Die Kommunikation zwischen den Unternehmen und den Finanzbehörden erfolgt zunehmend elektronisch, wie z. B. die Übermittlung von Steuerbescheiden per Datenfernübertragung vom Finanzamt an den Steuerpflichtigen. Ist aber die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten? Oder werden hier eher Aufgaben umverteilt? Darüber sprechen wir mit Herrn Dr. Christoph Habammer, Vizepräsident und Leiter des Bereichs Steuern des Bayerischen Landesamts für Steuern in München.
Herr Dr. Habammer, Digitalisierung in der Finanzverwaltung. Wie weit sind die Behörden? Steht die technische Ausrüstung? Und: Sind die Beamten entsprechend geschult?
Statistisch hat jeder Bürger etwa 1,6 Behördenkontakte pro Jahr, einen davon, immer nicht ganz freiwillig, mit dem Finanzamt. Auch deshalb ist es richtig, dass die Steuerverwaltung Vorreiter im e-government war und ist. Vorausgefüllte Steuererklärung, Vollmachtsdatenbank, ElsterOnline-Portal, vollautomatischer Verwaltungsakt sind Werkzeuge, die man vergeblich in anderen Verwaltungsbereichen sucht. Bereits heute sind über 90 % der Geschäftsprozesse in den Finanzämtern digitalisiert. Im Programmierverbund KONSENS arbeiten Länder und Bund arbeitsteilig und erfolgreich an einer weiteren Verbesserung. IT-Schulungen, arbeitsunterstützende Software und Hardware-Ausstattung sind aber nur ein Erfolgsfaktor der Digitalisierung. Mindestens ebenso wichtig ist es, die Beschäftigten einzubinden und im Veränderungsprozess zu überzeugen. Digitalisierung ist eben kein Verdrängungswettkampf zwischen Mensch und Maschine. Digitalisierung soll von Routinen entlasten, unterstützen und Zeitfenster für anspruchsvolle, kognitive Tätigkeiten des Menschen schaffen.
Die Finanzverwaltung steht ja nicht nur vor der Herkulesaufgabe, die eigenen Abläufe zu digitalisieren. Es geht ja insb. auch darum, Kompatibilität mit den in den Unternehmen genutzten IT-Systemen zu schaffen. Wie sieht es hier derzeit aus?
Mit den GoBD und GoBS/GdPDU hat die Verwaltung den Standard kommuniziert und damit die Grundvoraussetzung einer digitalen Kompatibilität geschaffen. Kompatibilität kann zu einer digitalen Kooperation zwischen Unternehmen und Verwaltung führen. Was ist das? Um Steuerrecht zutreffend anwenden zu können, benötigen beide Seiten hinreichende Informationen über die zugrunde liegenden Sachverhalte. Das gilt für die Verwaltung bei Veranlagung und Außenprüfung und für die Steuerabteilungen der Unternehmen. Konsens bei der Definition dieser jeweils notwendigen Informationsmenge bei Veranlagung und Außenprüfung, deren Standardisierung und die Arbeitsteilung bei der Informationsbeschaffung schonen Ressourcen auf beiden Seiten. Diese Vorteile steigen bei abgestimmten, medienbruchfreien Geschäftsprozessen und elektronischer Kommunikation.
Ein reibungsfreier, elektronischer Aufgriff in der Betriebsprüfung ermöglicht eine rasche, inhaltliche Schwerpunktsetzung, fördert Effizienz und einen zeitnahen Abschluss. Elektronische Verprobungen sowie Methoden wie der Zeitreihenvergleich, neue Prüfungstechniken oder die Schnittstellenverprobung werden bei den Außendiensten auch künftig einen hohen Stellenwert haben. Digitale Kooperation und Transparenz ist deshalb zum Vorteil aller Beteiligten. Ein Beispiel gelungener Kooperation ist die Entwicklung bei der E-Bilanz. 2014 wurden knapp 1 Mio. Datensätze übermittelt, 2017 waren es rund 2,5 Mio. Der Informationsinhalt der E-Bilanz wird in Arbeitsgruppen von Unternehmern, Beratern, Verbänden und Verwaltung im Konsens bestimmt.
Durch den Anwendungserlass zu § 153 AO sind Tax Compliance-Management-Systeme (TCMS) verstärkt in den Fokus wissenschaftlicher und auch praktischer Diskussion gekommen. Einzelne Stimmen aus der Beraterschaft haben hier aus unserer Sicht, über den steuerstrafrechtlichen Bereich hinaus, überzogene Erwartungen an die Verwaltung. Natürlich begrüßt die Verwaltung ein TCMS ihrer Kunden. Aber das TCMS als internes Kontrollsystem soll vor allem Fehlerrisiken bei der Steuererklärung minimieren. Das ist ein Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen. Die Außendienste prüfen weder interne Kontrollsysteme noch zertifizieren sie solche. Sie prüfen Sachverhalte und Grunddaten. Eine externe Validierung eines TCMS führt nicht generell zu prüfungsfreien Bereichen. Ein TCMS ermöglicht aber einen Risikoabgleich zwischen Verwaltung und Unternehmen und kann so im Einzelfall zu einer Prüfungsverkürzung führen.
Wie weit ist die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens aus Ihrer Sicht bereits vorangeschritten und was sind die nächsten Schritte?
Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens wurde das Recht an die elektronische Realität ausreichend angepasst. Die Möglichkeit, Steuern ausschließlich automationsgestützt festzusetzen, die gesetzliche Implementierung von Risikomanagementsystemen und die Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit bei der Amtsermittlung sind Instrumente, die die Verwaltung nutzen und ausbauen wird. Diese Änderungen gelten übrigens nicht nur für den Arbeitnehmerbereich, sondern für alle Steuerarten und für die Außenprüfung. Die Verwaltung wird als nächste Schritte ihre Datenqualität verbessern und versuchen, ihren Datenschatz, etwa durch analytische Verfahren, besser zu nutzen als bisher.
Zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung werden auf elektronischem Wege hochsensible Daten transferiert. Wie steht es um das Thema Datensicherheit. Können Steuerpflichtige sichergehen, dass nur die Finanzverwaltung diese Daten einsehen und bearbeiten kann?
Datensicherheit hat bei uns oberste Priorität.
Wie beurteilen Sie die Verteilung von Kosten und Nutzen durch die Digitalisierung? Sind Unternehmen - wie von deren Interessenverbänden oftmals zu hören - diejenigen, die mit zusätzlichem Verwaltungsaufwand zugunsten der Finanzverwaltung belastet werden? Oder sehen Sie hier eher eine Win-Win-Situation? Worin sehen Sie die wesentlichen Vorteile für Unternehmen durch die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens?
Bevor man vorschnell eine Win-Win-Situation proklamiert, sollten eine Zielbestimmung und ein Zielabgleich erfolgen. Unternehmen suchen Planungs- und Rechtssicherheit und fordern zu Recht einen zeitnahen Steuervollzug. Nur wenige Unternehmen haben Angst vor Entdeckung. Deshalb ist die immer wieder behauptete Kriminalisierung der Außenprüfung, auch nach den statistischen Zahlen, ein Mythos. Die Steuerverwaltung muss eine gleichmäßige Besteuerung sicherstellen, strebt nach einer möglichst hohen Einzelfallgerechtigkeit und orientiert ihr Handeln am Verifikationsbedarf der Sachverhalte. Steuerpflichtiger und Verwaltung haben eine gemeinsame Verantwortung für eine hinreichende Informationsmenge über den Sachverhalt. Durch die Internationalisierung und Digitalisierung des Wirtschaftslebens werden die Sachverhalte komplexer und sie entziehen sich vor allem durch die Beschleunigung der Prozessabläufe immer mehr den Aufklärungsmöglichkeiten der Verwaltung. Bekannte Folge ist die Erhöhung der Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten des Unternehmens, vor allem im internationalen Bereich. Hier schützt eine zeitnahe, standardisierte Dokumentation nicht nur vor Schätzungen, sondern sie ermöglicht erst die Rechtsanwendung. Einen anderen Weg sehe ich nicht.
Risikomanagementsysteme der Verwaltung setzen hinreichende und valide Daten zum Sachverhalt voraus. Beschleunigungseffekte und eine Verbesserung der Qualität von Prozessergebnissen lassen sich nur unter dieser Voraussetzung erreichen. Erst dann können die Regeln, die auf dem aus der Praxis erworbenen Erfahrungswissen unserer Beschäftigten beruhen, von einer Maschine abgearbeitet werden. Fehlt diese Informationsqualität, muss sie von Sachbearbeitern bei der Fallanalyse in einem aufwändigen und zeitraubenden Prozess erst hergestellt werden. Eine lückenlose Datenhistorie eines Betriebes ist deshalb Voraussetzung einer kooperativen steuerlichen Risikobeurteilung und auch günstigen Risikoeinstufung. Dies führt bei risikoarmen Unternehmen perspektivisch zu einer niedrigeren Wahrscheinlichkeit einer Außenprüfung oder zu einer Prüfungsverkürzung und gibt Möglichkeiten, den Kreis der zeitnah geprüften Unternehmen zu erweitern. Das ist der Vorteil für Unternehmen, die schon heute durch ihre Informationsqualität und -menge Kooperationsbereitschaft und den Willen signalisieren, sich rechtskonform zu verhalten.
Dieser Weg wird auch international beschritten. Im OECD Projekt ICAP (International Compliance Assurance Programme) soll ein Rahmen für eine kooperative Risikobeurteilung großer grenzüberschreitender Unternehmen entwickelt und mit acht Staaten erprobt werden. Deutschland hat sich bisher nicht am Pilotprojekt beteiligt. Aus Sicht der bayerischen Verwaltung ist das bedauerlich. Ein Interesse bestünde.
Wohin geht Ihrer Meinung nach die Reise in der Steuerberatung, wenn die Bereiche Finanzbuchhaltung, Lohnbuchhaltung und Steuerdeklaration voll digital, ggf. unter Einsatz von künstlicher Intelligenz, bearbeitet werden?
Die Digitalisierung und auch der Begriff künstliche Intelligenz lösen Ängste aus. Der Veranlagungsautomat, der Algorithmus als Rechtsanwender, machine learning als black box, deren Ergebnisse, auch gerichtlich, nicht nachvollziehbar sind, sind verbreitete Vorstellungen. Richtig ist, dass wir derzeit allein regelbasierte Systeme einsetzen, in denen das Erfahrungswissen unserer Beschäftigten steckt. Analytische Verfahren, maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz können aus unserer Sicht eine sinnvolle Ergänzung und Weiterentwicklung sein, die sich bei uns allerdings noch im Forschungs- und Entwicklungsstadium befindet. An selbstlernende Maschinen, die menschliche Entscheidungen bei Anwendung von Steuergesetzen substituieren und qualitativ übertreffen, denken wir dabei nicht. Wichtig ist auch, dass die Digitalisierung in Bayern kein Mittel zum Personalabbau in der Steuerverwaltung ist. Sie soll Zeit geben, Recht in komplexen Sachverhalten anzuwenden. Die Maschine wird den Menschen bei der Anwendung von Steuergesetzen nicht ersetzen können.
Und wie werden die Anforderungen an einen Finanzbeamten der Zukunft aussehen? IT-Spezialist mit Affinität für Steuern? Oder arbeiten klassische Finanzbeamte und Wirtschaftsinformatiker künftig Hand in Hand?
Die Interdisziplinarität wird steigen. Die Steuerverwaltungen werden mehr Statistiker und auch Wirtschaftsinformatiker benötigen. Jeder Finanzbeamte wird sich mit IT beschäftigen. Die Digitalisierung wird ihm Assistenzsysteme bringen, die ihn bei der Fallanalyse unterstützen. Sein Kerngeschäft bleibt aber die Auslegung und Anwendung von Gesetzen und das Ringen mit den Steuerpflichtigen um die Richtigkeit der Ergebnisse.