Unternehmen stehen angesichts der enormen wirtschaftlichen Verwerfungen aufgrund der Corona-Krise vor großen Herausforderungen bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen (siehe bereits novus August/September 2020, S. 10). Die OECD hat dazu nun Leitlinien zum Umgang mit den außerordentlichen Umständen herausgegeben. Sie stellt zugleich klar, dass die OECD Transfer Pricing Guidelines auch trotz stark veränderter Rahmenbedingungen weiterhin für die Verrechnungspreisanalyse heranzuziehen sind und durch die neue Handreichung weder erweitert noch revidiert werden.
Vier Schwerpunktbereiche
Die OECD fokussiert sich vor allem auf vier Kernbereiche: Vergleichbarkeitsanalysen, Umgang mit Verlusten und durch Covid-19 verursachten Kosten, staatliche Hilfsprogramme und Vorabverständigungsverfahren (advance pricing agreements - sog. APAs). Die Themenauswahl basiert auf einer Umfrage unter den Mitgliedern des OECD Inclusive Frameworks und Unternehmen und spiegelt die Bereiche wider, in denen die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie als besonders schwerwiegend erachtet werden.
Bedeutung der Funktions- und Risikoanalyse
Zahlreiche Unternehmen sehen sich Absatzrisiken durch rückläufige Kundennachfrage, Risiken in der Wertschöpfungs- und Lieferkette sowie finanziellen Risiken, z. B. durch ein erhöhtes Forderungsausfallrisiko, ausgesetzt. Konzerne müssen deshalb genau analysieren, welche ökonomisch signifikanten Risiken in der Krise welchen an einer Transaktion beteiligten Verbundunternehmen zuzurechnen sind und wie die Unternehmensgruppe als Ganzes mit den Risiken umgeht.
Vergleichbarkeitsanalyse
Um den Fremdvergleichsgrundsatz bei der Verrechnungspreisbestimmung einzuhalten, sind Vergleichbarkeitsanalysen notwendig. Das stellt Unternehmen vor große Herausforderungen, denn die Corona-Pandemie hat in 2020 zu - im wahren Wortsinne - „unvergleichlichen“ Finanzdaten geführt. Eine Validierung von Verrechnungspreisen anhand von Vergangenheitswerten gelingt daher vielfach nicht. Auch wenn es ggf. bei langfristigen Preisvereinbarungen, die bereits vor dem Krisenjahr 2020 getroffen wurden und unverändert weiter gelten, möglicherweise keinen Anpassungsbedarf gibt, sind bei jährlich vereinbarten Verrechnungspreisen für das Jahr 2020 Vergleichbarkeitsanalysen zu erstellen. Dabei ist zu untersuchen, ob sich die Corona-Krise auf die jeweilige Transaktion auswirkt. Der Corona-Kriseneffekt kann laut OECD beispielsweise auf Basis des Rückgangs der Umsatzerlöse, des Erhalts staatlicher Hilfen oder der Abweichung zwischen Plan- und Ist-Zahlen ermittelt werden. Die OECD ruft die Steuerverwaltungen dazu auf, neben dem „price-setting“ auch den „outcome-testing“-Ansatz zu akzeptieren, der es ermöglicht, die Fremdüblichkeit der Transferpreisgestaltung in einer Rückschau auf das Ergebnis des abgelaufenen Geschäftsjahrs zu verifizieren.
Umgang mit Verlusten und Corona-induzierten Kosten
In künftigen Verrechnungspreisstreitigkeiten wird vielfach nicht mehr die Frage nach der Gewinnallokation, sondern vermehrt die nach der Verteilung von pandemiebedingten Verlusten im Mittelpunkt stehen. Die Verlustzuweisung innerhalb von Unternehmensgruppen folgt dabei - wie auch die Gewinnallokation - einer Funktions- und Risikoanalyse der beteiligten Verbundunternehmen. Außerordentliche, einmalige Kosten, die aufgrund der Corona-Krise angefallen sind, sollten so allokiert werden, wie das auch bei der Preisgestaltung zwischen unabhängigen Unternehmen der Fall wäre.
Staatliche Hilfsprogramme
Angesichts zahlreicher (monetärer und nicht-monetärer) staatlicher Unterstützungsprogramme, wie Zuschüssen, erleichterten Zugängen zu Krediten, Kurzarbeitergeld oder Steuererleichterung, sieht die OECD die Notwendigkeit zu überprüfen, inwieweit sich daraus Auswirkungen auf konzerninterne Transaktionen ergeben. Dabei sind die spezifischen Unterschiede zwischen den Hilfsprogrammen und der Zugang dazu in den einzelnen Ländern ebenso zu berücksichtigen wie die Frage, ob es nur temporäre oder langfristige staatliche Unterstützungsmaßnahmen sind, die sich möglicherweise auf die Verrechnungspreise auswirken.
Vorabverständigungsverfahren (APAs)
Bestanden zwischen Steuerpflichten und den Finanzverwaltungen schon vor Krisenbeginn APAs, die das Jahr 2020 betreffen, behalten diese grundsätzlich ihre Gültigkeit. Es ist aber zu prüfen, ob die veränderten Marktbedingungen zu einer Verletzung der im Einzelnen vereinbarten Konditionen führen können. Werden aktuell APAs ausgehandelt, sollte im Hinblick auf den Krisenzeitraum eine flexible Ausgestaltung angestrebt werden.