Im Streitfall machte ein Leiharbeitnehmer, der zwischen 2014 und 2019 aufgrund wiederholter Verlängerungen insgesamt 55 Monate bei demselben Entleiher gearbeitet hatte, geltend, dass zwischen ihm und dem Entleiher ein festes Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei.
In seiner Entscheidung betonte der EuGH zwar, dass es missbräuchlich sein könnte, einen Arbeiter jahrelang auf demselben Arbeitsplatz einzusetzen, es müssten aber auch sämtliche relevanten Umstände, vor allem Besonderheiten der Branche und nationale Regelungen, berücksichtigt werden.
Das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), mit dem die sog. Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG in deutsches Recht umgesetzt wurde, sah bereits von Anfang an vor, dass die Überlassung von Arbeitnehmern nur „vorübergehend“ erfolgen könne. Eine maximale Überlassungsdauer, nämlich 18 Monate, die über einen Tarifvertrag aber ausgeweitet werden kann, ist allerdings erst mit Wirkung ab 01.04.2017 in das nationale Recht eingeführt worden. Ebenfalls seit dem 01.04.2017 sieht das AÜG als Sanktion für den Fall der Überschreitung der maximalen Überlassungsdauer vor, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer als zu Beginn der vorgesehenen Tätigkeit zustande gekommen gilt. Allerdings sieht eine Übergangsvorschrift zu diesen Gesetzesänderungen vor, dass bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer nur die nach dem 01.04.2017 zurückgelegten Arbeitszeiten berücksichtigt werden. Erstmals konnte nun also ab Oktober 2018 (da der April 2017 für alle durchgängig eingesetzten Zeitarbeitnehmer der erste Monat war) die Höchstüberlassungsdauer überschritten werden – mit allen Konsequenzen gerade für Entleiher.
Mit Verweis auf diese Gesetzeslage vertrat das LAG die Auffassung, dass die Klage auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher nur dann in vollem Umfang Erfolg haben könne, wenn das Unionsrecht dies gebiete. Auf ein Vorabentscheidungsersuchen hin urteilte der EuGH mit Urteil vom 17.03.2022 (Rs. C-232/20) wie folgt:
Art. 1 Abs. 1 der EU-Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit sei dahin auszulegen, dass der darin verwendete Begriff „vorübergehend“ der Überlassung eines Arbeitnehmers, der einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis mit einem Leiharbeitsunternehmen hat, an ein entleihendes Unternehmen zur Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz, der dauerhaft vorhanden ist und der nicht vertretungsweise besetzt wird, nicht entgegensteht.
Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 5 der EU-Richtlinie 2008/104/EG seien dahin auszulegen, dass es einen missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender Überlassungen eines Leiharbeitnehmers darstellen könnte, wenn diese Überlassungen auf demselben Arbeitsplatz bei einem entleihenden Unternehmen für die Dauer von 55 Monaten erfolgten. Davon könne ausgegangen werden, wenn die aufeinanderfolgenden Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers bei demselben entleihenden Unternehmen zu einer Überlassungsdauer führe, die im Kontext des nationalen Regelungsrahmens vernünftigerweise nicht mehr als „vorübergehend“ betrachtet werden können. Diese Feststellungen müsse allerdings das vorlegende Gericht treffen.
Hinweis: Der EuGH weist u. a. darauf hin, dass die Richtlinie keine Dauer vorgibt, bei deren Überschreitung eine Überlassung nicht mehr als „vorübergehend“ eingestuft werden könne. Ebenso wenig würden die Mitgliedstaaten durch die Richtlinie verpflichtet, im nationalen Recht eine solche Dauer vorzusehen. Die Mitgliedstaaten müssten jedoch dafür Sorge tragen, dass Leiharbeit bei demselben entleihenden Unternehmen nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer werde.
Weiter sei Art. 10 Abs. 1 der EU-Richtlinie 2008/104/EG dahin auszulegen, dass mangels einer einschlägigen nationalen Rechtsvorschrift der Leiharbeitnehmer aus dem Unionsrecht kein subjektives Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen ableiten kann.