Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte im November 2002 eine fondsgebundene Rentenversicherung im Rahmen einer Beitragszusage mit Mindestleistung nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 des Betriebsrentengesetzes (Pensionskassenversicherung) abgeschlossen. Die Vereinbarung sah eine Umwandlung i.H.v. 2.160 € jährlich mit Anwendung von steuerfreien Arbeitgeberbeiträgen gem. § 3 Nr. 63 EStG vor. Eine Riester-Förderung wurde nicht vereinbart.
Im Jahr 2013 erkrankte die Klägerin schwer. Es wurde bei ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 90 % festgestellt. Ab August 2013 wurde sie zudem als pflegebedürftig mit der Pflegestufe I eingeordnet. Seit Februar 2014 befand sie sich in einer andauernden Erkrankung ohne zu erwartende Verbesserung des Gesundheitszustandes. Vor dem Hintergrund, dass für die Klägerin die Beantragung einer vorgezogenen (regulären) Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab September 2014 möglich wurde, kündigte sie ihr Arbeitsverhältnis zum 31.8.2014. Der Arbeitgeber teilte daraufhin der Versicherung mit, dass die Versicherungsnehmereigenschaft auf die Klägerin übertragen werden solle.
Im Februar 2014 erkundigte sich die Klägerin bei der Versicherung über den Stand der Pensionskassenversicherung. Mit Wirkung zum 1.1.2015 kündigte sie die Versicherung. Später machte die Klägerin geltend, aufgrund ihrer Lebenssituation hätte sie sich nicht in der Lage gesehen, die Beiträge für die Versicherung aus eigener Kraft aufzubringen. Ob eine Depressionen zu diesem Entschluss beigetragen habe, könne sie nicht ausschließen.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2015 machte die Klägerin - die ansonsten nur eine Leibrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen hatte - Angaben zur Auszahlung des Einmalbetrags und begehrte die ermäßigte Besteuerung (Tarifglättung; "Fünftelregelung") nach § 34 EStG. Das Finanzamt unterwarf allerdings die Leistung i.H.v. 37.805 € in voller Höhe ohne Anwendung der "Fünftelregelung" in § 34 Abs. 1 EStG der Besteuerung. Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Allerdings wurde die Revision zum BFH zugelassen.
Die Gründe:
Das Finanzamt hat zu Recht eine ermäßigte Besteuerung der erhaltenen Kapitalauszahlung aus dem Altersvorsorgevertrag (dessen Auszahlungsbetrag nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG unstreitig einer vollen Besteuerung unterlag) abgelehnt.
Die von der Klägerin durch die Kündigung erlangte Kapitalauszahlung stellt sich nicht als atypisch dar, wodurch eine ermäßigte Besteuerung ausscheidet. Für den erkennenden Senat ist hierbei von entscheidender Bedeutung, dass die Klägerin aufgrund der zwischen den Beteiligten unstreitigen Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber sowie dem Versicherungsvertrag durch das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis das Recht erlangt hatte, in die Versicherungsnehmerstellung einzutreten. Sie konnte als Versicherungsnehmerin einerseits die Versicherung mit eigenen Beiträgen fortzusetzen oder die Versicherung in eine beitragsfreie Versicherung umwandeln (jeweils mit dem Kapitalwahlrecht zwischen Rente und Kapitalauszahlung), andererseits aber auch die Versicherung kündigen (und damit den Kapitalwert als Einmalzahlung erhalten).
Auch bei den beiden erstgenannten Handlungsmöglichkeiten hätte die Klägerin im Streitjahr 2015 nach den Versicherungsbedingungen bereits ein Wahlrecht über die Auszahlungsform (Rente oder Kapitalauszahlung) gehabt. Die Kapitalauszahlung stellt sich daher in allen möglichen Geschehensabläufen weder als vertragswidrig, noch als atypisch dar. Sie war vielmehr von Anfang an vertragsmäßig vorgesehen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hält der Senat es weder für geboten, auf die persönlichen Beweggründe der Klägerin für die gewählte Entscheidung abzustellen, noch ist der Fall einer Kündigung (mit "zwangsweiser" Kapitalauszahlung in Höhe des Rückkaufswertes) anders zu würdigen als die "Regelbeendigung" der Ansparphase (mit der Wahl zwischen Rente und Kapitalauszahlung). Die reguläre Besteuerung einer erhaltenen Kapitalauszahlung beruht auf der Grundentscheidung des Gesetzgebers, den Zufluss - auch den Einmalzufluss eines höheren Betrags - in einem Veranlagungszeitraum mit dem progressiven Einkommensteuertarif zu versteuern. Die Versteuerung beruht dabei auf einer objektiven Steigerung der Leistungsfähigkeit, welche durch den Zufluss eintritt.
Dieses Prinzip wird durch die Tarifermäßigung in § 34 EStG ergänzt. Die Norm wird dabei weder als Billigkeitsregelung verstanden, noch soll sie eine (rechtfertigungsbedürftige) Durchbrechung des Prinzips der Abschnittsbesteuerung darstellen. Sie soll vielmehr das Prinzip der Abschnittsbesteuerung und der Tarifprogression zweckentsprechend für eine bestimmte Art von Einkünften erweitern, die aus einem "periodenübergreifenden Handlungstatbestand" resultieren. Die Vorschrift will damit aber nicht jeden Progressionsnachteil jedweder zusammengeballt zufließender Einnahmen ausgleichen, sondern beschränkt sich in § 34 Abs. 2 EStG auf eine abschließende Aufzählung ("Als außerordentliche Einkünfte kommen nur in Betracht:"). Die systematische Stellung von § 34 EStG und der Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten dabei aus Sicht des Senats eine restriktive Anwendung der Vorschrift sowie eine Anwendung nach objektiv feststellbaren Gegebenheiten, hier insbesondere nach den vertraglichen Regelungen.
Bisher ist - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob eine Kapitalauszahlung infolge einer Kündigung anders zu würdigen ist als ein bei regulärer Beendigung der Ansparphase ausgeübtes Kapitalwahlrechts und ob bei Altersvorsorgeverträgen auch auf persönliche Beweggründe, die zur Ausübung eines Kapitalwahlrechts oder einer Kündigung geführt haben, abzustellen ist. Infolgedessen wurde die Revision zugelassen.
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