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Kindergeld: Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten

BFH 7.7.2016, III R 11/13

Die Fik­tion des Art. 60 Abs. 1 S. 2 der VO Nr. 987/2009 kann dazu führen, dass der An­spruch auf Kin­der­geld nach §§ 62 ff. EStG nicht dem in Deutsch­land, son­dern vor­ran­gig dem im EU-Aus­land le­ben­den El­tern­teil zu­steht. Für eine (vor­ran­gige) An­spruchs­be­rech­ti­gung ei­nes nicht freizügig­keits­be­rech­tig­ten El­tern­teils müssen die Vor­aus­set­zun­gen i.S.d. § 62 Abs. 2 EStG erfüllt sein.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger ist ru­an­di­scher Staats­an­gehöri­ger und lebt als an­er­kann­ter Flücht­ling i.S.d. Ab­kom­mens über die Rechts­stel­lung der Flücht­linge vom 28.7.1951 in Deutsch­land. Er be­sitzt eine un­be­fris­tete Nie­der­las­sungs­er­laub­nis. Der Kläger ist seit Mai 2011 so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tig be­schäftigt, seit No­vem­ber 2011 un­be­fris­tet.

Der Kläger hatte mit no­ta­ri­el­ler Ur­kunde vom 17.10.2011 die Va­ter­schaft der im Ok­to­ber 2011 in Bel­gien ge­bo­re­nen L. an­er­kannt. Diese lebt bei der Kinds­mut­ter in Bel­gien. Die Kinds­mut­ter be­zieht seit der Ge­burt Kin­der­geld in Bel­gien i.H.v. mo­nat­lich 86,77 €. Die Fa­mi­li­en­kasse lehnte den An­trag des Klägers auf Fest­set­zung von Kin­der­geld für L im De­zem­ber 2011 ab. Sie war der An­sicht, die Kinds­mut­ter habe L in ih­ren Haus­halt auf­ge­nom­men.

Das FG gab der hier­ge­gen ge­rich­te­ten Klage statt. Es ver­pflich­tete die Fa­mi­li­en­kasse zur Fest­set­zung des be­an­trag­ten Dif­fe­renz­kin­der­gel­des für den Zeit­raum Ok­to­ber 2011 bis Fe­bruar 2012. Auf die Re­vi­sion der Fi­nanz­behörde hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Sa­che zur er­neu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das FG zurück.

Gründe:
Das FG hatte sei­nem Ur­teil zu Un­recht die Rechts­auf­fas­sung zu­grunde ge­legt, eine vor­ran­gige An­spruchs­be­rech­ti­gung der Kinds­mut­ter komme man­gels Wohn­sit­zes oder gewöhn­li­chen Auf­ent­halts in Deutsch­land nicht in Be­tracht.

Zwar war es zu­tref­fend da­von aus­ge­gan­gen, dass der Kläger nach na­tio­na­lem Recht gem. § 62 EStG an­spruchs­be­rech­tigt ist. Die Kinds­mut­ter könnte aber nach § 64 Abs. 2 S. 1 EStG vor­ran­gig an­spruchs­be­rech­tigt sein, da sie die L. in ih­ren Haus­halt auf­ge­nom­men hatte und nach Art. 67 S. 1 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 S. 2 der VO Nr. 987/2009 die Wohn­si­tua­tion der Kinds­mut­ter (fik­tiv) in das In­land über­tra­gen wird.

Die Sa­che war je­doch noch nicht spruch­reif, da der Se­nat nicht ab­schließend be­ur­tei­len konnte, ob auch die übri­gen Vor­aus­set­zun­gen für einen vor­ran­gi­gen Kin­der­geld­an­spruch der Kinds­mut­ter erfüllt sind. Das FG hatte keine Fest­stel­lun­gen dazu ge­trof­fen, ob die Kinds­mut­ter eine (nicht) freizügig­keits­be­rech­tigte Auslände­rin i.S.d. § 62 Abs. 2 EStG ist.

Sollte die Kinds­mut­ter eine freizügig­keits­be­rech­tigte Auslände­rin sein, folgte ein vor­ran­gi­ger An­spruch des Klägers nicht aus § 64 Abs. 2 S. 2 EStG; denn diese Be­stim­mung setzte einen ge­mein­sa­men Haus­halt zwi­schen dem Kläger und der Kinds­mut­ter vor­aus. Nach den Fest­stel­lun­gen des FG un­ter­hiel­ten der Kläger und die Kinds­mut­ter je­doch kei­nen ge­mein­sa­men Haus­halt. Ein ge­mein­sa­mer Haus­halt könnte sich auch nicht aus der Fik­ti­ons­wir­kung des Art. 60 Abs. 1 S. 2 der VO Nr. 987/2009 er­ge­ben. Der An­spruch der Kinds­mut­ter wäre dem­nach nach § 64 Abs. 2 S. 1 EStG vor­ran­gig, da nur bei die­ser, nicht da­ge­gen beim Kläger eine Haus­halts­auf­nahme der L. vor­liegt. Es käme auch nicht dar­auf an, ob die Kinds­mut­ter selbst einen An­trag auf Kin­der­geld in Deutsch­land ge­stellt hat.

Sollte die Kinds­mut­ter eine nicht freizügig­keits­be­rech­tigte Auslände­rin sein - wor­auf die bei der Ge­richts­akte be­find­li­che Ge­burts­ur­kunde hin­deu­ten könnte -, müsste sie für eine vor­ran­gige An­spruchs­be­rech­ti­gung die Vor­aus­set­zun­gen i.S.d. § 62 Abs. 2 EStG erfüllen.

Link­hin­weis:

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