ein gutes Beispiel dafür, welchem doch sehr vereinfachten Bild die Unternehmensteuerpolitik in den letzten Jahren folgt: international agierende Unternehmen vermeiden durch Gestaltungstricks Steuern, der einfache Bürger zahlt die Zeche. Deshalb fasst der Gesetzgeber mehr und mehr Vorgaben zur Bekämpfung von Steuervermeidung, teilweise sogar im vorauseilenden Gehorsam zu EU-weiten Vorgaben, wie z. B. bei der sog. Lizenzschranke. Ist das vereinbar mit einer zukunftsorientierten Standortpolitik?
Eine zukunftsorientierte Steuerpolitik darf nicht nur Missbrauchsbekämpfung und Steuerverteilungsgerechtigkeit zum Ziel haben, sondern notwendig ist auch der Mut zu strukturellen Reformen. Nur so kann ein starker Wirtschaftsstandort wie Deutschland, an dem die Unternehmen einen hohen Anteil an Wertschöpfung beitragen, langfristig wettbewerbsfähig bleiben.
Noch zahlen die deutschen Unternehmen den Großteil ihrer weltweiten Steuerlast in Deutschland. Angesichts steigender Investitionsanreize im Ausland und stetig wachsendem Export der deutschen Unternehmen ist dies in den nächsten Jahren nicht mehr selbstverständlich.
Der internationale Wettbewerb, dem Unternehmen in Deutschland ausgesetzt sind, macht sich insb. im Bereich der Forschung und Entwicklung bemerkbar. Staaten, die ehemals als Werkbank fungierten, haben hier rasant aufgeholt bzw. befinden sich auf der Überholspur. Kann hier eine steuerliche Forschungsförderung die Wettbewerbsposition stärken? Gehen die dazu derzeit vorliegenden Entwürfe weit genug?
Eine steuerliche Forschungsförderung in Deutschland ist ein wichtiges Signal, um die Rahmenbedingungen für mehr Forschung und Innovation in Deutschland im internationalen Standortwettbewerb zu verbessern. Die bisherigen Eckpunkte sind ein wichtiger Einstieg, sind aber nicht ausreichend. Mit der vorgeschlagenen Begrenzung auf Unternehmen mit bis zu 3000 Mitarbeitern werden vor allem auch diejenigen Unternehmen, die den wesentlichen Anteil an Forschungstätigkeiten leisten, von der Förderung ausgeschlossen. Die steuerliche FuE-Förderung muss allen Unternehmen zugänglich sein und hierfür gibt es aufkommensverträgliche Lösungen.
Was sollte der Gesetzgeber aus Ihrer Sicht möglichst gleich bzw. spätestens in 2019 in Sachen Unternehmensbesteuerung angehen?
Dauerhaft wird sich Deutschland keine höhere Steuerbelastung als andere Industriestaaten leisten können. Andere Länder machen es Deutschland vor, wie mit steuerlichen Rahmenbedingungen Standortpolitik betrieben wird. Mit einer durchschnittlichen Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften in Deutschland in Höhe von mehr als 30 % kann Deutschland im internationalen Wettbewerb um Investitionen kaum noch punkten. Für die in Deutschland vorherrschenden Personenunternehmen liegt die Steuerbelastung sogar noch höher.
In Deutschland gab es seit zehn Jahren keine nennenswerte Steuerstrukturreform mit Entlastungen für die Unternehmen. Die effektive Steuerlast der Unternehmen muss nun dringend auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau von max. 25 % gesenkt und das Unternehmensteuerrecht strukturell modernisiert werden.