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Krankenfahrten ohne fachgerechte medizinische Betreuung

FG Berlin-Brandenburg 26.9.2019, 8 K 8023/18

All­ge­mein an­er­kannt ist, dass Krank­heit ein ano­ma­ler körper­li­cher, geis­ti­ger oder see­li­scher Zu­stand ist, der nach herr­schen­der Auf­fas­sung ei­ner me­di­zi­ni­schen Be­hand­lung be­darf. Die­ser Krank­heits­be­griff gilt auch für Zwecke der Kfz-Steuer. Da die Vor­aus­set­zun­gen der Kran­ken­beförde­rung al­ler­dings nicht ab­schließend geklärt sind, wurde die Re­vi­sion zu­ge­las­sen.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin führt "Kran­ken-, Per­so­nen- und Be­hin­der­ten­beförde­rung" durch. Sie ist In­ha­be­rin ei­ner Er­laub­nis nach § 49 PBefG. Seit Au­gust 2017 ist sie Hal­te­rin ei­nes Kfz, das aus­weis­lich der Zu­las­sungs­be­schei­ni­gung I als "So. Kfz f. Be­hin­derte m. Roll­stuhl-He­be­vorr." zu­ge­las­sen wor­den war. Das Auto ist mit einem Alu­sys­tem­bo­den Han­di­care, Ein­zel­sit­zen Si­com mit Easyleg und wahl­weise einem Roll­stuhl­platz oder zwei Tra­gestühlen aus­ge­stat­tet. Es ist an der Hecktür mit einem Auf­kle­ber "Kran­ken­fahr­ten" be­schrif­tet; zu­dem sind meh­rere Auf­kle­ber mit einem "Roll­stuhl­fah­rer­sym­bol" an­ge­bracht.

Das Haupt­zoll­amt (HZA) er­ließ im Sep­tem­ber 2017 einen Be­scheid über Kfz-Steuer über jähr­lich 185 €. Die Kläge­rin stellte dar­auf­hin einen An­trag auf Steu­er­be­frei­ung für das Kfz. For­mu­larmäßig erklärte sie, dass sie schwer­be­hin­derte und er­krankte Men­schen befördere. Be­hin­derte Men­schen befördere sie zu Ta­ges­hei­men und Be­hin­der­ten­werkstätten, er­krankte Men­schen zu Arzt­pra­xen, Dia­ly­seein­rich­tun­gen, Kran­kenhäusern und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen. Zu­dem legte sie eine Fahr­ten­auf­stel­lung vor, die das bestätigte.

Das HZA lehnte den An­trag ab. Die Steu­er­be­frei­ung nach § 3 Nr. 5 Kraft­StG komme nicht in Be­tracht, da hier­von nur qua­li­fi­zierte Kran­ken­trans­porte er­fasst seien, bei de­nen eine fach­ge­rechte me­di­zi­ni­sche Be­treu­ung der beförder­ten Per­so­nen gewähr­leis­tet sei. Diese Trans­porte dürf­ten nach Bran­den­bur­gi­schem Ret­tungs­dienst­ge­setz aber nur Träger des Ret­tungs­diens­tes (Land­kreise und kreis­freie Ge­mein­den) durchführen. Die Kläge­rin führe hin­ge­gen nur Kran­ken­fahr­ten ohne fach­ge­rechte me­di­zi­ni­sche Be­treu­ung durch.

Das FG gab der hier­ge­gen ge­rich­te­ten Klage statt. Al­ler­dings wurde zur Fort­bil­dung des Rechts die Re­vi­sion zum BFH zu­ge­las­sen.

Die Gründe:
Die Kläge­rin hat einen An­spruch auf Gewährung der Steu­er­be­frei­ung nach § 3 Nr. 5 Kraft­StG.

Strit­tig war al­lein, ob eine Ver­wen­dung zur Kran­ken­beförde­rung durch die Kläge­rin vor­liegt. Der BFH hat ent­schie­den, dass die Kran­ken­beförde­rung be­reits be­grifflich vor­aus­setzt, dass kranke Men­schen befördert wer­den (BFH-Urt. v. 13.9.2018, Az.: III R 10/18). Der Be­griff der Krank­heit ist im Ge­setz nicht de­fi­niert, da sein In­halt ständi­gen Ände­run­gen un­ter­liegt und der Be­griff im je­wei­li­gen Rechts­zu­sam­men­hang und in­di­vi­du­el­lem Fall ge­braucht wird. All­ge­mein an­er­kannt ist je­doch, dass Krank­heit ein ano­ma­ler körper­li­cher, geis­ti­ger oder see­li­scher Zu­stand ist, der nach herr­schen­der Auf­fas­sung ei­ner me­di­zi­ni­schen Be­hand­lung be­darf. Die­ser Krank­heits­be­griff gilt auch für Zwecke der Kfz-Steuer. Der Be­griff der Be­hin­de­rung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) ist nicht de­ckungs­gleich mit dem Be­griff der Krank­heit.

Die Be­hand­lungs­bedürf­tig­keit im­pli­ziert eine ge­wisse Dring­lich­keit der Beförde­rung, wie sie auch den übri­gen Merk­ma­len des § 3 Nr. 5 Satz 1 Kraft­StG (Feu­er­wehr­dienst, Ka­ta­stro­phen­schutz, zi­vi­ler Luft­schutz, Unglücksfälle, Ret­tungs­dienst) im­ma­nent ist. Das Ge­setz ver­langt kei­nen drin­gen­den So­fort­ein­satz. Viel­mehr müssen die beförder­ten Per­so­nen be­hand­lungs­bedürf­tig sein und die Beförde­rung muss mit der Be­hand­lung im Zu­sam­men­hang ste­hen. Im ent­schie­de­nen Streit­fall genügte dem BFH die Fest­stel­lung des FG Müns­ter (Urt. v. 25.1.2018, Az.: 6 K 159/17) nicht, dass das strit­tige Fahr­zeug aus­schließlich zur Beförde­rung von Per­so­nen ver­wen­det wor­den sei, die der­art geh­be­hin­dert wa­ren, dass sie öff­ent­li­che Ver­kehrs­mit­tel oder pri­vate Fahr­zeuge ohne fremde Hilfe nicht be­nut­zen konn­ten.

Das Ge­richt schließt sich die­sem Norm­verständ­nis grundsätz­lich an. Nicht zu fol­gen ist dem HZA darin, dass die Be­frei­ung be­reits des­halb nicht zu gewähren sei, weil die Kläge­rin im for­mu­larmäßigen An­trag erklärt habe, auch Be­hin­der­ten­fahr­ten durch­zuführen. In­so­weit durfte sich die Kläge­rin da­mit begnügen, dass ent­spre­chende ärzt­li­che Ver­ord­nun­gen ei­ner Kran­ken­beförde­rung vor­la­gen. Ins­be­son­dere ob­lag es nicht der Kläge­rin, die Not­wen­dig­keit ei­ner Beförde­rung und de­ren Ver­an­las­sung durch ein Krank­heits­bild zu überprüfen.

Da die Vor­aus­set­zun­gen der Kran­ken­beförde­rung nicht ab­schließend geklärt sind (Be­hin­der­ten­beförde­rung als Kran­ken­beförde­rung, Dring­lich­keit der Be­hand­lung bzw. Not­wen­dig­keit ei­ner me­di­zi­ni­schen Be­treu­ung während der Beförde­rung, Mit­wir­kungs- und Prüfungs­pflich­ten des Beförde­rungs­un­ter­neh­mens) wurde die Re­vi­sion zu­ge­las­sen. Zu­dem hat der V. Se­nat des BFH zur Um­satz­steu­er­be­frei­ung nach § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG aus­geführt, dass auch der Trans­port von Per­so­nen, die körper­lich oder geis­tig be­hin­dert sind und auf die Be­nut­zung ei­nes Roll­stuhls an­ge­wie­sen sind, un­ter die Steu­er­be­frei­ung des § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG fällt, da auch eine körper­li­che oder geis­tige Be­hin­de­rung, ins­be­son­dere bei­spiels­weise eine Quer­schnittslähmung, einen re­gel­wid­ri­gen Zu­stand i.S.d. De­fi­ni­tion der Krank­heit sei (BFH-Urt. v. 12.8.2004, Az.: V R 45/03.

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