Herr Güntzler, wie zufrieden sind Sie mit der aktuellen Steuerpolitik? Hat die Ampelregierung bislang zu wenig, genug oder zu viel für die Unterstützung von Unternehmen und Verbrauchern in Deutschland getan?
Es ist zu wenig passiert. Die Regierung macht große Ankündigungen und Versprechungen, dabei haben wir in den letzten sechs Monaten im Finanzausschuss kein einziges Steuergesetz gesehen. Überall in unseren Nachbarländern sehen wir eine steuerliche Entlastung der Unternehmen. Die USA hat mit dem Inflation Reduction Act ein umfassendes Paket für Unternehmen geschnürt. Nur in Deutschland herrscht steuerpolitischer Stillstand.
Seit einigen Wochen dringen in den Medien immer wieder Informationen zu neuen Steuerplänen der CDU durch. Naturgemäß werden dabei griffige Botschaften, wie ein höherer Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer oder eine Flat Tax in der Erbschaftsteuer, besonders gerne in die Headline gestellt. Worum geht es der CDU aber wirklich? Eine große Unternehmenssteuerreform wie etwa in 2008 oder lediglich Reparaturen an den bestehenden Regelungen?
Uns geht es um eine faire und einfache Besteuerung. Jeder soll den Beitrag für unsere Gesellschaft leisten, den er aufgrund seiner Leistungsfähigkeit aufbringen kann. Dabei muss sich Leistung nach wie vor lohnen. Um dies zu erreichen, reicht es nicht aus, im steuerlichen Flickenteppich neue Flicken einzunähen. Wir brauchen tiefgreifendere Reformen. Den steuerpolitischen Tiefschlaf der Bundesregierung in den letzten Monaten können wir uns nicht mehr leisten.
Zweifelsohne bedarf es in Deutschland neuer bzw. weiterer Wachstums- und Investitionsimpulse. Wie kann Deutschland als Standort wieder attraktiv und international wettbewerbsfähig werden?
Zwei Punkte müssen wir verbessern: Einmal die Steuerlast senken. Und zum anderen bedarf es struktureller Änderungen. Denn wir haben ja nicht nur das Problem der hohen Steuerlast. Es kommen auch immer mehr Unternehmen auf mich zu, die sagen, sie wissen gar nicht, wie sie all ihren Compliance-Pflichten nachkommen sollen. Allein die Erfüllung der Deklarationspflichten ist für Unternehmen zu einem erheblichen Kosten- und Risikofaktor geworden. Auch die rechtlichen Unsicherheiten und bürokratischen Hürden hemmen Investitionen in Deutschland. Dahingehend müssen unsere Prozesse endlich schlanker, digitaler und pragmatischer werden. Die Unternehmen sollen sich wieder auf ihre Wertschöpfung konzentrieren können, anstatt zu einem großen Teil darauf, all die auferlegte Bürokratie zu bewältigen.
Wollen wir etwas ins Detail gehen. In Deutschland ansässige Kapitalgesellschaften unterliegen einer Ertragsteuerbelastung von ca. 30 % bei Gewinnthesaurierung. Damit nimmt Deutschland einen Spitzenplatz innerhalb der OECD ein und der internationale Steuerwettbewerb verschärft sich immer mehr. Das will die CDU ändern?
Richtig. Thesaurierte Gewinne sollen rechtsformneutral mit maximal 25 % besteuert werden. Damit bleibt den Unternehmen mehr Kapital für Neuinvestitionen, sie sind im internationalen Kontext wettbewerbsfähiger und der höhere Anteil an Eigenkapitalfinanzierung stärkt ihre Krisen-Resilienz. Zusätzlich sollen einige strukturelle Veränderungen für Erleichterung sorgen, so etwa die Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten und die Reduktion von Meldepflichten.
Sind die von der CDU vorgeschlagenen Maßnahmen angesichts der aktuellen fiskalischen Lage überhaupt finanzierbar?
Für Steuersenkungen gibt es aus Haushaltssicht nie den richtigen Zeitpunkt. Auch in den „fetten“ Jahren konnten wir uns dazu nicht durchringen. Aber gerade in Zeiten von Krisen und Rezession müssen wir Möglichkeiten dafür schaffen, dass Steuersenkungen finanzierbar sind. Die Staatsausgaben sind mit den stetig steigenden Steuereinnahmen stark angewachsen. Im Jahr 2022 haben Bund, Länder und Gemeinden knapp 900 Milliarden Euro Steuergelder eingenommen. Im Vergleich dazu waren es im Jahr 2012 noch 600 Milliarden. Es kann also nicht an den Einnahmen liegen. Wir müssen uns die Ausgaben dringend ansehen und eine neue Priorisierung vornehmen.
Mit dem Optionsmodell, das bislang eher ein Schattendasein führt, und der Thesaurierungsbegünstigung sollte die Steuerbelastung von Personengesellschaften an die der Kapitalgesellschaften angeglichen werden. Was schlagen Sie vor, um diese beiden Instrumente attraktiver zu machen und damit dem Ziel der Rechtsformneutralität doch noch ein Stück näherzukommen?
Das Optionsmodell und die Thesaurierungsbegünstigung müssen insgesamt praktikabler und anwendungsfreundlicher werden.
Daher möchten wir bei der Thesaurierungsbegünstigung ein Entnahmevolumen festlegen, bis zu dessen Höhe laufende Entnahmen aus Altrücklagen auch während der Anwendung der Thesaurierungsbegünstigung möglich sind. Außerdem soll eine Tarifabsenkung des Thesaurierungssatzes auf 10 % erfolgen. Die auf den Begünstigungsbetrag entfallenden Steuern sollen zukünftig mit in den Begünstigungsbetrag einbezogen werden. Die Nachbelastung soll an den individuellen Steuersatz angepasst werden. Für die Problematik der Altrücklagen müssen wir außerdem eine Lösung finden.
Das Optionsmodell möchten wir auch auf Einzelunternehmen und GbRs, sowie Sonderbetriebsvermögen ausweiten. Des Weiteren muss der Wechsel zwischen dem Modell der Thesaurierungsbegünstigung und der Ausübung der Optionsmodells hinsichtlich der thesaurierten Gewinne nachversteuerungsfrei möglich sein.
Transformation ist derzeit das beherrschende Thema in den Unternehmen: Dekarbonisierung, klimaneutrale Produktionsprozesse, Digitalisierung, Anpassung der Produktpalette, effizienter Einsatz von Mitarbeitern angesichts des Fachkräftemangels, um nur einige Stichworte zu nennen. Unterstützt das Steuerrecht die Unternehmen in ausreichendem Maße, um diese Aufgaben zu meistern?
Ich glaube mit der steuerlichen Forschungsförderung, der verbesserten Abschreibung digitaler Wirtschaftsgüter und der degressiven Abschreibung konnten wir in der Vergangenheit bereits einen Beitrag dazu leisten, dass die Transformation für Unternehmen gelingt. Dies reicht aber bei Weitem noch nicht aus. Leider sehen wir bei der aktuellen Regierung derzeit kaum Ambitionen, ins Handeln zu kommen. Im letzten halben Jahr war steuerpolitischer Stillstand angesagt. Wir haben große Erwartungen an den Herbst.
Zusätzlich zu den enormen wirtschaftlichen Herausforderungen, müssen sich die Unternehmen mit immer mehr bürokratischen Anforderungen und Deklarationspflichten - und zwar nicht nur im Steuerrecht - herumschlagen. Das betrifft mittelständische Unternehmen mit angespannter Personaldecke in besonderem Maße. Gibt es Überlegungen, wie diese Bürde reduziert werden kann?
Derzeit haben wir Überlegungen dazu angestellt, wie groß der Mehrwert der Meldepflicht für internationale Steuergestaltungen im Kosten-Nutzen-Verhältnis ist. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass der enorme bürokratische Aufwand für die Unternehmen durch das spärliche Resultat nicht gerechtfertigt werden kann. Unsere erste Forderung ist daher, die von der Regierung geplanten kommenden Meldepflichten auf nationaler Ebene zu stoppen.
Des Weiteren wird die Mindestbesteuerung dazu führen, dass einige der steuerlichen Vorschriften zum Teil hinfällig werden. Wozu brauchen wir noch eine Lizenzschranke oder eine Zinsschranke, wenn die Gewinnverschiebung ohnehin eingedämmt ist? Zumindest für Unternehmen, die von der Mindestbesteuerung betroffen sind, sollten wir solche Vorschriften abschaffen, um die Deklarations- und Compliance-Pflichten insgesamt zu verringern.
Kommen wir aber doch noch auf den Einkommensteuertarif zu sprechen. An welchen Stellschrauben wollen Sie hier drehen? Will die CDU tatsächlich mit ihrem Credo, Steuererhöhungen zu vermeiden, brechen?
Wir müssen die arbeitende Mitte dringend entlasten. Der sogenannte „Mittelstandsbauch“ im Einkommensteuertarif führt mittlerweile dazu, dass man mit dem 1,5-fachen des Durchschnittseinkommens bereits mit dem Spitzensteuersatz besteuert wird. Dies war im Jahr 1975 erst ab dem 6-fachen des Durchschnittseinkommens der Fall. Daher müssen wir den Einkommensteuertarif spürbar abflachen. Die Grenze, ab der der Spitzensteuersatz greift, muss deutlich verschoben werden. Auch wenn das bedeutet, dass wir den Spitzensteuersatz im Zuge der Abschaffung des Solidaritätszuschlags moderat anheben. Das kann man als Steuererhöhung interpretieren, wir sehen es als Kompromiss. Anders wäre eine Abflachung des Tarifs schon aufgrund der haushalterischen Situation undenkbar. Gerechter Maßstab ist und bleibt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.
Und zu guter Letzt die schon eingangs erwähnte Flat Tax bei der Erbschaftsteuer, die u. a. vom Verband der Familienunternehmen mit deutlichen Worten kritisiert wurde. Ist hier tatsächlich beabsichtigt, dass ganz einfach 10 % der Erbschaft als Steuer abzuführen sind, egal ob ein Unternehmen oder ein Barvermögen übergeht?
Aktuell ist ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig, das die Erbschaftsteuer erneut als verfassungswidrig einstufen könnte. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2014 bestätigt, dass die Begünstigung von Betriebsvermögen grundsätzlich verfassungskonform ist. Auf dieser Basis hatten wir die Erbschaftsteuerreform im Jahr 2016 auf den Weg gebracht.
Vor dem Hintergrund der erneuten möglichen Verfassungswidrigkeit, dem enormen bürokratischen Aufwand und dem Wunsch nach einem fairen System sehe ich also zwei Möglichkeiten: Die Erbschaftsteuer abschaffen oder eine einheitliche „Flat tax“ einführen. Für die Abschaffung der Erbschaftsteuer sehe ich aktuell keine Mehrheit. Zusätzlich bestünde die Gefahr, dass nach einer Abschaffung der Erbschaftsteuer das Verlangen nach einer Vermögenssteuer größer wird. Die Einführung einer solchen Steuer lehnen wir ab. Eine einheitliche niedrige „Flat tax“ für alle Vermögensarten mit zins- und bedingungslosen Stundungsmöglichkeiten wäre daher eine faire und einfache Alternative.
Herr Güntzler, herzlichen Dank für das Gespräch und Ihre Erläuterungen, was aus Sicht der CDU steuerpolitisch angegangen werden sollte, um aus den Krisenmodus wieder in eine prosperierende Wirtschaftsentwicklung zu gelangen.