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Lebensversicherung: Zur Unzulässigkeit des Erlöschens des Rücktrittsrechts bei fehlender Belehrung über das Recht zum Rücktritt

EuGH 19.12.2013, C‑209/12

Art. 15 Abs. 1 der Zwei­ten Richt­li­nie 90/619/EWG zur Le­bens­ver­si­che­rung ist da­hin aus­zu­le­gen, dass er ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­steht, nach der ein Rück­tritts­recht spätes­tens ein Jahr nach Zah­lung der ers­ten Ver­si­che­rungsprämie er­lischt, wenn der Ver­si­che­rungs­neh­mer nicht über das Recht zum Rück­tritt be­lehrt wor­den ist.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger schloss bei der be­klag­ten Al­li­anz Le­bens­ver­si­che­rungs AG einen Ren­ten­ver­si­che­rungs­ver­trag mit Ver­trags­be­ginn zum 1.12.1998 ab. Die All­ge­mei­nen Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen und die Ver­brau­cher­in­for­ma­tion er­hielt er erst mit dem Ver­si­che­rungs­schein. Im Zuge die­ses Ver­trags­schlus­ses be­lehrte die Be­klagte den Kläger nicht hin­rei­chend über die ihm nach § 5a VVG zu­ste­hen­den Rechte.

Laut Ver­trag sollte der Kläger ab De­zem­ber 1998 über einen Zeit­raum von fünf Jah­ren jähr­lich eine Ver­si­che­rungsprämie zah­len. Als Ge­gen­leis­tung sollte die Be­klagte ihm ab dem 1.12.2011 eine Rente zah­len. Am 1.6.2007 kündigte der Kläger ge­genüber der Be­klag­ten den Ver­trag zum 1.9.2007. Im Sep­tem­ber 2007 kehrte die Al­li­anz ihm den Rück­kaufs­wert des Ren­ten­ver­si­che­rungs­ver­trags aus, der un­ter dem Ge­samt­be­trag der Ver­si­che­rungsprämien zzgl. Zin­sen lag. Mit Schrei­ben vom 31.4.2008 übte der Kläger sein Wi­der­spruchs­recht nach § 5a VVG aus. Er for­derte die Al­li­anz auf, ihm sämt­li­che Prämien nebst Zin­sen un­ter Ab­zug des be­reits aus­ge­kehr­ten Rück­kaufs­werts zurück­zu­zah­len.

Die In­stanz­ge­richte wie­sen die Klage ab. Dar­auf­hin legte der Kläger Re­vi­sion ein. Für den BGH hat die Re­vi­sion nur Er­folg, wenn der Kläger un­ge­ach­tet der Be­stim­mung des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG noch zu einem Wi­der­spruch be­rech­tigt war, nach­dem mehr als ein Jahr seit Zah­lung der ers­ten Ver­si­che­rungsprämie ver­stri­chen war. In­so­fern komme es dar­auf an, ob Art. 15 Abs. 1 S. 1 der Zwei­ten Richt­li­nie Le­bens­ver­si­che­rung da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er ei­ner zeit­li­chen Be­schränkung des Wi­der­spruchs­rechts ent­ge­gen­steht. Der BGH hat das Ver­fah­ren aus­ge­setzt und dem EuGH fol­gende Frage zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt:

Ist Art. 15 Abs. 1 S. 1 der Zwei­ten Richt­li­nie Le­bens­ver­si­che­rung un­ter Berück­sich­ti­gung des Art. 31 Abs. 1 der Drit­ten Richt­li­nie Le­bens­ver­si­che­rung da­hin aus­zu­le­gen, dass er ei­ner Re­ge­lung - wie § 5a Abs. 2 S. 4 VVG in sei­ner auf den Sach­ver­halt des Aus­gangs­ver­fah­rens an­wend­ba­ren Fas­sung - ent­ge­gen­steht, nach der ein Rück­tritts- oder Wi­der­spruchs­recht spätes­tens ein Jahr nach Zah­lung der ers­ten Ver­si­che­rungsprämie er­lischt, selbst wenn der Ver­si­che­rungs­neh­mer nicht über das Recht zum Rück­tritt oder Wi­der­spruch be­lehrt wor­den ist?

Die Gründe:
Eine na­tio­nale Be­stim­mung wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­che, wo­nach das Recht des Ver­si­che­rungs­neh­mers, von dem Ver­trag zurück­zu­tre­ten, zu einem Zeit­punkt er­lischt, zu dem er über die­ses Recht nicht be­lehrt war, läuft der Ver­wirk­li­chung ei­nes grund­le­gen­den Ziels der Zwei­ten und der Drit­ten Richt­li­nie Le­bens­ver­si­che­rung und da­mit de­ren prak­ti­scher Wirk­sam­keit zu­wi­der.

Der EuGH hat be­reits ent­schie­den, dass ein Ver­brau­cher das Wi­der­rufs­recht nicht ausüben kann, wenn es ihm nicht be­kannt ist. Dem­zu­folge kann eine Be­schränkung des Zeit­raums, in dem das Wi­der­rufs­recht nach der Richt­li­nie 85/577 zum Ver­brau­cher­schutz im Falle von außer­halb von Ge­schäftsräumen ge­schlos­se­nen Verträgen ausgeübt wer­den kann, aus Gründen der Rechts­si­cher­heit nicht ge­recht­fer­tigt sein, weil dies eine Ein­schränkung der Rechte im­pli­ziert, die dem Ver­brau­cher ausdrück­lich ver­lie­hen wor­den sind, um ihn vor den Ge­fah­ren zu schützen, die sich dar­aus er­ge­ben, dass Kre­dit­in­sti­tute be­wusst Verträge außer­halb ih­rer Ge­schäftsräume ab­schließen.

Diese Erwägun­gen aus dem Ur­teil vom 13.12.2001 (C‑481/99) las­sen sich auf die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­che Be­stim­mung über­tra­gen. Die Ge­fah­ren, die zum einen für den Ver­brau­cher mit dem Ab­schluss ei­nes Ver­trags außer­halb der Ge­schäftsräume sei­nes Ver­trags­part­ners und zum an­de­ren für den Ver­si­che­rungs­neh­mer mit dem Ab­schluss ei­nes Ver­si­che­rungs­ver­trags bei Feh­len ei­ner den An­for­de­run­gen des Art. 31 der Drit­ten Richt­li­nie Le­bens­ver­si­che­rung i.V.m. de­ren An­hang II ent­spre­chen­den Be­leh­rung ver­bun­den sind, sind nämlich ver­gleich­bar.

Mit ih­rem An­trag, die zeit­li­chen Wir­kun­gen des Ur­teils zu be­gren­zen, falls der EuGH fest­stel­len sollte, dass die Zweite und die Dritte Richt­li­nie Le­bens­ver­si­che­rung ei­ner na­tio­na­len Be­stim­mung wie der im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­chen ent­ge­gen­ste­hen, kann die Be­klagte i.Ü. nicht durch­drin­gen. Eine Be­gren­zung der zeit­li­chen Wir­kun­gen ei­nes Ur­teils nach ständi­ger Recht­spre­chung ist eine außer­gewöhn­li­che Maßnahme, die vor­aus­setzt, dass eine Ge­fahr schwer­wie­gen­der wirt­schaft­li­cher Aus­wir­kun­gen be­steht, die ins­bes. mit der großen Zahl von Rechts­verhält­nis­sen zu­sam­menhängen, die gutgläubig auf der Grund­lage der als gültig be­trach­te­ten Re­ge­lung ein­ge­gan­gen wur­den.

Die Be­klagte, hat sich je­doch dar­auf be­schränkt, auf eine sehr hohe Zahl von Ver­si­che­rungs­verträgen zu ver­wei­sen, die nach dem Po­li­cen­mo­dell ge­schlos­sen wor­den sein sol­len und auf­grund de­ren ins­ge­samt ein sehr ho­her Be­trag ge­zahlt wor­den sein soll. Sie hat aber keine An­ga­ben zu der in der vor­lie­gen­den Rechts­sa­che al­lein maßgeb­li­chen Zahl von Ver­si­che­rungs­verträgen ge­macht, bei de­nen der Ver­si­che­rungs­neh­mer nicht über sein Rück­tritts­recht be­lehrt wurde, und sie hat auch nicht das wirt­schaft­li­che Ri­siko be­zif­fert, das für sie da­mit ver­bun­den ist, dass die be­trof­fe­nen Ver­si­che­rungs­neh­mer von die­sen Verträgen zurück­tre­ten können. Un­ter die­sen Umständen ist nicht er­wie­sen, dass die Ge­fahr schwer­wie­gen­der wirt­schaft­li­cher Aus­wir­kun­gen be­steht.

Link­hin­weis:

Für den auf den Web­sei­ten des EuGH veröff­ent­lich­ten Voll­text der Ent­schei­dung kli­cken Sie bitte hier.

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