Mit dem 1.1.2020 sind wesentliche Änderungen im Rahmen der Abrechnung von Krankenhausleistungen in Kraft getreten. Die Neuregelungen werden von Seiten der Krankenhäuser, der Landeskrankenhausgesellschaften und der Deutschen Krankenhausgesellschaft scharf kritisiert. Insbesondere die nun verankerte Aufschlagszahlung je Rechnungsbeanstandung durch den Medizinischen Dienst (MD) wird als Strafzahlung begriffen. Es steht der Vorwurf einer Strukturbereinigung durch die Hintertür im Raum. Aber auch von Seiten der Sozialgerichtsbarkeit und Anwaltschaft kommt Kritik. Es wird bezweifelt, dass die beabsichtigte Entlastung der Sozialgerichte eintritt, da mit der MDK-Reform neue Streitgegenstände geschaffen wurden.
Problematisch ist auch, dass die verfahrensmäßige Umsetzung der Neuregelungen an vielen Stellen noch nicht erfolgt ist. So fehlen etwa erforderliche Verfahrensregelungen zur Einzelfallerörterung und den Strukturgutachten. Daneben sind Rechtsfragen offen. Es existiert beispielsweise Unsicherheit in Bezug auf die zeitliche Geltung der Einzelfallerörterung. Im Hinblick auf den Umfang des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen einzelne Maßnahmen des MD oder der Kassen ist vieles ungeklärt. Auch ist angesichts quartalsweiser Prüfquoten unklar, auf welcher Grundlage künftig Rückstellungen für Honorarrückforderungen gebildet werden müssen. Während die Branche über gesetzessystematische Unklarheiten, Anwendungs- und Rechtsschutzfragen sowie etwaige Korrekturen im Rahmen des derzeit im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetzes diskutiert, sind (vor dem Hintergrund des Aufrechnungsverbots) einzelne Krankenkassen zur Rechnungskürzung vor Durchführung einer MD-Prüfung übergegangen - hier wird nur noch der unstreitige Teil bezahlt.
All dies schafft Unsicherheit auf Seiten der Krankenhäuser. Wir fassen daher nachfolgend noch einmal die wichtigsten Änderungen der MDK-Reform zusammen und weisen jeweils auf bestehenden Handlungsbedarf bzw. bestehende Handlungsmöglichketen hin.
Prüfquoten und Aufschlagszahlungen
Die Prüfquote soll den Umfang der Einzelfallprüfungen je Haus begrenzen. Für 2020 ist die Prüfquote bundeseinheitlich auf 12,5 % festgelegt, ab 2021 werden die Prüfquoten für jedes Krankenhaus quartalsweise festgesetzt. Maßgeblich für die Eingruppierung in eine Prüfquote ist der prozentuale Anteil beanstandeter Schlussrechnungen des maßgeblichen Betrachtungsquartals. Ausgenommen von einer Begrenzung der MD-Prüfung durch eine Prüfquote sind Häuser, die im Verdacht stehen, systematisch überhöht abzurechnen. Die Frist zur Einleitung einer Einzelfallprüfung wurde allerdings von 6 Wochen auf 4 Monate signifikant angehoben. Die Prüfung erfolgt durch den örtlich zuständigen MD. Die Einzelfallprüfung ist abschließend, d. h. nach der MD-Prüfung ist jetzt keine Rechnungskorrektur mehr möglich. Nicht Gegenstand der Einzelfallprüfung sind ambulante Leistungen und Pflegeentgelte. Für beanstandete Rechnungen müssen Krankenhäuser künftig einen Aufschlag in Höhe eines prozentualen Anteils am Differenzbetrag, mindestens aber EUR 300 zahlen. Auch hier ist die Höhe des prozentualen Aufschlags abhängig von der Beanstandungsquote des Krankenhauses. Widerspruch und Klage gegen die Geltendmachung von Aufschlagszahlungen und gegen die Ermittlung der Prüfquote haben keine aufschiebende Wirkung. Einwendungen, behördliche oder gerichtliche Feststellungen zu Einzelfallprüfungen können die ermittelte Prüfquote nicht verändern.
Handlungsbedarf/Handlungsmöglichkeiten: Es ist eine gezielte Prüfung durch den MD, insbesondere im Bereich der primären und sekundären Fehlbelegung zu erwarten. Um hohe Prüfquoten ab 2021 und Aufschlagszahlungen zu vermeiden, müssen bereits in 2020 umfangreiche Prozessoptimierungen im Rahmen der Abrechnung und des MD-Managements vorgenommen werden. Dies umfasst insbesondere die sorgfältige Dokumentation der Leistungen, ggf. die Neustrukturierung des Berichtswesens sowie die Anpassung/Optimierung des Entlassmanagements (u. a. Antrag auf Anschlussbehandlungen bei den Kassen stellen und dies dokumentieren).
Vor dem Hintergrund der abschließenden Prüfung durch den MD sollten Gestaltungsmöglichkeiten untersucht werden. Denkbar wäre etwa eine Überprüfung und ggf. Korrektur der Rechnung unmittelbar nach Eingang der Prüfanzeige durch den MD - die anschließende Prüfung bleibt dann (voraussichtlich) ergebnislos und die Eingruppierung in eine höherer Prüfquote und Festsetzung einer Aufschlagszahlung wird vermieden.
Die materiell-rechtliche Überprüfung der Prüfquote kann ggf. im Rechtsschutzverfahren zur Überprüfung des Aufschlagszahlung erfolgen. Bei Festsetzung einer unzutreffenden Prüfquote sollten auch Regressmöglichkeiten gegen den MD geprüft werden.
Die Frage der Berechnung der Rückstellungen muss unter Hinzuziehung eines Wirtschaftsprüfers geprüft werden.
Aufrechnungsverbot
Die Krankenkassen dürfen mit Rückforderungsansprüchen nicht gegen Vergütungsansprüche der Krankenhäuser aufrechnen. Bislang war dies in einigen Bundesländern aufgrund der landesrechtlich bestehenden Regelungen möglich. Zu beachten ist auf Seiten der Krankenhäuser aber, dass eine Aufrechnung dann weiter zulässig ist, wenn die Forderung der Krankenkasse auf Rückzahlung von Vergütung durch das Krankenhaus nicht bestritten wird. Offen ist daneben, ob in der Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfVV) hiervon abweichendes geregelt werden kann - und wird. Die Einzelheiten sind noch nicht vereinbart. Auch hier sind daher Streitigkeiten zu erwarten. Eine bedrohliche Entwicklung stellen die teils bereits vorgenommenen Direktkürzungen durch die Krankenkassen außerhalb der Einzelfallprüfung dar. Dies kann zu Liquiditätsengpässen einzelner Häuser führen.
Handlungsbedarf/Handlungsmöglichkeiten: Beanstandungen des MD sollten im Rahmen des MD-Managements geprüft und ggf. grundsätzlich bestritten werden, um das Aufrechnungsverbot zu sichern. Für den Fall, dass Krankenkassen dem Aufrechnungsverbot mittels einer Direktkürzung vor der MD-Prüfung begegnen, sollte die Erhebung einer Leistungsklage erwogen und juristisch überprüft werden.
Einzelfallerörterung
Nach dem neu eingefügten § 17 c Abs. 2b KHG findet eine gerichtliche Überprüfung einer Krankenhausabrechnung nur statt, wenn die Rechtmäßigkeit der Abrechnung vor Klageerhebung einzelfallbezogen zwischen Krankenhaus und Krankenkasse erörtert worden ist. Die Erörterung kann durch Abschluss eines einzelfallbezogenen Vergleichsvertrags abgeschlossen werden. Die Verfahrensregeln sind bis 30.6.2020 zu vereinbaren. Das Erörterungsverfahren stellt eine echte Zulässigkeitsvoraussetzung dar. Hat ein Erörterungsverfahren nicht stattgefunden, muss das Sozialgericht die Klage nach derzeitiger Rechtslage als unzulässig abweisen. Derzeit besteht Unsicherheit, ab wann das Erörterungsverfahren verpflichtend greift (-Werden Altfälle aus 2019 erfasst? Sind Fälle ab 1.1.2020 betroffen? Greift das Erörterungsverfahren erst nach Inkrafttreten der Verfahrensregeln?). Dies soll nach einem Ergänzungsantrag zum Referentenentwurf des MPEuAnpG ggf. über eine Klarstellung korrigiert werden. In einem gerichtlichen Verfahren sind außerdem Einwendungen und Tatsachenvortrag präkludiert, sofern diese nicht im Rahmen des obigen Falldialogs geltend gemacht wurden. Eine nachträgliche Sachverhaltserforschung außerhalb der Einzelfallerörterung durch das Gericht ist nicht mehr möglich. Insoweit wird der Amtsermittlungsgrundsatz eingeschränkt.
Handlungsbedarf/Handlungsmöglichkeit: Einzelfallerörterungen sollten ab sofort als Prozessschritt vorgesehen werden. Um eine materielle Präklusion zu vermeiden, muss zudem der Umfang der Erörterung beachtet werden. Im Zweifel sollte die ganze Akte in das Erörterungsverfahren einbezogen und der Ablauf des Verfahrens sauber dokumentiert werden. Hier müssen ggf. zusätzliche Ressourcen eingesetzt werden.
Schlichtungsausschuss
Über den Schlichtungsausschuss auf Bundesebene soll eine Vorabklärung grundsätzlicher Fragen zwischen den Selbstverwaltungspartnern erfolgen. Hierzu soll der Schlichtungsausschuss eine verbindliche Klärung von Kodier- und Abrechnungsfragen von grundsätzlicher Bedeutung herbeiführen und nach Anrufung strittige Fälle innerhalb von 8 Wochen einer Lösung zuführen. Nach Veröffentlichung einer Entscheidung des Schlichtungsausschusses gilt diese als Kodierregel. Die Klage gegen eine Entscheidung des Schlichtungsausschusses hat keine aufschiebende Wirkung. Offen ist derzeit der Umfang der gerichtlichen Überprüfbarkeit einer Entscheidung des Schlichtungsausschusses.
Handlungsbedarf/Handlungsmöglichkeiten: Der Schlichtungsausschuss bzw. die dort ergangenen Entscheidungen müssen ab sofort in das Prozessmanagement integriert werden: Entscheidungen sind zu verfolgen und umzusetzen, andernfalls drohen Falschabrechnungen und damit eine Erhöhung der Prüfquote und Aufschlagszahlungen.
Strukturgutachten zur Abrechnung von Komplexkodes
Ab 2021 ist Voraussetzung für die Vereinbarung und Abrechnung von Strukturmerkmalen nach dem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) die vorherige Überprüfung und Bestätigung von Strukturmerkmalen durch den MD in einem Strukturgutachten. Liegt kein Gutachten vor oder kommt der MD zu dem Ergebnis, dass das jeweilige Krankenhaus die strukturellen Voraussetzungen nicht erfüllt, dürfen die Leistungen (ab 2021) nicht mehr vereinbart und abgerechnet werden. Damit sind Strukturmerkmale künftig nicht mehr Gegenstand der Einzelfallprüfungen. Es muss derzeit davon ausgegangen werden, dass die Medizinischen Dienste nicht in der Lage sein werden, bis Ende 2020 alle Krankenhäuser zu prüfen und per Strukturgutachten zu bescheiden, zumal die erforderlichen Richtlinien noch nicht verabschiedet sind. Es ist daher zu erwarten, dass viele Häuser zum Jahreswechsel kein Gutachten werden vorlegen können.
Handlungsbedarf/Handlungsmöglichkeiten: Für eine Sicherung der Komplexleistungen in 2021 ist daher eine frühzeitige (am besten sofortige) Beantragung des Strukturgutachtens beim zuständigen MD erforderlich. Nach § 275 d Abs. 4 SGB V dürfen bislang erbrachte Strukturmerkmale ab 2021 weiter erbracht werden, wenn das Krankenhaus die Gründe nicht zu vertreten hat, aus denen Ende 2020 ein Strukturgutachten nicht vorliegt. Dies können die Häuser über die frühzeitige schriftliche Beantragung aus derzeitiger Sicht nachweisen.