Starten wir doch zunächst einmal bei Ihnen, Frau Kladusak. Aus welchem Grund müssen Unternehmen zunehmend kriminalistische Ermittlungen anstellen?
In der Regel versuchen die Unternehmen im Falle von internen Untersuchungen zunächst einmal einen im Raum stehenden Vorwurf zu klären, also Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei kann es um unterschiedliche Sachverhalte gehen - die Bandbreite reicht von vermeintlichen Betrugsfällen bis hin zu Mobbing-Vorwürfen.
Das aktuell im Entwurf befindliche Hinweisgeberschutzgesetz, kurz HinSchG, stellt eine neue Dimension in Sachen interne Ermittlungen dar. Mag das Gesetz auch nicht direkt die Forderung stellen, interne Ermittlungen durchzuführen oder solche Strukturen im Unternehmen zu etablieren, so fordert es jedoch indirekt als logische Schlussfolgerung aus der Einrichtung eines Meldesystems, dass der Hinweis untersucht wird. Denn ohne Untersuchung kann erstens schlecht den Wahrheitsgehalt der Meldung festgestellt und zweitens in den wenigstens Fällen dem Hinweisgeber eine Antwort über das Ergebnis der Meldung geliefert werden.
Idealerweise gehen also derartige Hinweise über den im Unternehmen zu etablierenden internen Meldekanal ein und werden dann zunächst von Mitarbeitern aus z. B. dem Compliance-Bereich aufgegriffen und bearbeitet. Sofern sich in der ersten Prüfungsinstanz der Sachverhalt als relevant für eine Nachverfolgung erweist, erfolgt in der Regel eine Untersuchung, welche mit Hilfe eigener interner Ressourcen und/oder externer Spezialisten durchgeführt wird. In diesem Zusammenhang wird de facto Ermittlungsarbeit geleistet, um den Sachverhalt aufzuklären. Es werden bspw. Daten von der Festplatte und mobilen Geräten gesichert; es werden (forensische) Interviews mit relevanten Personen geführt; Daten analysiert etc.
Davon abgesehen mag aber auch die Begrenzung bzw. zunächst einmal die Ermittlung eines Schadens aus einem Delikt die Motivation unserer Mandanten für interne Ermittlungen darstellen. Viele Unternehmen verfolgen zudem eine sog. Zero Tolerance Policy in Bezug auf mögliche Compliance-Verstöße. Diese bedingt eben auch, dass Verstöße aufgeklärt und im Anschluss angemessen und begründet sanktioniert werden. Das kann ich nur, wenn ich vorher Beweise für das Fehlverhalten professionell zusammengestellt habe, also ermittelt habe.
Aufgrund des Hinweisgeberschutzgesetzes müssen Unternehmen ja in Kürze ein internes Meldesystem implementieren, das Mitarbeitende befähigt, Verdachtsfälle an eine vertrauliche Stelle zu melden. Was müssen Unternehmen tun, wenn nun eine solche Meldung eingeht, Herr Wollenschein?
Unternehmen sollten unbedingt erstens die Meldung dokumentieren. Zweitens müssen sie Hinweisgeber zeitnah, konkret spätestens nach sieben Tagen, über den Eingang der Meldung informieren und drittens Whistleblower über die Reaktion oder das Ergebnis der Ermittlungen auf den Hinweis informieren. Das soll laut Hinweisgeberschutzgesetz innerhalb von drei Monaten erfolgen.
Darüber hinaus liegt es im Eigeninteresse des Unternehmens, aktuellen sowie potentiellen Whistleblowern zu zeigen, dass auf Meldungen reagiert wird, ergo dass auf ernsthafte Meldungen intern ermittelt wird und dabei überführte Täter angemessen sanktioniert werden.
Unternehmen sollten deshalb dringend entsprechende Strukturen, also Meldesysteme implementieren und Ermittlungsfähigkeiten aufbauen.
Wie geht die interne Revision im Unternehmen bisher bei solchen Ermittlungen vor, Herr Wollenschein? Ändert sich hieran etwas?
An der Art und Weise, wie bei Hinweisen ermittelt wird, ändert sich durch das Hinweisgeberschutzgesetz gar nicht so viel. Was sich aber sicherlich ändert, ist der erhöhte Druck bei internen Ermittlungen, Ergebnisse zu liefern. Konkret bedeutet dies, dass die Unternehmen den entsprechenden Nachweisen nachgehen müssen. Mit „Ergebnissen“ meine ich dementsprechend nicht, dass so und so viele Täter pro Jahr überführt werden oder so und so viel Schadenssumme gemeldet wurde. Ein Ermittlungsergebnis kann auch sein, dass doch kein Schaden eingetreten ist und sich der Verdacht nicht erhärtet. Hier lastet bei manchen Unternehmen ein falscher Druck auf den Ermittlungsabteilungen.
Wichtig ist, dass das Unternehmen professionell strukturierte und dokumentierte Vorgehensweisen vorhält, die Betroffenen und Beobachtern vermitteln, dass sauber und angemessen ermittelt und sanktioniert wird.
Daher werden ab jetzt auch Unternehmen interne Ermittlungen durchführen, die bis dato keine entsprechenden Kapazitäten hatten. Denn nochmal: Es geht um die Glaubwürdigkeit, dass das Unternehmen „vor seiner eigenen Tür kehren“ kann. Ansonsten nutzen potenzielle Whistleblower lieber externe Meldekanäle bzw. gehen an die Öffentlichkeit. Das ist meistens nicht im Sinne des Unternehmens.
Experten wie Herr Stuke und unser GRC-Team unterstützen Unternehmen beim Aufbau der Strukturen und akuten Ermittlungen.
Gerade im Fall eines Whistleblowings macht es wahrscheinlich Sinn, dass die zuständige Instanz im Unternehmen zunächst das vertrauliche Gespräch mit dem Hinweisgeber sucht. Wie sollte ein solches Gespräch geführt werden, um den Tatvorwurf aufzuklären, Herr Stuke?
An oberste Stelle steht der Schutz der Vertraulichkeit des Hinweisgebers. Deshalb sollte das Gespräch vornehmlich in öffentlich zugänglichen Räumen außerhalb des Unternehmens geführt werden. Dafür bieten sich Cafés, Hotellobbies oder gar Spaziergänge an. Suchen Sie zunächst alleine das persönliche Gespräch. Dies schafft mehr Vertrauen und erhöht die Chance, dass sich die Person Ihnen gegenüber leichter öffnet.
Bei der eigentlichen Gesprächsführung kommt es sehr stark auf den Anlass an: Geht es hier um einen Sachverhalt, bei dem die hinweisgebende Person als außenstehender Zeuge eine Unregelmäßigkeit wahrgenommen hat, wird man sich an Fragen zur Sachverhaltsklärung orientieren. Die DIN ISO 37002 gibt hier ein paar gute Anhaltspunkte zu den sachverhaltsbezogenen Fragen, die Sie stellen sollten.
Ist die hinweisgebende Person allerdings zugleich auch Opfer, weil sie z. B. durch sexuelle Übergriffe oder Mobbing unmittelbar betroffen war, bedarf es zumindest einiger Grundkenntnisse im Umgang mit dissoziativen Störungen. Diese Störungen werden durch das Wiedererleben belastbarer Momente durch die Eigenerzählung ausgelöst und führen dazu, dass Betroffene ihre Äußerungen und Empfindungen nicht mehr richtig kontrollieren können. Erinnerungslücken, zusammenhangslose Äußerungen oder starke Emotionen verzerren das Bild, das sich der Interviewer über den Vorfall machen möchte.
Darüber hinaus empfiehlt es sich, sich mit dem „kognitiven Interview“ nach Fisher/Geiselman vertraut zu machen. Diese wissenschaftlich abgesicherte Befragungsmethode erhöht die Gedächtnisleistung von Zeugen um durchschnittlich 35 %. Das „kognitive Interview“ basiert u. a. auf dem gedächtnispsychologischen Phänomen der sog. Enkodierspezifität: Der Interviewer unterstützt seinen Gesprächspartner dabei, sich gedanklich wieder in die Situation zum Zeitpunkt der Wahrnehmung des Ereignisses hineinzuversetzen. Das „kognitive Interview“ wird wegen seiner Wirksamkeit seit vielen Jahren nicht nur als professionelles Explorationswerkzeug in der Psychoanalyse und -therapie eingesetzt, sondern es ist auch mittlerweile zum internationalen Standard bei Zeugenbefragungen in Sicherheitsbehörden avanciert.
Nach der zu vermuteten Rechtslage in Zusammenhang mit den gesetzlichen Regelungen zum Hinweisgeberschutz wird auf Basis des derzeitigen Gesetzentwurfs (§ 11 Abs. 3 HinSchG-E) eine Dokumentation dieses Gespräches als Wortprotokoll oder Tonaufzeichnung statthaft sein, wenn die hinweisgebende Person diesem ausdrücklich vorher zugestimmt hat. Es empfiehlt sich, diese Zustimmung gesondert zu dokumentieren sowie die Bestätigung über die Richtigkeit des Wortprotokolls nachträglich einzuholen.
Sobald die Beweislage es zulässt, geht es in das Interview mit dem Beschuldigten. Dabei geht es darum, herauszufiltern, ob eine Aussage richtig oder falsch ist. Wie führt man eine solche investigative Befragung durch?
Investigative Interviews sind komplex. Je besser Sie sich vorbereiten, desto größer sind Ihre Erfolgsaussichten. Sie planen am besten im Vorfeld Ihr gesamtes Befragungsverhalten vom Beginn des Gespräches bis zu seiner Beendigung.
Investigative Gesprächsführung ist eine Domäne der forensischen Aussagepsychologie. Diese hat für jede dieser unterschiedlichen Phasen klare Handlungsempfehlungen und Verhaltensweisen formuliert, an die Sie sich halten sollten.
Wenn Sie einen verdächtigen Gesprächspartner mit der Beweis- oder Indizienlage konfrontieren wollen, sollten Sie die sog. „Strategic Use of Evidence Technique“ nach Granhag/Hartwig anwenden. Die wissenschaftlich belegte Erfolgsaussicht dieser Technik liegt bei über 85 %. Sie ist damit „der Ferrari“ unter den Befragungsmethoden. Mit dieser Technik können Sie systematisch testen, ob Ihr Gesprächspartner Sie anlügt. Dabei stellen Sie zunächst nur Fragen, deren Antworten Sie bereits kennen. Insbesondere an der Schnittstelle von Wirtschaftskriminalität und Arbeitsrecht ist diese Technik bedeutsam, weil Sie dem Beschuldigten im Zweifelsfall nicht nur die Tat nachweisen können, sondern auch gegenüber der Personal- oder Geschäftsleitung belegen können, ob Ihr Gesprächspartner ggf. nachträglich im Interview versucht hat, sein Fehlverhalten zu verschleiern.
Bei der Anwendung dieser Befragungsmethode werden in einer festgelegten Reihenfolge zu jedem Beweis immer vier Fragen mit einem unterschiedlichen Präzisionsgrad gestellt. Dabei ist es wichtig, dass Sie die Beweislage nicht offenlegen, sondern diese nur spät, vage und häppchenweise präsentieren. So kann Ihr Gesprächspartner nicht einschätzen, über welche für ihn kritische Informationen Sie verfügen. Das macht es ihm nicht nur schwer, eine Lüge glaubhaft vorzutragen, sondern es animiert ihn auch zur Wahrheit.
Welche Fehler sollten unbedingt vermieden werden? Oder anders gefragt: Welche Interviewtechniken empfehlen Sie dabei?
Vermeiden Sie jeden gesprächsatmosphärischen Druck. Je mehr Sie sich um ein freundliches Befragungsklima bemühen, desto größer werden Ihre Chancen auf eine umfassende und wahrheitsgetreue Aussage. Die Aussagepsychologie bezeichnet diese positiv besetzte Grundstimmung als Rapport (franz. Verbindung). Dieser Gedanke wurde aus der Psychotherapie in die professionelle Vernehmungs- und Interviewtechnik übertragen. Rapport ist ein taktisches Kommunikationsmittel, das bei Ihrem Gesprächspartner das Gefühl auslösen soll, er/sie könne die Situation kontrollieren. Vermeiden Sie alles, was der andere als unangenehm empfinden könnte.
Unterbrechen Sie Ihren Gesprächspartner nie; auch wenn es sich um viele für Sie uninteressante Nebensächlichkeiten handelt. Je mehr Ihr Gegenüber redet, desto einfacher ist es für Sie, etwaige Unstimmigkeiten zu enttarnen. Ein Lügner muss sich kognitiv anstrengen, um sich nicht in Widersprüche zu verwickeln. Je länger er redet, desto schwerer wird es für ihn, diese Kompensationsanstrengungen zu unternehmen. Lange Redepassagen des Gegenübers ermöglichen Ihnen zudem das Erkennen sog. Realkennzeichen. Das sind Merkmale in Aussagen, deren Vorkommen tendenziell eher für Wahrheit als für Lügen spricht. Eines dieser Merkmale ist u. a. die ungeordnete Erzählweise, bei der der Erzähler bei der Schilderung eines bspw. komplexen Urlaubserlebnisses beliebig zwischen den verschiedenen, erlebten Episoden an unterschiedlichen Orten in seiner Schilderung hin- und herspringen kann. Lügner tendieren dazu, erfundene Geschichte chronologisch zu schildern, weil ihnen mangels Erlebnishintergrundes die kognitive Leistungsfähigkeit fehlt, Ausgedachtes komplex miteinander zu verweben. Insgesamt gibt es 19 Realkennzeichen, mit denen auch forensische Glaubhaftigkeitsgutachter bei Strafgerichten den Wahrheitsgehalt zielsicherer einschätzen.
Es geht also darum, Ihren Gesprächspartner zum Reden zu animieren. Das erreichen Sie, indem Sie nur offene Fragen stellen und ihn immer wieder bitten, noch mehr und noch mehr zu erzählen. Ihr eigener Redeanteil in einem Interview sollte nicht über 20 % liegen.