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Kinderfreibeträge verfassungswidrig zu niedrig?

Niedersächsisches FG 16.2.2016, 7 V 237/15

Es be­ste­hen ernst­li­che Zwei­fel an der Ver­fas­sungsmäßig­keit der Höhe der Kin­der­frei­beträge für das Jahr 2014. Das be­trifft zum einen bei der Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zung die­je­ni­gen Steu­er­pflich­ti­gen, für die der Ab­zug der steu­er­li­chen Kin­der­frei­beträge güns­ti­ger ist als das Kin­der­geld. Bei der Fest­set­zung des So­li­da­ritätszu­schla­ges be­trifft es zum an­de­ren alle Steu­er­pflich­ti­gen mit Kin­dern, die So­li­da­ritätszu­schlag zah­len.

Der Sach­ver­halt:
Die An­trag­stel­le­rin ist ver­wit­wet und al­lein­er­zie­hende Mut­ter. Ihre zwei Töchter wur­den in den Jah­ren 1993 und 1998 ge­bo­ren und be­fan­den sich im Streit­jahr 2014 in der Aus­bil­dung. Die Fa­mi­li­en­kasse zahlte für die Töchter Kin­der­geld i.H.v. je­weils 2.208 €. Im Be­scheid für 2014 über Ein­kom­men­steuer und So­li­da­ritätszu­schlag zog das Fi­nanz­amt für die Töchter Frei­beträge in der gem. § 32 Abs. 6 EStG für das Streit­jahr gel­ten­den Höhe von zu­sam­men je­weils 7.008 € ab. Außer­dem zog die Behörde für die 1993 ge­bo­rene Toch­ter einen Frei­be­trag zur Ab­gel­tung des Son­der­be­darfs we­gen auswärti­ger Un­ter­brin­gung i.H.v. € 924 ab. Der Ab­zug der steu­er­li­chen Frei­beträge nach § 32 Abs. 6 EStG war für die An­trag­stel­le­rin güns­ti­ger als das Kin­der­geld.

Im Ge­gen­zug erhöhte das Fi­nanz­amt nach §§ 31, 2 Abs. 6 S. 3 EStG die sich un­ter Ab­zug die­ser Frei­beträge er­mit­telte Ein­kom­men­steuer um das Kin­der­geld. Aus der Fest­set­zung der Ein­kom­men­steuer und des So­li­da­ritätszu­schla­ges er­gab sich eine hohe Nach­zah­lung. Hier­ge­gen wandte sich die An­trag­stel­le­rin. Sie hielt die Höhe der Kin­der­frei­beträge für das Jahr 2014 für ver­fas­sungs­wid­rig. Das Ein­spruchs­ver­fah­ren ist noch anhängig. Das Fi­nanz­amt lehnte den An­trag auf Aus­set­zung der Voll­zie­hung ab. Der an­schließende An­trag vor dem FG hatte über­wie­gend Er­folg. Al­ler­dings wurde we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung der Sa­che die Be­schwerde an den BFH zu­ge­las­sen.

Die Gründe:
Die Voll­zie­hung des Be­schei­des für 2014 über Ein­kom­men­steuer und So­li­da­ritätszu­schlag wird i.H.v. 782 € Ein­kom­men­steuer und 43 € So­li­da­ritätszu­schlag auf­ge­ho­ben. Im Übri­gen wird der An­trag ab­ge­lehnt. Es be­ste­hen ernst­li­che Zwei­fel an der Rechtmäßig­keit des an­ge­foch­te­nen Be­scheids, da die Kin­der­frei­beträge bei der im Ver­fah­ren des vorläufi­gen Rechts­schut­zes ge­bo­te­nen sum­ma­ri­schen Prüfung aus meh­re­ren Gründen ver­fas­sungs­wid­rig zu nied­rig sind. Das be­trifft zum einen die­je­ni­gen Steu­er­pflich­ti­gen, für die der Ab­zug der steu­er­li­chen Kin­der­frei­beträge güns­ti­ger ist als das Kin­der­geld. Bei der Fest­set­zung des So­li­da­ritätszu­schla­ges be­trifft es zum an­de­ren alle Steu­er­pflich­ti­gen mit Kin­dern, die So­li­da­ritätszu­schlag zah­len.

Nach BVerfG-Recht­spre­chung ist es ge­bo­ten, das Exis­tenz­mi­ni­mum nicht nur der Steu­er­pflich­ti­gen, son­dern auch ih­rer ein­kom­men­steu­er­lich zu berück­sich­ti­gen­den Kin­der steu­er­lich frei­zu­stel­len. In­so­fern darf nie­mand Steu­ern auf Ein­kom­men in einem Be­reich be­zah­len, in dem Bedürf­tige be­reits einen An­spruch auf So­zi­al­leis­tun­gen ha­ben. Für Er­wach­sene wurde im Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2014 gem. § 32a EStG ein Grund­frei­be­trag von 8.354 € be­stimmt. Für Kin­der wur­den im Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2014 bei der Fest­set­zung der Ein­kom­men­steuer Kin­der­frei­beträge von zu­sam­men 7.008 € (4.368 € für das säch­li­che Exis­tenz­mi­ni­mum und 2.640 € für den Be­treu­ungs- und Er­zie­hungs- oder Aus­bil­dungs­be­darf) ab­ge­zo­gen, wenn dies für die Steu­er­pflich­ti­gen güns­ti­ger war als das Kin­der­geld. Bei der Fest­set­zung des So­li­da­ritätszu­schla­ges wer­den die Kin­der­frei­beträge im­mer ab­ge­zo­gen, also auch dann, wenn das Kin­der­geld güns­ti­ger ist.

Die Er­mitt­lung des Exis­tenz­mi­ni­mums von Er­wach­se­nen und Kin­dern er­folgt re­gelmäßig durch die Exis­tenz­mi­ni­mum­be­richte der Bun­des­re­gie­rung. Im Neun­ten Exis­tenz­mi­ni­mum­be­richt vom 7.11.2012 hatte die Bun­des­re­gie­rung das säch­li­che Exis­tenz­mi­ni­mum ei­nes Kin­des im Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2014 mit jähr­lich 4.440 € fest­ge­stellt und an­gekündigt, zur ver­fas­sungs­ge­rech­ten Be­steue­rung werde der Kin­der­frei­be­trag von 4.368 € um 72 € für den Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2014 an­ge­ho­ben. Diese Ankündi­gung hat der Ge­setz­ge­ber dann je­doch nicht um­ge­setzt. Die Kin­der­frei­beträge sind viel­mehr erst ab dem Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2015 an­ge­ho­ben wor­den.

Ernst­li­che Zwei­fel an der Ver­fas­sungsmäßig­keit des Kin­der­frei­be­tra­ges ka­men auch auf, weil der Ge­setz­ge­ber le­dig­lich ein durch­schnitt­li­ches Exis­tenz­mi­ni­mum von 258 € pro Mo­nat berück­sich­tigt, das un­ter dem So­zi­al­leis­tungs­an­spruch ei­nes sechsjähri­gen Kin­des (Re­gel­satz 2014: mo­nat­lich 261 €) liegt. Außer­dem hat der Ge­setz­ge­ber für ein volljähri­ges Kind keine Er­mitt­lun­gen zur Höhe des Exis­tenz­mi­ni­mums an­ge­stellt, son­dern wen­det den Satz für min­derjährige Kin­der an. Diese Me­thode ist we­der sach­ge­recht noch fol­ge­rich­tig und da­mit nicht mehr vom Ge­stal­tungs­spiel­raum des Ge­setz­ge­bers ge­deckt. Zah­len El­tern Un­ter­halt für ein volljähri­ges Kind, für das kein An­spruch auf Kin­der­geld oder Kin­der­frei­be­trag be­steht, wird das Exis­tenz­mi­ni­mum nach § 33a Abs. 1 EStG höher - nämlich mit dem Grund­frei­be­trag - an­ge­setzt, als wenn das Kind etwa stu­diert. Auch das kann nicht fol­ge­rich­tig sein.

Ab­schließend ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die gem. § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO vorläufige Fest­set­zung der Ein­kom­men­steuer und des So­li­da­ritätszu­schla­ges hin­sicht­lich der Höhe der Kin­der­frei­beträge nach § 32 Abs. 6 S. 1 u. 2 EStG die Ver­fas­sungsmäßig­keit des um 72 € zu nied­ri­gen Kin­der­frei­be­tra­ges im Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2014 und - auch für an­dere Ver­an­la­gungs­zeiträume - der Höhe des Kin­der­frei­be­tra­ges nach dem durch­schnitt­li­chen Exis­tenz­mi­ni­mum nicht um­fasst, weil diese Fra­gen bis­lang nicht Ge­gen­stand ei­nes Ver­fah­rens beim EuGH, dem BVerfG oder einem obers­ten Bun­des­ge­richt wa­ren.

Link­hin­weis:

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