Der Sachverhalt:
Der Kläger errichtete im Jahr 1996 auf einem ihm gehörenden Grundstück in Berlin ein Gebäude, das vermietet ist. Das Finanzamt nahm daraufhin mit bestandskräftig gewordenem Bescheid von Dezember 2004 eine Wert- und Artfortschreibung auf den 1.1.1997 vor und erließ einen entsprechenden Grundsteuermessbescheid und darauf beruhende Grundsteuerbescheide. Da der Kläger die Grundsteuer wiederholt nicht bei Fälligkeit entrichtete, fielen Säumniszuschläge an. Anfang 2014 bestanden Forderungen des Finanzamts gegen den Kläger i.H.v. rd. 19.800 € für Grundsteuer und von rd. 10.600 € für Säumniszuschläge. Zum 31.8.2015 bestanden Rückstände i.H.v. rd. 9.600 €, davon Säumniszuschläge i.H.v. rd. 8.100 €.
Das Finanzamt lehnte auch den Antrag des Klägers auf Stundung offener Grundsteuerbeträge ab, soweit nicht bereits Zahlungsverjährung eingetreten war. Über die auf Aufhebung des Einheitswerts zu den genannten Stichtagen gerichteten Klagen ist noch nicht entschieden. Das FG ordnete im Hinblick auf die Vorlagebeschlüsse des BFH vom 22.10.2014 (II R 16/13) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über die Einheitsbewertung die Aussetzung bzw. das Ruhen der Klageverfahren an. Das Finanzamt lehnte den Antrag des Klägers, ihm Säumniszuschläge i.H.v. rd. 7.300 € gemäß Rückständeaufstellung von Juli 2014 zu erlassen, ebenfalls ab.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Entscheidung über den vom Kläger mit der Klage begehrten Erlass von Säumniszuschlägen zur Grundsteuer hängt nicht von der Entscheidung des BVerfG in den Verfahren 1 BvL 11/14 und 1 BvL 1/15 über die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über die Einheitsbewertung ab.
Die Voraussetzungen für einen Erlass der Säumniszuschläge wären selbst dann nicht erfüllt, wenn das BVerfG in diesen Verfahren übereinstimmend mit der vom BFH vertretenen Auffassung die Vorschriften über die Einheitsbewertung (spätestens) ab dem Bewertungsstichtag 1.1.2008 für verfassungswidrig erklären sollte, weil die Maßgeblichkeit der Wertverhältnisse am Hauptfeststellungszeitpunkt 1.1.1964 für die Einheitsbewertung zu Folgen führt, die mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht mehr vereinbar sind. Die AdV wurde zu Recht abgelehnt. Ihre Gewährung war nicht aufgrund der Vorlage-Beschlüsse des BFH geboten.
Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts, hat das FG im Regelfall dessen Vollziehung auszusetzen oder im Falle eines bereits vollzogenen Verwaltungsakts die Vollziehung wieder aufzuheben. Beruhen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift, setzt die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich voraus, dass ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt.
Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat. Eine Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung ist in diesen Fällen selbst bei schwerwiegenden Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der der Besteuerung zugrunde liegenden Vorschriften nicht geboten. Anders kann es sich nur verhalten, wenn die Rechtslage klar und eindeutig und eine abweichende Beurteilung in einem etwa durchzuführenden Hauptverfahren zweifelsfrei auszuschließen ist.
Die AdV des Einheitswertbescheids vom 7.12.2004 auf die vom Kläger genannten Stichtage (1.1.2008, hilfsweise 1.1.2012) war danach trotz der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung an diesen Stichtagen nicht zu gewähren. Die AdV würde im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes, nämlich des GrStG, und der Regelungen des Bewertungsgesetzes über die Einheitsbewertung führen. Diese Vorschriften sind formell verfassungsgemäß zustande gekommen und können daher bis zu einer Entscheidung des BVerfG Geltung beanspruchen. Der Kläger hat kein besonderes berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug dieser Vorschriften zukommt.
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