Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin war in den Streitjahren 2012 bis 2013 im Großhandel mit Textilien und Modeaccessoires im Niedrigpreissegment tätig. Die Waren wurden jeweils in großen Mengen eingekauft, wobei die Preise des jeweiligen Artikels überwiegend im unteren und mittleren einstelligen Eurobereich lagen, nur vereinzelt zwischen 10 € und 12 €.
In ihren Umsatzsteuererklärungen der Streitjahre machte die Antragstellerin Vorsteuerabzugsbeträge aus Rechnungen mehrerer Firmen geltend, in denen die Artikel lediglich mit Angaben wie "Tunika, Hosen, Blusen, Top, Kleider, T-Shirt, Pulli, Bolero, teilweise auch Da-Pullover (langärmlig in 3 Farben) oder Da-Tops (langärmlig in 4 Farben)" bezeichnet waren. Im Anschluss an ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die damalige Geschäftsführerin der Antragstellerin sowie eine die Streitjahre betreffende Umsatzsteuer-Sonderprüfung erließ das Finanzamt geänderte Umsatzsteuerbescheide, in denen es die Vorsteuerabzugsbeträge aus den Rechnungen nicht anerkannte.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Antragstellerin Klage und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) der streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide. Das FG lehnte den Aussetzungsantrag ab. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide bestünden keine ernstlichen Zweifel, weil die Rechnungen keine hinreichenden Leistungsbeschreibungen i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG i.V.m. § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG enthielten. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hob der BFH den Beschluss des FG auf und setzte die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2012 und 2013 aus.
Gründe:
Ernstliche Zweifel an den angefochtenen Bescheide folgen bereits daraus, dass zu den Anforderungen an die Leistungsbeschreibung im Niedrigpreissegment noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt und diese Frage in der Rechtsprechung der FG unterschiedlich beantwortet wird:
Während der 5. Senat des FG Düsseldorf in einem nicht veröffentlichten Urteil vom 3.7.2017 (5 K 1992/14 U, zit. nach Haberland, Umsatzsteuer-Rundschau 2018, 342) davon ausgeht, dass bei Großeinkäufen von Billigartikeln die Angabe der Gattung mit Stückzahl ausreicht, vertreten der 1. Senat des FG Düsseldorf (Urteil vom 15.9.2017 - 1 K 2978/15 U), das Hessische FG (Urteile vom 12.10.2017 - 1 K 2402/14) sowie das FG Hamburg (Beschl. vom 29.7.2016 - 2 V 34/16) die Auffassung, dass im Niedrigpreissegment die bloße Angabe einer Gattung für eine hinreichende Leistungsbeschreibung nicht genüge. Notwendig sei vielmehr eine weitergehende Umschreibung der Ware über die Herstellerangabe, die Eigenmarke, den Modelltyp oder unter Bezugnahme auf eine Artikel- oder Chargennummer. Zu dieser Frage ist unter dem Aktenzeichen XI R 2/18 ein Revisionsverfahren beim BFH anhängig.
Ernstliche Zweifel ergeben sich darüber hinaus im Hinblick auf die Bedeutung und Reichweite des Senatsbeschlusses vom 29.11.2002 (V B 119/02). Danach reicht es als Leistungsbeschreibung nicht aus, wenn über "hochpreisige" Uhren und Armbänder mit Kaufpreisen von jeweils 5.000 DM und mehr mit bloßen Gattungsbezeichnungen Angabe "diverse Armbanduhren" oder "diverse Armbänder" abgerechnet wird. Die Identifizierung der Lieferung des jeweiligen Gegenstands sei unter diesen Umständen erst durch eine Abrechnung unter Aufzeichnung der handelsüblichen Bezeichnung des Gegenstands leicht und einwandfrei möglich, insbesondere dann, wenn in der Rechnung nicht auf bestimmte Lieferscheine Bezug genommen wird.
Ob diesem Beschluss entnommen werden kann, dass im Handel mit Waren im Niedrigpreissegment geringe Anforderungen an die Leistungsbeschreibung zu stellen sind, erscheint im Hinblick darauf klärungsbedürftig, dass die für den Vorsteuerabzug erforderlichen Angaben nicht durch ihre Zahl oder ihre technische Kompliziertheit die Ausübung des Rechts zum Vorsteuerabzug praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (EuGH - Petroma Transports u.a. vom 8.5.2013, C-271/12). Denn der Aufwand für die Konkretisierung des Leistungsgegenstands in Rechnungen könnte bei Großeinkäufen verschiedener Waren und geringen Stückpreisen unverhältnismäßig erscheinen.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes können sich schließlich auch aus einem möglichen Verstoß des Steuergesetzes gegen eine unionsrechtliche Bestimmung ergeben (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12.12.2013, XI B 88/13; vom 30.11.2000, V B 187/00). Im Streitfall könnte sich ein Verstoß gegen das Unionsrecht daraus ergeben, dass das nationale Recht hinsichtlich der Art des Gegenstands dessen "handelsübliche Bezeichnung" erfordert, während das Unionsrecht sich mit der "Art der gelieferten Gegenstände" begnügt (Art. 226 Nr. 6 MwStSystRL). Es ist daher klärungsbedürftig, ob der nationale Gesetzgeber mit dem Klammerzusatz auf die handelsübliche Bezeichnung über die Vorgaben des Unionsrechts hinausgeht.
Linkhinweis:
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