Kommunalrecht: Unternehmereigenschaft bei defizitärem Handeln gefährdet
Der EuGH verneinte in zwei Entscheidungen vom 30.03.2023 die Unternehmereigenschaft bei defizitären Betätigungen von Gemeinden anhand des Kriteriums der fehlenden wirtschaftlichen Tätigkeit, da die Gemeinden hier nicht nachhaltig gehandelt und ihre Leistungen weit unter dem Marktpreis verkauft hatten.
Defizitäres Handeln bei Gemeinden im Speziellen und juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Allgemeinen kann sich mitunter daraus ergeben, dass von dritter Seite Zuschüsse gezahlt werden und - ggf. aus sozialpolitischen Gesichtspunkten - ein Entgelt unter dem Marktpreis zu entrichten ist. Der EuGH hatte sich in zwei Entscheidungen vom 30.03.2023 zu polnischem Recht mit der Frage auseinander zu setzen, ob eine juristische Person des öffentlichen Rechts bei einer defizitären Tätigkeit diese als Steuerpflichtiger (umsatzsteuerlicher Unternehmer) ausführt. Diese Frage ist insbesondere für die Steuerpflicht des Ausgangsumsatzes sowie für die Frage des Vorsteuerabzugs aus den Eingangsleistungen bedeutsam.
In beiden Verfahren vertrat die Gemeinde die Auffassung, ihre Tätigkeiten nicht unternehmerisch auszuführen. Die jeweilige Steuerbehörde ging hingegen von umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen aus.
In der Rechtssache Gmina O. (Rs. C 612/21) wurden auf Grundstücken im Gemeindegebiet PV-Anlagen errichtet und von den Grundstückseigentümern nur der nicht subventionierte Anteil in Höhe von 25 % der Kosten eingefordert. Im Streitfall verneinte der EuGH, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung eine wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde. Denn der EuGH habe bereits entschieden, dass dann, wenn eine Gemeinde über die Beträge, die sie erhält, nur einen kleinen Teil der entstehenden Kosten deckt, während der verbleibende Teil aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, die betreffenden Beträge eher einer Gebühr als einem Entgelt gleichzusetzen sind. Zudem hegte der EuGH Zweifel daran, dass die Gemeinde nachhaltig gehandelt habe, weil anhand der Unterlagen nicht ersichtlich war, dass die Gemeinde beabsichtigte Leistungen der PV-Anlagen Installation regelmäßig und dauerhaft zu erbringen.
Ähnlich verhielt es sich in der Rechtssache Gmina L. (Rs. C-616/21). Auch hier war fraglich, ob eine polnische Gemeinde als Unternehmer tätig geworden ist. In diesem Entscheidungsfall beauftragte die Gemeinde Leistungen der Asbestbeseitigung fremd, ohne dass hierfür eine Kostenbeteiligung von den Grundstückseigentümern eingefordert wurde. In Höhe von 40 % bis 100 % wurden die Maßnahmen über einen Umweltschutzfonds der Gemeinde bezuschusst. Auch in diesem Fall verneinte der EuGH, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, eine wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde. Maßgeblich hierfür war nach Auffassung des EuGH, dass den begünstigten Grundstückseigentümern keinerlei Kosten auferlegt wurden und zudem nur ein Teil über Zuschüsse aus öffentlichen Kassen getragen wurde.
Hinweis: Defizitäre Tätigkeiten der öffentlichen Hand können dazu führen, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde und damit die Unternehmereigenschaft verneint wird, mit der Folge, dass eine Besteuerung der Ausgangsseite unterbleiben kann. Im Gegenzug ist aber auch kein Vorsteuerabzug mehr möglich.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH konnte u. U. auch bei defizitärem Handeln gleichwohl eine wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde vorliegen (Urteil vom 28.06. 2017, Az. XI R 12/15). Die weitere Rechtsentwicklung muss beobachtet werden. Da vorliegend über Vorlagen nach polnischem Recht entschieden wurde, ist jedoch mit einer zeitnahen Überprüfung des BFH nicht zu rechnen. Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung des EuGH zur öffentlichen Hand als Unternehmer keineswegs konsistent ist. In der Vergangenheit wurden bereits Tätigkeiten mit sehr geringem Entgelt als wirtschaftlich bewertet. Spannend wird insoweit auch die weitere Rechtsentwicklung zu § 2b UStG. Die Behandlung als Unternehmer setzt nicht die Prüfung einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne der o. g. Urteile voraus, vor dem Hintergrund könnte zukünftig die EU-Konformität dieser Regelung in Frage gestellt werden.