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Steuerberatung

Kein Erlass von Säumniszuschlägen zur Grundsteuer wegen möglicher Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung

BFH 2.3.2017, II B 33/16

Ein Kla­ge­ver­fah­ren, in dem der Kläger den Er­lass von Säum­nis­zu­schlägen zur Grund­steuer we­gen der mögli­chen Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der Ein­heits­be­wer­tung be­gehrt, ist nicht des­halb nach § 74 FGO aus­zu­set­zen, weil der BFH dem BVerfG die Frage nach der Ver­fas­sungsmäßig­keit der Vor­schrif­ten über die Ein­heits­be­wer­tung ab 2008 vor­ge­legt hat. Die beim BVerfG anhängi­gen Ver­fah­ren recht­fer­ti­gen keine AdV von Ein­heits­wert­be­schei­den und da­mit auch kei­nen Er­lass von Säum­nis­zu­schlägen zur Grund­steuer.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger er­rich­tete im Jahr 1996 auf einem ihm gehören­den Grundstück in Ber­lin ein Gebäude, das ver­mie­tet ist. Das Fi­nanz­amt nahm dar­auf­hin mit be­standskräftig ge­wor­de­nem Be­scheid von De­zem­ber 2004 eine Wert- und Art­fort­schrei­bung auf den 1.1.1997 vor und er­ließ einen ent­spre­chen­den Grund­steu­er­mess­be­scheid und dar­auf be­ru­hende Grund­steu­er­be­scheide. Da der Kläger die Grund­steuer wie­der­holt nicht bei Fällig­keit ent­rich­tete, fie­len Säum­nis­zu­schläge an. An­fang 2014 be­stan­den For­de­run­gen des Fi­nanz­amts ge­gen den Kläger i.H.v. rd. 19.800 € für Grund­steuer und von rd. 10.600 € für Säum­nis­zu­schläge. Zum 31.8.2015 be­stan­den Rückstände i.H.v. rd. 9.600 €, da­von Säum­nis­zu­schläge i.H.v. rd. 8.100 €.

Die Anträge des Klägers, den Ein­heits­wert auf den 1.1.2008 bzw. 1.1.2012 we­gen Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der Ein­heits­be­wer­tung auf­zu­he­ben und Aus­set­zung der Voll­zie­hung (AdV) zu gewähren, lehnte das Fi­nanz­amt ab und wies die da­ge­gen ge­rich­te­ten Ein­sprüche zurück. Die AdV-Anträge blie­ben beim FG eben­falls er­folg­los. Das FG ver­trat die An­sicht, das bei Gewährung von AdV nur we­gen Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der maßgeb­li­chen ge­setz­li­chen Re­ge­lung er­for­der­li­che be­son­dere Aus­set­zungs­in­ter­esse liege nicht vor.

Das Fi­nanz­amt lehnte auch den An­trag des Klägers auf Stun­dung of­fe­ner Grund­steu­er­beträge ab, so­weit nicht be­reits Zah­lungs­verjährung ein­ge­tre­ten war. Über die auf Auf­he­bung des Ein­heits­werts zu den ge­nann­ten Stich­ta­gen ge­rich­te­ten Kla­gen ist noch nicht ent­schie­den. Das FG ord­nete im Hin­blick auf die Vor­la­ge­be­schlüsse des BFH vom 22.10.2014 (II R 16/13) zur Frage der Ver­fas­sungsmäßig­keit der Vor­schrif­ten über die Ein­heits­be­wer­tung die Aus­set­zung bzw. das Ru­hen der Kla­ge­ver­fah­ren an. Das Fi­nanz­amt lehnte den An­trag des Klägers, ihm Säum­nis­zu­schläge i.H.v. rd. 7.300 € gemäß Rückstände­auf­stel­lung von Juli 2014 zu er­las­sen, eben­falls ab.

Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab. Die Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde des Klägers hatte vor dem BFH kei­nen Er­folg.

Die Gründe:
Die Vor­aus­set­zun­gen für eine Aus­set­zung des Ver­fah­rens nach § 74 FGO sind im Streit­fall nicht erfüllt. Die Ent­schei­dung über den vom Kläger mit der Klage be­gehr­ten Er­lass von Säum­nis­zu­schlägen zur Grund­steuer hängt nicht von der Ent­schei­dung des BVerfG in den Ver­fah­ren 1 BvL 11/14 und 1 BvL 1/15 über die Ver­fas­sungsmäßig­keit der Vor­schrif­ten über die Ein­heits­be­wer­tung ab.

Die Vor­aus­set­zun­gen für einen Er­lass der Säum­nis­zu­schläge wären selbst dann nicht erfüllt, wenn das BVerfG in die­sen Ver­fah­ren übe­rein­stim­mend mit der vom BFH ver­tre­te­nen Auf­fas­sung die Vor­schrif­ten über die Ein­heits­be­wer­tung (spätes­tens) ab dem Be­wer­tungs­stich­tag 1.1.2008 für ver­fas­sungs­wid­rig erklären sollte, weil die Maßgeb­lich­keit der Wert­verhält­nisse am Haupt­fest­stel­lungs­zeit­punkt 1.1.1964 für die Ein­heits­be­wer­tung zu Fol­gen führt, die mit dem all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht mehr ver­ein­bar sind. Die AdV wurde zu Recht ab­ge­lehnt. Ihre Gewährung war nicht auf­grund der Vor­lage-Be­schlüsse des BFH ge­bo­ten.

Be­ste­hen ernst­li­che Zwei­fel an der Rechtmäßig­keit ei­nes an­ge­foch­te­nen Ver­wal­tungs­akts, hat das FG im Re­gel­fall des­sen Voll­zie­hung aus­zu­set­zen oder im Falle ei­nes be­reits voll­zo­ge­nen Ver­wal­tungs­akts die Voll­zie­hung wie­der auf­zu­he­ben. Be­ru­hen die ernst­li­chen Zwei­fel an der Rechtmäßig­keit des Ver­wal­tungs­akts auf Be­den­ken ge­gen die Ver­fas­sungsmäßig­keit ei­ner dem Ver­wal­tungs­akt zu­grunde lie­gen­den Ge­set­zes­vor­schrift, setzt die Aus­set­zung bzw. Auf­he­bung der Voll­zie­hung we­gen des Gel­tungs­an­spruchs je­des for­mell ver­fas­sungs­gemäß zu­stande ge­kom­me­nen Ge­set­zes zusätz­lich vor­aus, dass ein be­son­de­res be­rech­tig­tes In­ter­esse des An­trag­stel­lers an der Gewährung vorläufi­gen Rechts­schut­zes be­steht, dem der Vor­rang ge­genüber dem öff­ent­li­chen In­ter­esse am Voll­zug des Ge­set­zes zu­kommt.

Dem bis zu ei­ner ge­gen­tei­li­gen Ent­schei­dung des BVerfG be­ste­hen­den Gel­tungs­an­spruch je­des for­mell ver­fas­sungsmäßig zu­stande ge­kom­me­nen Ge­set­zes ist der Vor­rang ein­zuräumen, wenn die Aus­set­zung bzw. Auf­he­bung der Voll­zie­hung ei­nes Steu­er­be­scheids im Er­geb­nis zur vorläufi­gen Nicht­an­wen­dung ei­nes gan­zen Ge­set­zes führen würde, die Be­deu­tung und die Schwere des durch die Voll­zie­hung des an­ge­foch­te­nen Be­scheids im Ein­zel­fall ein­tre­ten­den Ein­griffs beim Steu­er­pflich­ti­gen als eher ge­ring ein­zu­stu­fen sind und der Ein­griff keine dau­er­haf­ten nach­tei­li­gen Wir­kun­gen hat. Eine Aus­set­zung bzw. Auf­he­bung der Voll­zie­hung ist in die­sen Fällen selbst bei schwer­wie­gen­den Zwei­feln an der Ver­fas­sungsmäßig­keit der der Be­steue­rung zu­grunde lie­gen­den Vor­schrif­ten nicht ge­bo­ten. An­ders kann es sich nur ver­hal­ten, wenn die Rechts­lage klar und ein­deu­tig und eine ab­wei­chende Be­ur­tei­lung in einem etwa durch­zuführen­den Haupt­ver­fah­ren zwei­fels­frei aus­zu­schließen ist.

Die AdV des Ein­heits­wert­be­scheids vom 7.12.2004 auf die vom Kläger ge­nann­ten Stich­tage (1.1.2008, hilfs­weise 1.1.2012) war da­nach trotz der ernst­li­chen Zwei­fel an der Ver­fas­sungsmäßig­keit der Ein­heits­be­wer­tung an die­sen Stich­ta­gen nicht zu gewähren. Die AdV würde im Er­geb­nis zur vorläufi­gen Nicht­an­wen­dung ei­nes gan­zen Ge­set­zes, nämlich des GrStG, und der Re­ge­lun­gen des Be­wer­tungs­ge­set­zes über die Ein­heits­be­wer­tung führen. Diese Vor­schrif­ten sind for­mell ver­fas­sungs­gemäß zu­stande ge­kom­men und können da­her bis zu ei­ner Ent­schei­dung des BVerfG Gel­tung be­an­spru­chen. Der Kläger hat kein be­son­de­res be­rech­tig­tes In­ter­esse an der Gewährung vorläufi­gen Rechts­schut­zes, dem der Vor­rang ge­genüber dem öff­ent­li­chen In­ter­esse am Voll­zug die­ser Vor­schrif­ten zu­kommt.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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