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Steuerberatung

Kontenpfändung kann wegen der Corona-Einschränkungen unbillig sein

FG Düsseldorf v. 29.5.2020 - 9 V 754/20 AE(KV)

Die Voll­stre­ckung in Bank­gut­ha­ben kann an­ge­sichts der der­zei­ti­gen Si­tua­tion un­ter be­son­de­rer Berück­sich­ti­gung der durch die Corona-Pan­de­mie er­wirk­ten Ein­schränkun­gen un­bil­lig sein. Die Frage, ob durch das BMF-Schrei­ben vom 19.3.2020 zu­guns­ten ei­nes Steu­er­pflich­ti­gen ein sub­jek­ti­ver An­spruch auf ein Ab­se­hen von Zwangs­voll­stre­ckungsmaßnah­men her­zu­lei­ten ist, und be­ja­hen­den­falls ab wel­chem Zeit­punkt ein sol­cher An­spruch be­ste­hen kann, hat grundsätz­li­che Be­deu­tung.

Der Sach­ver­halt:
Die An­trag­stel­ler er­zie­len seit Jah­ren im We­sent­li­chen Ver­mie­tungs­einkünfte so­wie Einkünfte aus Ka­pi­tal­ge­sell­schafts­be­tei­li­gun­gen. Für die Ver­an­la­gungs­zeiträume 2010 so­wie 2014 strei­ten sie in an­de­ren Kla­ge­ver­fah­ren um die An­er­ken­nung von vor­tragsfähi­gen Ver­lus­ten i.H.v. ca. 1,5 Mio. €. Für den Fall des Ob­sie­gens ge­hen die An­trag­stel­ler da­von aus, dass der Ver­lust bis min­des­tens zum Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2019 vor­zu­tra­gen sei und zwi­schen­zeit­li­che Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zun­gen nachträglich auf 0 € zu re­du­zie­ren seien.

We­gen fälli­ger Steu­er­for­de­run­gen, ge­gen die sich die An­trag­stel­ler eben­falls in ver­schie­de­nen wei­te­ren anhängi­gen Eil­rechts- und Haupt­sa­che­ver­fah­ren weh­ren, verfügte das Fi­nanz­amt am 19.3.2020 die Pfändung und Ein­zie­hung von Bank­gut­ha­ben der An­trags­stel­ler bei zwei Ban­ken. Die Pfändungs- und Ein­zie­hungs­verfügun­gen sind den Dritt­schuld­nern am 25.3.2020 zu­ge­stellt wor­den. Mit Schrei­ben vom 30.3.2020 wur­den den An­trag­stel­lern Aus­fer­ti­gun­gen der Verfügun­gen über­sandt so­wie die Zu­stel­lung an die Dritt­schuld­ner zur Kennt­nis ge­bracht.

Mit Ver­weis auf die anhängi­gen Kla­ge­ver­fah­ren hat­ten die An­trag­stel­ler be­reits am 18.2.2020 beim Fi­nanz­amt Voll­stre­ckungs­schutz be­an­tragt. Die­sen An­trag er­neu­er­ten sie nach Er­lass und Kennt­nis­er­lan­gung von den Pfändungs­verfügun­gen vom 30.3.2020 mit dem er­wei­ter­ten Be­geh­ren, of­fene Steu­er­for­de­run­gen zu stun­den, bis zum 31.12.2020 Voll­stre­ckungs­auf­schub zu gewähren und die ein­ge­lei­te­ten Kon­topfändun­gen auf­zu­he­ben. Zur Begründung ver­wie­sen sie ne­ben den noch zu er­strei­ten­den Ver­lus­ten zu­dem auf das BMF-Schrei­ben vom 19.3.2020 be­tref­fend "Steu­er­li­che Maßnah­men zur Berück­sich­ti­gung des Coro­na­vi­rus CO­VID-19/SARS-CoV-2".

Das Fi­nanz­amt war der An­sicht, für den An­trag auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen An­ord­nung fehle es an einem An­ord­nungs­an­spruch, der ins­be­son­dere nicht aus § 258 AO her­zu­lei­ten sei. Es fehle über­dies an einem An­ord­nungs­grund, weil keine außer­gewöhn­li­chen und schwer­wie­gen­den Fol­gen der Voll­stre­ckung vor­ge­tra­gen seien. Ins­be­son­dere habe nicht be­kannt sein können, dass die An­trag­stel­ler als Ver­mie­ter in über das gewöhn­li­che Maß hin­aus­ge­hen­der Weise von der Corona-Pan­de­mie we­gen Nicht­zah­lung von Mie­ten und ih­ren ein­ge­schränk­ten Kündi­gungsmöglich­kei­ten be­trof­fen sein könn­ten.

Das FG hat das Fi­nanz­amt im Wege der einst­wei­li­gen An­ord­nung ver­pflich­tet, die Pfändungs- und Ein­zie­hungs­verfügun­gen vom 19.3.2020 ge­gen Si­cher­heits­leis­tung der An­trag­stel­ler i.H.v. 380.000 € auf­zu­he­ben. Al­ler­dings wurde die Be­schwerde zum BFH zu­ge­las­sen.

Die Gründe:
Die An­trag­stel­ler ha­ben einen auf vorläufige Auf­he­bung der Kon­topfändun­gen gem. § 258 AO ge­rich­te­ten An­spruch. We­gen der Selbst­bin­dung der Ver­wal­tung, aus­gedrückt durch das BMF-Schrei­ben vom 19.3.2020, ist über Art. 3 Abs. 1 GG das Er­mes­sen des Fi­nanz­am­tes auf das Ab­se­hen von Voll­stre­ckungsmaßnah­men bis zum 31.12.2020 re­du­ziert und schließt die Auf­he­bung be­reits er­folg­ter und ohne Wei­te­res auf­heb­ba­rer Voll­stre­ckungsmaßnah­men ein. Durch Dar­le­gung der Vor­aus­set­zung die­ses An­spruchs ist auch die Not­wen­dig­keit ei­ner Re­ge­lung (An­ord­nungs­grund) be­zeich­net. Die Glaub­haft­ma­chung ist er­folgt.

Die Voll­stre­ckung in die Bank­gut­ha­ben der An­trag­stel­ler ist an­ge­sichts der der­zei­ti­gen Si­tua­tion un­ter be­son­de­rer Berück­sich­ti­gung der durch die Corona-Pan­de­mie er­wirk­ten Ein­schränkun­gen für die An­trag­stel­ler un­bil­lig. Die Un­an­ge­mes­sen­heit der Nach­teile für die An­trag­stel­ler er­gibt sich da­bei nicht aus der Aus­brin­gung der Zwangs­voll­stre­ckungsmaßnah­men an sich, denn Nach­teile sind die­sen in­ne­woh­nend und da­her nicht für sich un­an­ge­mes­sen. Durch die Pfändungs- und Über­wei­sungs­verfügun­gen in der der­zei­ti­gen Si­tua­tion er­ge­ben sich je­doch Nach­teile be­son­de­rer Art, die sie un­an­ge­mes­sen und da­mit un­bil­lig wer­den las­sen. Sie be­wir­ken nämlich eine be­son­dere Dop­pel­be­las­tung für die An­trag­stel­ler.

Die Pfand­ver­stri­ckung und das aus­ge­spro­chene Verfügungs­ver­bot führen zu einem fak­ti­schen Li­qui­ditätsent­zug in Höhe der gepfände­ten Bank­gut­ha­ben und ha­ben zur Folge, dass die An­trag­stel­ler ih­ren Le­bens­un­ter­halt und die zur Be­wirt­schaf­tung der Ver­mie­tungs­ob­jekte not­wen­di­gen fi­nan­zi­el­len Mit­tel, dar­un­ter auch die Zah­lung von Fi­nan­zie­rungs­zin­sen, so­weit vor­han­den aus an­der­wei­ti­gen Quel­len be­strei­ten müss­ten. Die zu an­de­rer Zeit re­gelmäßigen Miet­zah­lun­gen, die eine ste­tige Li­qui­dität si­cher­stel­len können, fal­len an­ge­sichts der der­zei­ti­gen wirt­schaft­li­chen Si­tua­tion aus, weil sich die An­trag­stel­ler Miet­ein­be­hal­tun­gen u.a. für April 2020 und ge­ge­be­nen­falls darüber hin­aus aus­ge­setzt se­hen, zu­gleich aber daran ge­hin­dert sind, die ih­nen sonst bei Nicht­zah­lung von Mie­ten zu­ste­hen­den Kündi­gungs­rechte gel­tend zu ma­chen.

So sieht Art. 5 § 2 des Ge­set­zes zur Ab­mil­de­rung der Fol­gen der CO­VID-19-Pan­de­mie im Zi­vil-, In­sol­venz- und Straf­ver­fah­rens­recht zwar vor, dass die Miet­ver­pflich­tun­gen den Zeit­raum April 2020 bis Juni 2020 wei­ter­hin fällig blei­ben und auch Ver­zugs­zin­sen ent­ste­hen können. Auch müssen die rückständi­gen Mie­ten aus dem Zeit­raum vom 1.4.2020 bis 30.6.2020 bis zum 30.0.2022 be­gli­chen wer­den. Für den Mo­ment führt die­ser vorüber­ge­hende Mie­ter­schutz in­des zu Be­nach­tei­li­gun­gen für Ver­mie­ter wie die An­trag­stel­ler, die Li­qui­ditätseinbußen zu tra­gen ha­ben und umso mehr auf vor­han­dene Li­qui­dität an­ge­wie­sen sind, de­nen aber durch Kon­topfändun­gen ge­rade Li­qui­dität ent­zo­gen wird.

Die im Streit­fall ent­schei­den­den Fra­gen ha­ben al­ler­dings grundsätz­li­che Be­deu­tung. Dies be­trifft zum einen die Frage, ob durch das BMF-Schrei­ben vom 19.3.2020 zu­guns­ten ei­nes Steu­er­pflich­ti­gen ein sub­jek­ti­ver An­spruch auf ein Ab­se­hen von Zwangs­voll­stre­ckungsmaßnah­men her­zu­lei­ten ist, und be­ja­hen­den­falls ab wel­chem Zeit­punkt ein sol­cher An­spruch be­ste­hen kann. Darüber hin­aus ist nicht geklärt, ob das "Ab­se­hen" von Zwangs­voll­stre­ckungsmaßnah­men le­dig­lich ge­bie­tet, keine wei­te­ren Voll­stre­ckungsmaßnah­men aus­zu­brin­gen, oder ob vor dem Hin­ter­grund des Er­las­ses des BMF-Schrei­bens auch be­reits aus­ge­brachte Voll­stre­ckungsmaßnah­men mit li­qui­ditätsent­zie­hen­der Wir­kung auf­zu­he­ben sind.

 

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