Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Tochter der im Jahr 2015 verstorbenen Erblasserin. Diese wurde von der Klägerin und deren Bruder zu einem Anteil von jeweils 1/2 beerbt. Zum Nachlass gehörten neben Grundbesitz und Geschäftsanteile auch Konten bei verschiedenen Banken mit Guthaben i.H.v. mehreren Mio. €. Das gleiche galt für den Kurswert etlicher Wertpapiere.
Das Finanzamt setzte gegen die Klägerin letztlich Erbschaftsteuer i.H.v. knapp 6 Mio. € fest. Die Klägerin beantragte, wegen dieser Erbschaftsteuer die Forderungen aus einem auf den Namen der Erblasserin geführten Konto zu pfänden. Ihr Bruder lehne eine Auseinandersetzung des Nachlasses ab. Sie selbst sei nicht in der Lage, die zu entrichtende Erbschaftsteuer aus eigenen Mitteln zu zahlen. Sie sei zwar auch Gesellschafterin, aber nach dem Gesellschaftsvertrag habe ein Gesellschafter jedoch aus der Gesellschaft auszuscheiden, wenn sein Geschäftsanteil gepfändet werde und die Pfändung länger als zwei Monate andauere. Auch für sie als Aktionärin bestünden insoweit umfangreiche Verfügungsbeschränkungen. Insofern sei sie zwar vermögend, ihr Vermögen sei aber kurzfristig nicht verfügbar.
Das Finanzamt pfändete mit vier Verfügungen die Forderungen der Klägerin aus ihren Geschäftsbeziehungen mit verschiedenen Banken und ordnete die Einziehung der gepfändeten Forderungen an. Die Drittschuldner zahlten im Januar 2017 insgesamt 133.510 €. Daraufhin erließ das Finanzamt gegenüber der Klägerin und ihrem Bruder zwei auf § 191 AO, § 20 Abs. 3 ErbStG gestützte Haftungsbescheide, mit denen es beide zur Entrichtung der von der Klägerin noch geschuldeten Erbschaftsteuer zuzüglich Säumniszuschläge aus dem Nachlass aufforderte. Nach Zahlung des Betrages wurden die streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen aufgehoben.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen rechtswidrig gewesen seien, weil das Finanzamt vorrangig den Nachlass im Wege der Haftung nach § 20 Abs. 3 ErbStG hätte in Anspruch nehmen müssen. Die Klage blieb allerdings in allen Instanzen erfolglos.
Gründe:
Es lag kein Ermessensfehler des Finanzamtes bei Erlass der vier Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vor.
§ 20 Abs. 3 ErbStG enthält keine Vorgabe an die Finanzbehörde, primär in den ungeteilten Nachlass vollstrecken zu müssen. Der Vorschrift lässt sich keine Reihenfolge der Vollstreckung und auch keine Verpflichtung des Finanzamtes entnehmen, umfangreiche Ermittlungen zum Bestand des Nachlasses und zum eigenen Vermögen des Erben anzustellen. Das ergibt sich insbesondere aus dem allgemeinen Verständnis von Steuerschuldner und Haftungsschuldner sowie dem Grundsatz der Subsidiarität, den § 219 Satz 1 AO zum Ausdruck bringt.
Nach dem auch für die Haftungsschuld gem. § 20 Abs. 3 ErbStG geltenden § 219 Satz 1 AO darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Für die subsidiäre Inanspruchnahme des Haftungsschuldners ist ausreichend, dass die Finanzbehörde zu der Annahme gelangt, dass eine Vollstreckung ohne Erfolg sein wird. Eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Erfolglosigkeit von Vollstreckungsversuchen braucht nicht vorzuliegen. Ebenso wenig bedarf es des Nachweises der Aussichtslosigkeit der Vollstreckung, evtl. durch erfolglose Vollstreckungsversuche.
Bei der Inanspruchnahme des Nachlasses nach § 20 Abs. 3 ErbStG besteht ein (Entschließungs-)Ermessen, so dass grundsätzlich keine Verpflichtung zur vorrangigen Inanspruchnahme besteht. Die Klägerin hatte kein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung darüber, ob nicht statt ihrer der Nachlass als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen ist. Auch aus der Haftungsbeschränkung nach § 2059 Abs. 1 BGB konnte die Klägerin keine Beschränkung der Vollstreckung zu ihren Gunsten herleiten, weil diese Einrede auf die Erbschaftsteuerschuld nicht anwendbar ist.
Letztlich hatte das Finanzamt auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Denn die Verfügungen waren als Vollstreckungsmaßnahmen geeignet, weil die Klägerin nach den Erkenntnissen der Behörde über Forderungen gegen Drittschuldner (Banken) verfügte und die Maßnahme deshalb nicht aussichtslos war. Die Maßnahmen waren auch erforderlich, um die ausstehenden Erbschaftsteuerschulden - wenn auch nicht in vollem Umfang - zu tilgen. Ein milderes Mittel war nicht erkennbar. Insbesondere konnte die Behörde auch nicht darauf verwiesen werden, zuerst gegen den Nachlass als Haftungsschuldner vollstrecken zu müssen. Schließlich war die Vollstreckung der Klägerin zumutbar.
Zwar führt die Pfändung eines Kontoguthabens bei einem Kreditinstitut faktisch zu einer Kontosperrung. Dieser besonderen Situation hat der Gesetzgeber jedoch durch die Schaffung eines Pfändungsschutzkontos Rechnung getragen, das auf Antrag des Schuldners nach § 850k ZPO eingerichtet werden kann. Im Übrigen erwiesen sich die Vollstreckungsmaßnahmen im Streitfall nicht deshalb als unverhältnismäßig, weil sie nur zu einer verhältnismäßig geringen Begleichung der hohen Steuerschulden geführt hatten. Denn bei einer Summe von 133.510 € kann nicht von einem Bagatellbetrag ausgegangen werden, der Vollstreckungsmaßnahmen unbillig erscheinen ließe.
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