Der Sachverhalt:
Die Klägerin lebt in Deutschland und hat vier Kinder, von denen drei im Streitzeitraum (April 2012 bis Februar 2013) minderjährig sind und das Älteste sich in Berufsausbildung befindet. Die Klägerin ist nicht berufstätig. Ihr Ehemann und Vater der Kinder ist in der Schweiz nichtselbständig tätig und bezieht dort Kinder- und Ausbildungszulagen (Schweizer Kinderzulage). Diese betragen für die ersten beiden Kinder jeweils 250 CHF und für das dritte und vierte Kind jeweils 200 CHF.
Das FG gab der Klage statt. Auf die Revision der Familienkasse hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Klägerin hat für den Streitzeitraum April 2012 bis Februar 2013 einen Anspruch auf Differenzkindergeld für das dritte und vierte Kind i.H.v. mtl. rd. 74 €. Dementsprechend hat das FG den Rückforderungsbetrag folgerichtig auf rd. 55 € begrenzt. Der Klägerin steht deutsches Differenzkindergeld zu, soweit das Kindergeld die vergleichbare Schweizer Kinderzulage übersteigt. Eine Kürzung des Differenzkindergeldes für das dritte und vierte Kind der Klägerin durch Verrechnung des übersteigenden Betrages der Schweizer Kinderzulage für die ersten beiden Kinder ist mangels einer gesetzlichen Regelung ausgeschlossen.
Aus der in der Vorschrift des Art. 68 Abs. 2 der VO Nr. 883/2004 gewählten Formulierung "Familienangehörigen" (Plural) lässt sich im Hinblick auf eine Berechnungsmethode, bei der die Beträge der Familienleistungen eines primär und eines sekundär zuständigen Mitgliedstaates miteinander verglichen werden, keine Regelung entnehmen. Ein Rückschluss auf eine bestimmte Berechnungsmethode kann auch nicht aus der in Art. 60 Abs. 1 S. 2 der VO Nr. 987/2009 geregelten Familienbetrachtung gezogen werden. Die dort vorgesehenen Fiktionen betreffen lediglich die Feststellung vorrangiger und nachrangiger Ansprüche bei der Anwendung des Art. 68 der VO Nr. 883/2004, um Anspruchsausschlüsse zu vermeiden, die von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen in der Person des Berechtigten abhängen, enthalten aber keine Aussage zu einer Berechnungsmethode.
Schon die Vorgängerregelung zu Art. 68 der VO Nr. 883/2004 enthielt ebenfalls keine Regelung zur Berechnung der Differenzbeträge. Die bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaft eingesetzte, u.a. für Auslegungsfragen zuständige Verwaltungskommission entschied sich zwar für eine kindbezogene Betrachtungsweise, die Mitgliedstaaten konnten sich jedoch nicht auf eine bestimmte Berechnungsmethode (Berechnung für jeden Familienangehörigen/pro Kind und Berechnung für die Familie insgesamt/Gesamtbetrag) verständigen. Dementsprechend wurde den Mitgliedstaaten die Wahl der Berechnungsmethode überlassen.
In Ermangelung einer entsprechenden unionsrechtlichen Regelung ist es daher Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaates, die Modalitäten für die Berechnung festzulegen. Das Erfordernis, wonach eine Familienleistung aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands zu gewähren ist, impliziert, dass nicht nur die Voraussetzungen ihrer Gewährung, sondern ggf. auch die Voraussetzungen ihres Ruhens den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten entnommen werden müssen. Wenn die Richtlinie oder Verordnung den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum einräumt, obliegt die Befugnis zur Letztkonkretisierung dem Gesetzgeber. Daraus folgt, dass sich die Berechnung nach den Vorschriften des EStG bestimmen lassen muss.
Das EStG sieht für die Berechnung der Unterschiedsbeträge beim Zusammentreffen von nationalen und vergleichbaren ausländischen Familienleistungen zwar keine ausdrückliche Regelung vor. Die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften sind aber sowohl dem Grunde (vgl. §§ 62 bis 65 EStG) als auch der Höhe nach (§ 66 EStG) kindbezogen ausgestaltet. Darüber hinaus ergibt sich aus § 31 S. 1 und aus § 32 Abs. 6 S. 1 EStG, dass im Rahmen der Günstigerprüfung die Vergleichsrechnung ebenfalls für jedes Kind einzeln durchzuführen ist.
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