Künstliche Intelligenz - so verändern Chat GPT & Co. unsere Arbeitswelt

28.11.2023 | 6 Minuten Lesezeit

Künstliche Intelligenz ist unaufhaltsam auf dem Vormarsch - für die breite Bevölkerung unmittelbar wahrnehmbar seit der Vorstellung von Chat GPT. Die Arbeitsergebnisse, die erzielt werden, sind verblüffend. Keine Frage, die Entwicklungen werden zu einer Revolutionierung der gesamten Arbeitswelt führen. Wo KI schon seit geraumer Zeit im Einsatz ist, wo die größten Chancen, aber auch Risiken für die Arbeitswelt bestehen, darüber sprechen wir mit dem Digitalexperten und Publizisten Sascha Lobo.

Herr Lobo, die Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz schreiten rasant voran. Wo stehen die deutschen Entwicklungen und die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich?

Wir stehen vor einer KI-Transformation, also vor der nächsten Stufe der digitalen Transformation, und damit einhergehend der Veränderung von Geschäftsmodellen und Geschäftsprozessen durch KI. Davon ausgehend muss man leider feststellen, dass Deutschland vergleichsweise stark zurückliegt. Einer der wichtigsten Gründe ist eigentlich ein sehr positiver, nämlich ein Luxusproblem: Der riesige Erfolg der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahren. Dadurch hat sich der „Wandlungsdruck" für deutsche Unternehmen minimiert. Das bedeutet, man hat bisher zu wenig Grund dafür gesehen, sich zu verwandeln. Was wir schon in der digitalen Transformation beobachten konnten, führt nun dazu, dass zu viele Branchen in Deutschland das Thema KI noch nicht in den Fokus genommen haben.

Laut einer Umfrage des ifo Instituts aus dem Juni 2023 setzen aktuell 13,3 % der Unternehmen in Deutschland KI ein. Wie können sich die restlichen Unternehmen dem Thema KI strategisch nähern?

Zuerst einmal sollten sich diese Unternehmen entspannen und dem Hype um Chat GPT etwas entfliehen. Wichtig ist zu überlegen, was die grundsätzlichen Mechanismen bzw. die Digitalisierungsmuster sind, die hinter der KI-Transformation stehen.

So können wir plötzlich ganz viele Prozesse kostensparend Inhouse erledigen. Das bedeutet einen Produktivitätszuwachs einzelner Abteilungen quer durch die Wertschöpfungskette. Das ist aber noch nicht einmal etwas, was die richtige KI-Transformation in der Tiefe ausmacht, sondern etwas, was bereits mit den nächsten Microsoft Office Versionen plötzlich dazukommen wird.

Damit die KI-Transformation wirksam wird, müssen wir in jeder einzelnen Branche genau hinschauen, wo das Potenzial für generative KI und nicht generative KI liegt. Chat GPT kann jetzt etwas, was vorher selbst Fachleute in dieser Geschwindigkeit nicht für möglich gehalten haben. Aber KI ist ja viel größer. Hinter KI steht eine bestimmte Form von Anwendung von Rechenpower, die ein gigantisches Potenzial ausschöpft, das dem Menschen bisher einfach verborgen geblieben ist. Das gilt es, für jede einzelne Branche, teilweise sogar für jede einzelne Firma, überhaupt erst einmal zu erkennen. Das ist alles andere als leicht, weil die Entwicklung sehr schnell, sehr überraschend und unvorhersehbar geschehen ist.

Was bedeutet das nun konkret? Wie kann ein Unternehmen für sich erkennen, wo Potential für die Anwendung von KI besteht?

In den meisten Fällen geht das, ähnlich wie bei den ersten Schritten der Digitalisierung, nicht ohne Experten, die sich speziell mit der Anwendung von KI in Unternehmen auskennen. Gerade mittelständische Unternehmen dürfen nicht wieder den gleichen Fehler machen wie anfangs bei der digitalen Transformation und das Thema KI allein der EDV-Abteilung überlassen.

Es gibt einen Grund, warum die KI-Transformation, gerade was Geschäftsmodelle und Weiterentwicklung angeht, eine eigene Disziplin ist. Sie bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Disruption, also der kreativen Zerstörung, und der Entwicklung von ganz neuen Geschäftsmodellen. Diese Disziplin umfasst auch bestimmte Aspekte von Business Intelligence, die darauf abzielt, noch neue Potenziale zu identifizieren. Es braucht daher am Ende Schlüsselstellen, die sowohl einen Überblick über die technologischen Möglichkeiten haben, als auch in ökonomischen bzw. den relevanten fachlichen und regulatorischen Zusammenhängen denken können. Daher kann es gerade am Anfang hilfreich sein, externe Berater hinzuzuziehen, die wissen, was möglich ist und das dann auch umsetzen können.

Ohne Daten - keine KI. Ist damit die Datenqualität der Knackpunkt für eine erfolgreiche Anwendung von KI?

Jein - in vielen Bereichen ist die Datenqualität wichtig, in manchen Bereichen hingegen ist sie gar nicht so zentral. Es gibt Ansätze, die bereits mit virtuellen Trainingsdaten interessante Erfolge erzielen. Richtig ist jedoch, dass viele Prozesse Daten und Lernmodelle brauchen, um überhaupt angestoßen zu werden. Allerdings ist der Datenschutz in Deutschland, insbesondere die sehr strenge deutsche Auslegung der DSGVO im Vergleich zu anderen europäischen Staaten, oftmals ein sehr großes Hindernis. Aus meiner Sicht brauchen wir ein grundsätzlich anderes Verständnis davon, was Datenschutz ist und wie man damit umgeht. Das beginnt bereits damit, dass in der Öffentlichkeit oftmals Datenschutz und Datensicherheit verwechselt werden.

Kommen wir nun zum Arbeitsmarkt. Der Fachkräftemangel ist das eine: hier kann KI sicherlich helfen, Engpässe auszugleichen. Aber die Entwicklungen gehen ja viel weiter, was bedeutet das mittelfristig für den Arbeitsmarkt?

Der große Vorteil am Einsatz von KI ist der Produktivitätszuwachs. Dies bedeutet, dass perspektivisch neue Formen gefunden werden müssen, und auch gefunden werden, das Wissen und die Produktivität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sinnvoll einzusetzen.

Zumindest mittelfristig wird der Arbeitsplatz der meisten Arbeitnehmer nicht durch KI ersetzt, sondern eher durch eine andere Person, die KI bedient. Das ist ein wichtiger Unterschied. Die KI-Transformation ist somit in erster Linie eine Aus- und Fortbildungsfrage.

Jüngere Menschen werden mit KI leben müssen. Können sie sich heute schon in irgendeiner Form auf den technologischen Wandel vorbereiten?

Der Wandel ist gegenwärtig so schnell und tiefgreifend, dass wir sehr wenig über die Welt in fünf Jahren sagen können. Für jüngere Menschen, die gerade in der Ausbildung sind oder sich orientieren wollen, ist es deshalb gar nicht so leicht, definitive Aussagen zu treffen. Ist es vielleicht auf der einen Seite überhaupt sinnvoll und erforderlich, Programmieren zu lernen, weil das die KI ja heute schon von selbst macht? Auf der anderen Seite ist aber die Kenntnis von bestimmten Programmierzusammenhängen ziemlich essenziell, um die Technologie besser begreifen zu können. Momentan heißt also die klare Empfehlung, Augen offen halten und die Entwicklungen stetig verfolgen.

Ich sehe aber, dass viele junge Leute die Anwendung von KI längst adaptiert haben. Sie verstehen, wie KI funktioniert und nutzen diese auch schon, sei es zur Erledigung von Hausaufgaben oder etwa teilweise im Zusammenhang Haus- bzw. Diplomarbeiten.

Werden sich viele bestehende Berufe dahingehend verändern, dass die von KI geschaffenen Arbeitsergebnisse kontrolliert werden? Besteht also ein Wandel von einer erstellenden zu einer kontrollierenden Tätigkeit?

Die meisten Menschen sind nicht in der Lage, die Arbeitsergebnisse einer KI sinnvoll zu kontrollieren. Die KI ist ziemlich gut darin, Fakten zu erfinden, die sich nur mit großer Mühe als falsch identifizieren lassen.

Aber Menschen können einschätzen, inwieweit eine KI in der Lage ist, die Arbeitsergebnisse einer anderen KI zu überprüfen. Dieses Prinzip kennen wir bereits aus anderen Bereichen, in denen Automatisierung eine Rolle spielt und etwa eine Maschine die andere überprüft.

Der Einsatz von KI birgt auch gewaltige Risiken - Thema “Halluzinationen“. Wie weit kann man den Arbeitsergebnissen glauben? Bzw. wie kann man sich vor Fakes schützen?

Es gibt bereits technologische Mittel gegen Halluzinationen. Zwar kann man Halluzinationen nicht komplett verhindern. Aber man kann zumindest damit anfangen, sich dessen gewahr zu werden. Damit ist dann bereits ein wichtiger Schritt erreicht. In anderen Bereichen ist es ja auch so, dass uns das nicht komplett davon abhält, Technologien zu nutzen. Im Gegenteil, man kann ja auch in Google durchaus falsche Ergebnisse erzielen und nutzt deshalb trotzdem Google weiter. Man muss nur die richtigen Schlüsse ziehen. Und ganz ehrlich - so ähnlich ist es bei Chat GPT.

Ich möchte da auf Geoffrey E. Hinton hinweisen, den sog. „Godfather of AI" der seit vierzig Jahren an KI forscht. Ich teile seine Meinung zwar nicht uneingeschränkt, aber in diesem Punkt schon. Er sagt, dass der Hauptgrund für Halluzinationen darin besteht, dass die KI mit menschlich generierten Daten, im Wesentlichen Sprache, arbeitet und eine große Anzahl dieser „Trainingsdaten“, ggf. nicht ganz stimmig, subjektiv und somit nicht wirklich mustergültig für nicht-halluzinative Inhalte ist. Wenn man also weiß, dass die KI mit Halluzinationen „verseucht" ist, kann man das zwar nicht verhindern, aber dem zumindest entgegenwirken.

Eigentlich bedürfte es doch erst einmal ethischer und gesetzlicher Grundlagen, bevor KI flächendeckend zum Einsatz kommt? Aber bis wir damit so weit sind, werden wir doch von den Entwicklungen überrollt. Haben wir eigentlich noch eine Wahl, wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen?

Der technologische Fortschritt ist der Regulatorik seit vielen hundert Jahren weit voraus. Die gesamte Industrialisierung basierte am Anfang auf dem Fehlen von sinnvoller Regulatorik und das war nicht nur gut. Aus meiner Sicht ist die generative KI in der jetzigen Größenordnung mit der Industrialisierung vergleichbar. Das bedeutet: Ja - wir brauchen eine Regulierung von KI. Wir brauchen aber noch viel mehr das Bewusstsein dafür, dass wir einen Transformationsprozess in Gang setzen müssen, der nicht gestoppt werden darf. Die Frage, wie wohlhabend Deutschland in zehn bis fünfzehn Jahren sein wird, ist eine Frage, die mit dem Einsatz von KI beantwortet werden wird. Deutschland hat dafür in vielen Bereichen gute Voraussetzungen, u. a. ist die KI-Forschung gar nicht so schlecht. Woran es aber sehr hapert, ist einerseits bei der Digitalisierung insgesamt, der Infrastruktur zum Beispiel, andererseits bei dem Bewusstsein für die Digitalisierung und der Mechanik, die dahintersteht, und schließlich auch an der politischen Haltung, die Transformation zu ermöglichen. Leider wird derzeit die KI-Transformation von aberwitziger Regulierung zurückgedrängt.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lobo.