Der Sachverhalt:
Die im Jahr 1950 geborene Klägerin hatte am 27.12.2003 mit einem Anbieter einen zertifizierten Altersvorsorgevertrag (Banksparplan) abgeschlossen. Entsprechend § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AltZertG a.F. sah dieser vor, dass die Auszahlung ausschließlich in Form einer lebenslangen monatlichen Leibrente oder eines Auszahlungsplans mit monatlichen Teilraten und anschließender lebenslanger Teilkapitalverrentung möglich sein sollte.
Im Jahr 2014 vereinbarte die - zu diesem Zeitpunkt 64-jährige - Klägerin mit dem Anbieter, das vorhandene Altersvorsorgeguthaben angesichts der geringen Höhe der sich ergebenden laufenden Leistungen zu Beginn des Jahres 2015 in Form einer Einmalleistung auszuzahlen. Dies war möglich geworden, weil - zeitlich nach dem Vertragsschluss - durch das Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) mit Wirkung zum 1.1.2005 in § 93 Abs. 3 EStG eine Regelung geschaffen worden war, wonach die Kapitalabfindung einer Kleinbetragsrente zu Beginn der Auszahlungsphase als unschädliche Verwendung anzusehen ist.
Infolgedessen zahlte der Anbieter der Klägerin am 2.1.2015 einen Betrag von 9.026 € aus, der sich wie folgt aufgliederte:
- Beträge (Eigenleistungen der Steuerpflichtigen sowie Zinsen), die durch eine Altersvorsorgezulage oder den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG gefördert worden sind;
- Zinsen, die nicht gefördert worden sind;
- Eigenleistungen der Steuerpflichtigen, die nicht gefördert worden sind.
Das Finanzamt besteuerte die Kapitalabfindung i.H.v. 8.877 € als "Leistung aus einem Altersvorsorgevertrag" gem. § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in vollem Umfang und i.H.v. 51 € (nicht geförderte Zinsen) gem. § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. c EStG ebenfalls in vollem Umfang. Der weitere Teilbetrag von 96 € blieb unbesteuert, da er nicht gefördert worden war. Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur weiteren Sachaufklärung und erneuten Entscheidung an das FG zurück.
Gründe:
Zu Recht hat das Finanzamt denjenigen Teil der Kapitalabfindung, der auf Beträgen (Eigenleistungen sowie Zinsen) beruhte, die durch eine Altersvorsorgezulage oder den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG gefördert worden waren (8.877 €), dem Besteuerungstatbestand des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG zugeordnet. Denn bereits der Wortlaut der Regelung, nach der u.a. "Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen" zu den steuerpflichtigen sonstigen Einkünften gehören, war im Streitfall erfüllt, da die Kapitalabfindung eine Leistung aus dem von der Steuerpflichtigen abgeschlossenen Altersvorsorgevertrag darstellt.
Die Systematik der nachgelagerten Besteuerung gebietet es, den Begriff des "Altersvorsorgevertrags" in § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG - insoweit abweichend von der Definition des § 82 Abs. 1 Satz 1 EStG - dahingehend zu verstehen, dass hierfür das Vorhandensein eines Altersvorsorgevertrags genügt, ohne zusätzlich vorauszusetzen, dass dieser auch noch im Zeitpunkt der Vornahme der Auszahlung zertifiziert sein muss. Nach der Systematik des § 22 Nr. 5 EStG kommt es nämlich nicht auf die (aktuelle) Zertifizierung des Vertrags im Ganzen an, sondern vielmehr darauf, ob für den einzelnen zuvor geleisteten Beitrag die Voraussetzungen des § 10a oder des Abschn. XI des EStG - zu denen die Zertifizierung gehört - vorgelegen haben (§ 22 Nr. 5 Satz 2 EStG). § 93 Abs. 1 EStG - mit der Folge der einkommensteuerlichen Erfassung der Kapitalabfindung nach § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. c EStG statt nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG - ist in den Fällen des § 93 Abs. 3 EStG weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.
Hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes (§ 34 Abs. 1 EStG) auf die Kapitalabfindung vorliegen, war der Rechtsstreit nicht jedoch entscheidungsreif. § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG war im Streitjahr noch nicht anwendbar und hat für die früheren Zeiträume keine entscheidende Bedeutung. Denn erst mit Wirkung ab dem 01.01.2018 ist dem § 22 Nr. 5 EStG ein Satz 13 angefügt worden, wonach für Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen nach § 93 Abs. 3 EStG die in § 34 Abs. 1 EStG geregelte Steuersatzermäßigung entsprechend anzuwenden ist. Im Streitjahr 2015 konnte diese Rechtsfolge der Besteuerung der Kapitalabfindung nicht zugrunde gelegt werden. Auch hatte das FG zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG verneint. Es hatte aber keine Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG getroffen, so dass der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen werden musste.