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Kartellordnungswidrigkeit: Bußgeld gegen Rechtsnachfolger nur bei Nahezu-Identität

BGH 16.12.2014, KRB 47/13

Nach § 30 Abs. 1 OWiG kann ge­gen den Rechts­nach­fol­ger ei­ner ju­ris­ti­schen Per­son oder ei­ner Per­so­nen­ver­ei­ni­gung we­gen ei­ner vor In­kraft­tre­ten des § 30 Abs. 2a OWiG be­gan­ge­nen Tat ein Bußgeld nur dann verhängt wer­den, wenn zwi­schen der früheren und der neuen Vermögens­ver­bin­dung bei wirt­schaft­li­cher Be­trach­tungs­weise Na­hezu-Iden­tität be­steht. Dies gilt selbst bei uni­ons­rechts­kon­for­mer Aus­le­gung und un­ter Berück­sich­ti­gung der Vor­schrift des § 81 Abs. 4 GWB in der Fas­sung der 7. GWB-No­velle zur Be­mes­sung der Un­ter­neh­mens­geldbuße.

Der Sach­ver­halt:
Das OLG hatte die Ne­ben­be­trof­fene vom Vor­wurf ei­ner Kar­tell­ord­nungs­wid­rig­keit frei­ge­spro­chen. Bei der Ne­ben­be­trof­fe­nen han­delte es sich um die Ge­samt­rechts­nach­fol­ge­rin der ma­xit Deutsch­land GmbH (Ma­xit), ei­nes bun­des­weit in der Her­stel­lung und im Ver­trieb von Tro­ckenmörtel täti­gen Un­ter­neh­mens. Ma­xit wurde im Juni 2009 auf die Ne­ben­be­trof­fene ver­schmol­zen, die Ver­schmel­zung im Juli 2009 in das Han­dels­re­gis­ter ein­ge­tra­gen.

Ge­gen Ma­xit war ein Bußgeld­be­scheid er­las­sen wor­den, weil ihr da­ma­li­ger - mitt­ler­weile rechtskräftig mit einem Bußgeld be­leg­ter - Ge­schäftsführer sich bei einem Tref­fen im Ok­to­ber 2005 mit an­de­ren Spit­zen­ver­tre­tern von Mörtel­her­stel­lern über die je­weils be­ste­hen­den Ab­sich­ten im Hin­blick auf die Einführung ei­ner Si­lostell­gebühr aus­ge­tauscht habe und die Her­stel­ler, die Mörtel­men­gen über 5 Ton­nen in Si­los di­rekt an die Bau­stel­len der Ver­ar­bei­ter trans­por­tie­ren, in der Fol­ge­zeit bei ih­ren Ab­neh­mern ein zusätz­li­ches Ent­gelt für die Si­lo­ge­stel­lung durch­setz­ten.

Das OLG war der An­sicht, dass die Vor­aus­set­zun­gen für die Verhängung ei­ner Geldbuße ge­gen die Ne­ben­be­trof­fene nach § 30 OWiG nicht vorlägen. Der Ge­schäftsführer sei nur für Ma­xit, nicht aber für die Ne­ben­be­trof­fene tätig ge­wor­den. Im Zeit­punkt der Ver­schmel­zung sei die Kar­tell­ord­nungs­wid­rig­keit des Ge­schäftsführers be­reits be­en­det ge­we­sen. Hier­ge­gen rich­tete sich die Rechts­be­schwerde der Ge­ne­ral­staats­an­walt­schaft, der das Bun­des­kar­tell­amt bei­ge­tre­ten war. Der Ge­ne­ral­bun­des­an­walt be­an­tragte ihre Ver­wer­fung gem. § 79 Abs. 5 OWiG. Die EU-Kom­mis­sion hat nach Art. 15 Abs. 3 S. 3 der Ver­ord­nung (EG) Nr. 1/2003 Stel­lung ge­nom­men.

Der BGH ver­warf die Rechts­be­schwerde.

Gründe:
Nach der hier maßgeb­li­chen, bis zum 29.6.2013 gel­ten­den Fas­sung des § 30 Abs. 1 OWiG kann eine Ver­bands­geldbuße nur dann ge­gen die ju­ris­ti­sche Per­son fest­ge­setzt wer­den, wenn ein Or­gan oder ein für sie in Lei­tungs­funk­tion täti­ger Mit­ar­bei­ter eine Ord­nungs­wid­rig­keit be­gan­gen hat. Die Verhängung ei­ner Geldbuße setzt da­nach eine un­mit­tel­bare Be­zie­hung zwi­schen dem Täter und der ju­ris­ti­schen Per­son vor­aus, für die er ge­han­delt hat. In den Fällen der Ge­samt­rechts­nach­folge durch Ver­schmel­zung entfällt diese Be­zie­hung mit der Wirk­sam­keit der Ver­schmel­zung, weil die ver­schmol­zene ju­ris­ti­sche Per­son ab die­sem Zeit­punkt er­lo­schen ist.

Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Bun­des­kar­tell­am­tes er­laubt § 81 Abs. 4 S. 2 GWB 2005 für den Zeit­raum nach der 7. GWB-No­velle keine an­dere Be­ur­tei­lung. Denn der Be­zug die­ser Re­ge­lung auf das "Un­ter­neh­men" und die Be­stim­mung sei­nes Um­sat­zes be­trifft al­lein die Rechts­fol­gen­seite, während die Frage, ob eine ju­ris­ti­sche Per­son über­haupt durch das Han­deln ih­rer Lei­tungs­per­son mit einem Bußgeld be­legt wer­den darf, ab­schließend durch § 30 OWiG be­stimmt wird; die in § 30 Abs. 1 OWiG vor­ge­se­hene Be­gren­zung der Ahn­dung ei­ner Or­gan­tat ge­genüber der­je­ni­gen ("die­ser") ju­ris­ti­schen Per­son, de­ren Or­gan die Tat be­gan­gen hat, ver­mag § 81 Abs. 4 S. 2 GWB 2005 nicht auf­zu­he­ben. Mit der Einfügung von § 30 Abs. 2a OWiG hat der Ge­setz­ge­ber im Übri­gen an der Anknüpfung bei der ju­ris­ti­schen Per­son fest­ge­hal­ten. In­fol­ge­des­sen be­stand keine bußgeld­recht­li­che Ver­ant­wort­lich­keit der Ne­ben­be­trof­fe­nen nach § 30 Abs. 1 OWiG. Die Vor­aus­set­zung ei­ner Na­hezu-Iden­tität zwi­schen dem Vermögen der ver­schmol­ze­nen Ge­sell­schaft und dem der Ne­ben­be­trof­fe­nen hatte das OLG rechts­feh­ler­frei ver­neint.

An dem Er­geb­nis, dass nach den hier maßgeb­li­chen Recht­grund­la­gen in § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. § 30 OWiG a.F. ein Bußgeld ge­gen die Ne­ben­be­trof­fene nicht verhängt wer­den konnte, ver­mochte auch eine uni­ons­rechts­kon­forme Aus­le­gung die­ser Be­stim­mun­gen nichts zu ändern. Bei der Aus­le­gung der ein­zel­staat­li­chen Vor­schrif­ten müssen die Ge­richte der Mit­glied­staa­ten zur wirk­sa­men Durch­set­zung des Uni­ons­rechts im Rah­men der Wort­laut­grenze und un­ter Berück­sich­ti­gung des ge­sam­ten na­tio­na­len Rechts alle verfügba­ren Spielräume nut­zen. Diese Pflicht fin­det aber in den all­ge­mei­nen Rechts­grundsätzen, ins­be­son­dere im Grund­satz der Rechts­si­cher­heit, in­so­fern ihre Schran­ken, als sie nicht als Grund­lage für eine Aus­le­gung des na­tio­na­len Rechts con­tra le­gem, also ent­ge­gen den nach na­tio­na­lem Recht zulässi­gen Me­tho­den rich­ter­li­cher Rechts­fin­dung, die­nen darf.

Letzt­lich hatte es das OLG rechts­feh­ler­frei ab­ge­lehnt, ge­gen die Ne­ben­be­trof­fene ein auf Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 i.V.m. Art. 81 EG (jetzt: Art. 101 AEUV) als ei­genständige Be­fug­nis­norm gestütz­tes Bußgeld zu verhängen. Nach der eu­ropäischen Rechts­pra­xis ist es zwar möglich, dass die Kom­mis­sion auch den aus der Ver­schmel­zung her­vor­ge­gan­ge­nen Recht­sträger für die Zah­lung ei­ner Geldbuße in Haf­tung nimmt. Da nach Art. 23 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 das Un­ter­neh­men Adres­sat ei­ner bußgeld­recht­li­chen Ahn­dung durch die Kom­mis­sion sein kann, be­steht im Uni­ons­recht keine § 30 Abs. 1 OWiG ver­gleich­bare starre An­bin­dung an den Recht­sträger, für den die kar­tell­ord­nungs­wid­rig han­delnde natürli­che Per­son tätig wurde. Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 ermäch­tigt in­des al­lein die Kom­mis­sion und nicht die Wett­be­werbs­behörden der Mit­glied­staa­ten, die dort nor­mier­ten Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 enthält keine Ver­wei­sung, aus der sich an­de­res schließen ließe.

Link­hin­weis:

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