Der Sachverhalt:
Die heute 48-jährige Tochter des Klägers leidet an einer sog. Myotonen Dystrophie Curschmann-Steinert. Hierbei handelt es sich um eine erbliche Muskelerkrankung, bei der es zu einer langsam fortschreitenden Abnahme der Muskelkraft bei gleichzeitigem Vorliegen von sog. myotonen Phänomenen kommt. Diagnostiziert wurde die Krankheit erst 1998, als eine Cousine ein stark behindertes Kind zur Welt gebracht hatte und sich daraufhin mehrere Familienmitglieder einer gentechnischen Untersuchung unterzogen. In den folgenden Jahren verstärkten sich die Symptome. Ihr seit 2005 gültiger Schwerbehindertenausweis weist seit 2009 einen Grad der Behinderung von 100% verbunden mit den Merkzeichen G und aG aus.
Im August 2014 begehrte der Kläger die Gewährung von Kindergeld für seine Tochter für die Zeit ab Januar 2010. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse mit der Begründung ab, dass die Behinderung der Tochter nicht, wie von § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG gefordert, vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sei. Zwar sei sie mit einem Gendefekt geboren, dieser habe aber erst wesentlich später zu einer Behinderung geführt.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zugelassen. Die Sache ist beim BFH unter dem Az. XI R 8/17 anhängig.
Die Gründe:
Gem. § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 u. 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung besteht für ein volljähriges Kind ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist. Diese Voraussetzungen lagen hier vor.
Die Tochter des Klägers ist behindert im vorgenannten Sinne. Bedingt durch die ererbte Krankheit führt insbesondere die hierdurch bewirkte Muskelschwäche in den Beinen dazu, dass ihre Gehfähigkeit und damit ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft dauerhaft beeinträchtigt ist. Dies wird vor allem durch ihren seit 2005 gültigen Schwerbehindertenausweis belegt, der seit 2009 einen Grad der Behinderung von 100% verbunden mit den Merkzeichen G und aG ausweist.
In den vorliegend streitigen Monaten war die Tochter des Klägers zudem außerstande, sich selbst zu unterhalten. Dieses Unvermögen beruhte auf ihrer vorstehend dargelegten Behinderung. Hierfür sprach, dass der Tochter mit Wirkung ab Oktober 2011 von der Deutschen Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt worden war und dass sie, wie ihre kurze Tätigkeit im September 2011 gezeigt hatte, auch bereits davor behinderungsbedingt nicht in der Lage war, den an sie gestellten beruflichen Anforderungen zu genügen.
Entgegen der Ansicht der Familienkasse war die Behinderung der Tochter vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten. Dem stand zum einen nicht entgegen, dass die Krankheit erst nach der Vollendung des 27. Lebensjahres diagnostiziert worden war. Denn insoweit kommt es auf den objektiven Befund an und nicht auf dessen Kenntnis. Zum anderen stand dem auch nicht entgegen, dass die Tochter vor Vollendung des 27. Lebensjahres nur leichtere Symptome der Krankheit verspürt hatte, die erst im Jahr 2005 zur Zuerkennung eines Schwerbehindertenausweises geführt hatten. Denn nach BFH-Rechtsprechung muss nur die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sein, nicht aber die dadurch bedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt. Als Behinderung i.S.d. Vorschrift war hier der Gendefekt als solcher anzusehen.
Allerdings wurde die Revision zugelassen, da die Frage, ob die Behinderung der Tochter des Klägers i.S.d. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, 2. Hs. EStG vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten war, grundsätzliche Bedeutung hat.
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