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Steuerberatung

Kindergeldrechtliche Berücksichtigung von Eingliederungshilfe

Hessisches FG 21.9.2017, 12 K 2289/13

Die Ein­glie­de­rungs­hilfe ist auch dann "ge­genläufig" beim exis­ten­ti­el­len Le­bens­be­darf zu berück­sich­ti­gen, wenn das Kind we­der voll- noch teil­sta­tionär un­ter­ge­bracht ist.

Der Sach­ver­halt:
Die Be­tei­lig­ten strei­ten darum, ob die be­klagte Fa­mi­li­en­kasse zu Recht die Fest­set­zung von Kin­der­geld ab­ge­lehnt hat, weil das Kind nicht außer­stande sei, sich selbst zu un­ter­hal­ten, ins­be­son­dere ob die Ein­glie­de­rungs­hilfe auch dann "ge­genläufig" beim exis­ten­zi­el­len Le­bens­be­darf zu berück­sich­ti­gen ist, wenn das Kind we­der voll- noch teil­sta­tionär un­ter­ge­bracht ist. Der Kläger be­an­tragte für sei­nen Sohn M im April 2013 rück­wir­kend ab 2006 Kin­der­geld. M ist seit sei­ner Ge­burt schwer­be­hin­dert, Grad der Be­hin­de­rung 100, Merk­zei­chen: G, aG und H. Der Kläger trug vor, dass M, der Mit­ar­bei­ter der Fa­mi­li­en­kasse ist, trotz sei­nes Ein­kom­mens nicht in der Lage sei, sei­nen Le­bens­un­ter­halt auf­grund der ho­hen be­hin­de­rungs­be­ding­ten Aus­ga­ben selbst zu be­strei­ten.

Nach Prüfung der vom Kläger ein­ge­reich­ten Un­ter­la­gen lehnte die Fa­mi­li­en­kasse die Fest­set­zung von Kin­der­geld für M ab. M sei nicht außer­stande, sich selbst zu un­ter­hal­ten. Die kin­des­ei­ge­nen Mit­tel über­stie­gen den ge­sam­ten not­wen­di­gen Le­bens­be­darf. Als in­di­vi­du­el­ler be­hin­de­rungs­be­ding­ter Mehr­be­darf sei das Pfle­ge­geld der Stufe III an­ge­setzt wor­den. Ein wei­te­rer be­hin­de­rungs­be­ding­ter Mehr­be­darf sei we­der aus­rei­chend nach­ge­wie­sen noch glaub­haft ge­macht. Le­dig­lich die Kos­ten für Arz­nei­mit­tel und für eine Be­gleit­per­son im Ur­laub hätten berück­sich­tigt wer­den können. Die Not­wen­dig­keit der zusätz­li­chen, über das Pfle­ge­geld hin­aus­ge­hen­den, persönli­chen Be­treu­ung durch die El­tern sei nicht durch eine amtsärzt­li­che Be­schei­ni­gung nach­ge­wie­sen. Die Kos­ten für Fahr­ten zu The­ra­pien und Pri­vat­fahr­ten wären eben­falls nicht an­zu­er­ken­nen ge­we­sen, da sie we­der durch Fahr­ten­buch noch durch Auf­zeich­nun­gen glaub­haft ge­macht wor­den seien.

Das FG gab der hier­ge­gen ge­rich­te­ten Klage statt. Die Re­vi­sion wurde nicht zu­ge­las­sen. Die beim BFH anhängige Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde wird dort un­ter dem Az. III B 124/17 geführt.

Die Gründe:
Die Fa­mi­li­en­kasse hat zu Un­recht die Kin­der­geld­fest­set­zung für den Zeit­raum von Ja­nuar 2009 bis Ok­to­ber 2013 ab­ge­lehnt.

Nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG wird ein Kind kin­der­geld­recht­lich berück­sich­tigt, wenn es we­gen körper­li­cher, geis­ti­ger oder see­li­scher Be­hin­de­rung außer­stande ist, sich selbst zu un­ter­hal­ten und wenn die Be­hin­de­rung vor Voll­en­dung des 25. Le­bens­jah­res ein­ge­tre­ten ist. Es müssen dem­nach zwei Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen wer­den: das Vor­lie­gen ei­ner Be­hin­de­rung - vor­lie­gend un­strei­tig ge­ge­ben - und die feh­lende Fähig­keit zum Selbst­un­ter­halt.

Ein Kind ist dann im­stande, sich selbst zu un­ter­hal­ten, wenn es über eine wirt­schaft­li­che Leis­tungsfähig­keit verfügt, die zur Be­strei­tung sei­nes ge­sam­ten not­wen­di­gen Le­bens­un­ter­halts aus­reicht. Die Fähig­keit des Kin­des zum Selbst­un­ter­halt ist an­hand ei­nes Ver­gleichs zweier Be­zugsgrößen zu prüfen, nämlich des ge­sam­ten exis­ten­zi­el­len Le­bens­be­darfs des Kin­des ei­ner­seits und sei­ner fi­nan­zi­el­len Mit­tel an­de­rer­seits. Der ge­samte exis­ten­ti­elle Le­bens­be­darf des be­hin­der­ten Kin­des setzt sich da­bei ty­pi­scher­weise aus dem all­ge­mei­nen Le­bens­be­darf (Grund­be­darf) und dem in­di­vi­du­el­len be­hin­de­rungs­be­ding­ten Mehr­be­darf zu­sam­men.

Zum be­hin­de­rungs­be­ding­ten Mehr­be­darf gehören alle mit ei­ner Be­hin­de­rung zu­sam­menhängen­den außer­gewöhn­li­chen Be­las­tun­gen, zum Bei­spiel Auf­wen­dun­gen für die Hilfe bei den gewöhn­li­chen und re­gelmäßig wie­der­keh­ren­den Ver­rich­tun­gen des tägli­chen Le­bens, für die Pflege so­wie für einen erhöhten Wäschebe­darf. Als Ein­zel­nach­weis sind sämt­li­che Leis­tun­gen nach dem SGB XII so­wie Pfle­ge­geld aus der Pfle­ge­ver­si­che­rung zu berück­sich­ti­gen.

Zu den Leis­tun­gen nach dem SGB XII gehört gem. §§ 53 ff. auch die Ein­glie­de­rungs­hilfe, so­dass vor­lie­gend der Be­trag i.H.v. rd. 4.800 € (2009 bis 2012) bzw. 4.000 € (2013) bei der Be­rech­nung des be­hin­de­rungs­be­ding­ten Mehr­be­darfs an­zu­set­zen ist. Der Auf­fas­sung der Fa­mi­li­en­kasse, dass die Ein­glie­de­rungs­hilfe nur dann als be­hin­de­rungs­be­ding­ter Mehr­be­darf in An­satz ge­bracht wer­den kann, wenn das Kind voll- oder teil­sta­tionär un­ter­ge­bracht ist, ist nicht zu fol­gen.

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