Kommt es zum Schwur, werden diese Konflikte vor Gericht ausgetragen. In diesem sensiblen Bereich ist Fingerspitzengefühl und Sachverstand erforderlich. Das Litigation-Team bei Ebner Stolz wurde durch den Zugang der Rechtsanwälte Dr. Carsten Witzke, Dr. Benjamin Fritz und ihrem Team deutlich ausgebaut. Wir sprechen mit den beiden Herren über Konfliktpotenzial in mittelständischen Unternehmen und wie man die Kuh vom Eis bekommt.
In einem Unternehmen können Streitigkeiten ja in verschiedenen Konstellationen entstehen - einmal zwischen den Gesellschaftern und der Geschäftsführung und einmal unter den Gesellschaftern. Wo liegen jeweils die neuralgischen Punkte?
Dr. Witzke: Beide Arten von Streitigkeiten lassen sich nicht immer ohne weiteres trennen. Gerade in Gesellschaften mit einem überschaubaren Gesellschafterkreis entzünden sich Auseinandersetzungen zwischen den Gesellschaftern häufig an Konflikten mit der Geschäftsführung, die entweder einem Gesellschafterstamm nahesteht oder sogar aus einem Mitgesellschafter besteht. In diesen Konstellationen geht es für den anderen Gesellschafter, meist ein Minderheitsgesellschafter, in der Regel darum, dass aus seiner Sicht schädliche Verhalten zu unterbinden und sich selbst in eine aktivere Rolle in der Gesellschaft zu bringen. Der Mehrheitsgesellschafter (und die angeschlossene Geschäftsführung) kann wiederum häufig abwarten, was die Minderheitsgesellschafter tun. Er hat zudem meist die Möglichkeit, Fakten zu schaffen und dadurch den Fortgang der Auseinandersetzung zu beeinflussen. Der Minderheitsgesellschafter ist demgegenüber darauf angewiesen, Druckpunkte zu finden, um seine eigene Stellung zu stärken. Diese Auseinandersetzungen sind aufwändig und können - ohne die richtige Strategie - der Gesellschaft insgesamt schaden.
Dr. Fritz: Isolierte Konflikte zwischen den Gesellschaftern und der Geschäftsführung lassen sich dagegen meist leichter eindämmen. Denn eine in solchen Konstellationen häufig in Betracht kommende Abberufung der Geschäftsführung kann den Streit jedenfalls in seinen Auswirkungen auf das Unternehmen entschärfen.
Bei welchen Themen sehen Sie in mittelständischen Unternehmen besonders großes Konfliktpotenzial? Worüber wird am meisten gestritten?
Dr. Fritz: Nach unseren Erfahrungen geht es bei den meisten Streitigkeiten letztlich um die Kontrolle über das Unternehmen. Konkreter Anlass für den Streit kann zunächst etwas ganz anderes sein, z. B. eine Meinungsverschiedenheit unter den Gesellschaftern über eine strategische Entscheidung im Unternehmen, die (Un-)Zufriedenheit eines Gesellschafters mit den Leistungen des (Gesellschafter-) Geschäftsführers, die Aufnahme eines neuen Gesellschafters u. v. m. Je nachdem, wie die Gesellschafter mit einer solchen möglicherweise isolierten Meinungsverschiedenheit umgehen, kann hieraus ein veritabler Gesellschafterstreit entstehen, der sogar zu einer existenziellen Bedrohung für das Unternehmen werden kann.
Dr. Witzke: Insb. in Familienunternehmen entzünden sich diese Streitigkeiten häufig an Nachfolgefragen. Gibt es mehrere Familienstämme, die an dem Unternehmen beteiligt sind, fühlt sich mindestens einer in der Regel unterrepräsentiert. Bahnt sich eine Nachfolge an, wird dies als Chance gesehen, die bisher als unbefriedigend empfundene Stellung zu verbessern.
Welche dieser Konflikte lassen sich eher leicht lösen und welche nicht?
Dr. Witzke: Das lässt sich pauschal nur schwer beantworten. Gesellschafterstreitigkeiten sind häufig von Emotionen getrieben, vor allem in Familienunternehmen. Spielen Emotionen eine zu große Rolle, erschwert das erstmal eine schnelle Lösung. Geht es demgegenüber um rein wirtschaftliche Fragen, ist es in der Regel einfacher, Lösungen zu finden. Es braucht jedenfalls ein zügiges und stringentes (manchmal auch gerichtliches) Vorgehen, um alle Beteiligten an den Verhandlungstisch zu bringen.
Dr. Fritz: Geht es „nur“ um wirtschaftliche Frage, z. B. bei Joint Ventures zwischen Unternehmen, handeln die Beteiligten oft rationaler. Dies hilft dabei, eine schnellere Lösung zu finden. Das ist jedenfalls unsere Erfahrung. Hier gibt es häufiger Streit, wenn eine Seite den Exit plant, den anderen Partner aber nicht mitnimmt. Will der andere Partner auch verkaufen, muss er zügig Munition sammeln, um den Druck zu erhöhen, beteiligt zu werden.
Hat sich aus Ihrer Sicht das Konfliktpotenzial in der Corona-Krise erhöht, etwa weil der Austausch zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern nicht im normalen Umfang möglich war bzw. nur virtuell erfolgen konnte?
Dr. Fritz: Der reduzierte persönliche Kontakt infolge der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie haben die Kommunikation (auch) auf Gesellschafterebene sowie zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern sicher nicht leichter gemacht. Wir konnten bislang aber nicht beobachten, dass dies zu vermehrten Konflikten geführt hat, zu denen rechtliche Berater hinzugezogen wurden. Nach unserem Eindruck haben sich die allermeisten Unternehmen inzwischen gut auf die neue Situation eingestellt.
Dr. Witzke: Wirtschaftliche Schwierigkeiten infolge der Pandemie können demgegenüber natürlich auch eine Auseinandersetzung anheizen. In diesen Fällen hat es aber auch vor der Pandemie schon gebrodelt. Die Folgen der Pandemie sind dann nur der letzte Auslöser, der zur Eruption führt.
Streitigkeiten innerhalb der Gesellschaft können dem Unternehmen einen großen Schaden zufügen. Kommt der Konflikt erst einmal an die Öffentlichkeit, kann das Vertrauen von Banken und Geschäftspartnern nachhaltig gestört sein. Wie sollte die Gesellschaft vor diesem Hintergrund bei einer sich anbahnenden Meinungsverschiedenheit vorgehen, um es nicht so weit kommen zu lassen?
Dr. Witzke: Das ist ein wichtiges Thema. In einer idealen Welt haben die streitenden Gesellschafter all diese Punkte im Blick und richten ihr jeweiliges Vorgehen am Interesse des Unternehmens aus. Das ist in der Realität aber leider nicht immer der Fall. Und je nachdem welchen Blickwinkel man einnimmt, ist ein Vorgehen, das vornehmlich am Unternehmensinteresse ausgerichtet ist, nicht immer hilfreich, um das Ziel zu erreichen.
Man kann sicher versuchen, durch weitreichende Verschwiegenheitsverpflichtungen Vorsorge zu treffen, dass Details einer Streitigkeit oder Meinungsverschiedenheit nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Solche Verpflichtungen sind aber nur schwer durchsetzbar, u. a. weil ein Verstoß häufig nicht nachweisbar ist. Aus unserer Erfahrung ist es vor allem wichtig, ein Forum zu haben, das eine weitgehend vertrauliche Konfliktlösung ermöglicht.
Dr. Fritz: Hier kann man an gerichtliche Mediationen durch erfahrene Richter denken oder an die Aufnahme von Schiedsklauseln in die Gesellschaftsverträge, um auch im Falle einer echten streitigen Auseinandersetzung nicht nur die (Schieds-)Richter anhand ihrer Sachkunde bestimmen zu können, sondern auch ein hohes Maß an Vertraulichkeit zu gewährleisten und die Presse aus dem Verhandlungssaal fernhalten zu können.
Was kann ein Gesellschafter tun, der im eigenen Namen Ansprüche der Gesellschaft geltend machen möchte, weil etwa die übrigen Gesellschafter eine abweichende, seiner Auffassung nach für die Gesellschaft nachteilige Meinung vertreten?
Dr. Fritz: Grundsätzlich ist die Gesellschaft dazu berufen, ihre Ansprüche selbst geltend zu machen, sei es gegen einen Gesellschafter oder gegen Dritte. Die Entscheidung, ob die Gesellschaft diese Ansprüche geltend machen soll, liegt üblicherweise bei den Gesellschaftern. Können die Gesellschafter hierüber keine Einigung erzielen, kann ein einzelner Gesellschafter den Anspruch der Gesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise selbst im eigenen Namen für die Gesellschaft geltend machen (sog. actio pro socio). Dieses Instrument ist bislang nur bei der Aktiengesellschaft gesetzlich geregelt; bei den übrigen Gesellschaften basiert sie auf einer - nicht ganz konsistenten - Rechtsprechung. Der Gesetzgeber kodifiziert die actio pro socio nun aber ab Januar 2023 auch für die Personengesellschaften im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG).
Daneben gibt es unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, einen sog. besonderen Vertreter zu bestellen, der die Ansprüche anstelle des Geschäftsführers für die Gesellschaft geltend macht. Dies ist z. B. für die GmbH bereits gesetzlich geregelt.
Dr. Witzke: Wir haben Streitigkeiten im Rahmen einer actio pro socio und auch über besondere Vertreter geführt. Beides erfordert eine gute Vorbereitung, um nicht später im Gerichtsverfahren an formalen Hürden zu scheitern.
Erzählen Sie doch einmal aus Ihrer Praxis. Wo ist es Ihnen besonders gut gelungen, einen Gesellschafterkonflikt zu lösen?
Dr. Witzke: Aus Sicht des Mandanten besteht der größte Erfolg in der Regel darin, den Parteien möglichst schnell zu einer Lösung ihres Konflikts zu verhelfen. Ob dies gelingt, liegt nicht immer in der Hand des Beraters, weil es sehr davon abhängt, welchen Sachverhalt und welche Konstellation man im Gesellschafterkreis vorfindet. Je nachdem, wie stark die Position des Mandanten ist, lässt sich unter Umständen sehr schnell ausreichend Druck auf die Gegenseite aufbauen, um besagte schnelle Lösungen zu finden.
Wir haben allerdings die Erfahrung gemacht, dass auch vermeintlich schwierige oder gar aussichtslose Lagen bei näherem Hinsehen durchaus Potential haben. Ein wichtiger Bestandteil einer Auseinandersetzung zwischen Gesellschaftern ist ein entschlossenes Vorgehen. Man braucht eine durchdachte Strategie und darf auch vor (schieds-)gerichtlichen Maßnahmen nicht zurückschrecken. Insb. letzteres kann einen entscheidenden Vorteil bringen, wenn es dadurch gelingt, die andere Seite unter ausreichenden Druck zu setzen, um sich einer gütlichen Einigung zu öffnen. Mit dieser Herangehensweise haben wir bereits in vielen Fällen große Erfolge für unsere Mandanten erzielt.
Welche Instrumente können Gesellschafter vorsehen, um Streitigkeiten möglichst gut in den Griff zu bekommen oder sie sogar bestmöglich zu vermeiden?
Dr. Fritz: Es gibt eine Reihe von Instrumenten und Maßnahmen, die die Gesellschafter einsetzen können, um Streitigkeiten vorzubeugen oder zumindest bestmöglich zu lösen. Es ist insb. ratsam, potenzielle Konfliktfelder soweit wie möglich schon bei der Unternehmensgründung „mitzudenken“ und in der Unternehmensordnung zu berücksichtigen. Das betrifft zunächst Gegenstand und Verfahren der Entscheidungsfindung im Unternehmen. Die Unternehmensgründer sollten sich gut überlegen, wie und von wem die über das Tagesgeschäft hinausgehenden Entscheidungen getroffen werden sollen und ob und wie die Entscheidungen bei Meinungsverschiedenheiten überprüft werden können. In diesem Zusammenhang kann es bspw. ratsam sein, einen Beirat einzusetzen, der (zumindest teilweise) aus gesellschaftsfremden Mitgliedern besteht, die die Entscheidungsprozesse mit einer gewissen distanzierten Neutralität begleiten. Für den Fall, dass eine Meinungsverschiedenheit in einen Streit mündet, können die Gesellschafter über verschiedene, ggf. auch hintereinander geschaltete Streitbeilegungsmechanismen nachdenken. So kann es z. B. sinnvoll sein, bestimmte Streitigkeiten einem (vorgeschalteten oder abschließenden) Mediations- oder Schlichtungsverfahren zuzuführen, anstatt sie (direkt) vor Gericht auszutragen. Für Streitigkeiten, deren Auslöser Bewertungsfragen sind, kann sich ein Schiedsgutachterverfahren anbieten, bei dem bspw. ein Wirtschaftsprüfer die Streitfrage für die Gesellschafter verbindlich beantwortet. Darüber hinaus sollten sich die Gesellschafter frühzeitig Gedanken über ihre etwaige Nachfolge machen und hierzu rechtzeitig Regelungen treffen. Hier sind viele Aspekte zu beachten (Erbrecht, Gesellschaftsrecht, Steuerrecht u.v.m.). Schließlich sollte stets eine bewusste Entscheidung darüber getroffen werden, ob gerichtliche Streitigkeiten vor einem staatlichen Gericht oder vor einem Schiedsgericht ausgetragen werden sollen. Jedes Forum bringt Vor- und Nachteile mit sich, die für jede relevante Konstellation abgewogen werden sollten.