Dies ergab unsere gemeinsam mit dem F.A.Z.-Institut im Oktober 2019 veröffentlichte Studie „Unternehmenskäufe: Motivation, Herausforderungen und Erfolgsfaktoren“. In 71 % der befragten Unternehmen besteht die grundsätzliche Bereitschaft, in Start-ups zu investieren. 78 % hiervon sehen darin einen Innovationstreiber für das eigene Unternehmen und erhoffen sich hierdurch einen Zugang zu neuen Technologien. Florian Riedl, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Partner von Ebner Stolz in Hamburg, spricht mit Vanessa Schmidt, Head of Corporate Innovation Management bei der edding AG, über die Frage, wann sich ein mittelständisches Unternehmen mit Start-ups beschäftigen muss und wann nicht.
Frau Schmidt, unsere Befragungen haben gezeigt, dass klassische Unternehmen offen für den Zukauf von Start-ups sind. Was sind aus Ihrer Erfahrung die Gründe dafür, dass diese Bereitschaft in derart hohem Umfang besteht?
Das Thema Start-ups ist seit einigen Jahren ein höchst präsentes. Dies reicht von der medial stark begleiteten Gründung zahlreicher Inkubatoren oder Acceleratoren, bis zu entsprechenden TV-Formaten, in denen Investoren um die Beteiligung an Start-ups werben. Dies ist aber lediglich eine logische Konsequenz aus der durchaus berechtigten Furcht tradierter Unternehmen, beim Bedrohungsszenario Disruption des eigenen Geschäftsmodells tatenlos an der Seitenlinie zu stehen. Kaum jemand wird verneinen, dass traditionelle Geschäftsmodelle mehr denn je extremer Veränderung unterworfen sind. In der Handelslandschaft ist heute wenig so, wie es einmal war. Technologische Grenzen verschieben sich, in der Konsequenz verändert sich Konsumentenverhalten rapide. Insbesondere digitale Geschäftsmodelle erfordern völlig andersartige Kompetenzen und Strukturen. Mit diesen Umbrüchen geht der Bedarf der organisatorischen und vor allem kulturellen Anpassung einher. Das passt nicht immer gut zusammen mit lang gewachsenen Strukturen und best practice in Prozessen. Ein gut eingespieltes Orchester ist eben keine Rock Band, die das Improvisieren liebt. Umgelegt auf Organisationen bedeutet das auch: für Start-ups gilt es, kein tradiertes Kerngeschäft zu beschützen. Mit ihrem kompromisslosen Streben nach der Disruption eröffnen sie den Weg für völlig neue Ideen und massive Technologiesprünge. Da ist es nachvollziehbar und richtig, dass Traditionsunternehmen mit Start-ups den Schulterschluss suchen, um das Beste aus beiden Welten zu vereinen.
Steckt hinter diesen Zukäufen eine konkrete Unternehmensstrategie oder sind diese eher opportunistisch ausgestaltet. Erfolgen Käufe als Reaktion auf drohende zu verpassende Trends?
Unsere Innovationsprojekte folgen einer klaren Strategie – nicht zuletzt, da wir als börsennotiertes Unternehmen weniger eine generelle Diversifizierungsstrategie verfolgen, sondern vielmehr einen sehr fokussierten strategischen Pfad. So sind wir uns nicht nur unserer Herkunft und unserer Kernkompetenzen sehr bewusst, sondern eben auch der Pfeiler, die unsere Zukunft tragen sollen. Zu deren Identifikation arbeiten wir mit Methoden aus dem Bereich Trend & Technology Foresight, aktuell insbesondere mit einem Opportunity Radar, welcher als Kompass für unsere Zielthemen dient. In der operativen Arbeit des Corporate Innovation Management heißt das: maximale Freiheit innerhalb eines klar abgesteckten Rahmens, um für edding neue Geschäftsfelder erschließen zu können. Dabei geht es uns immer primär um die Verfolgung eines strategisch wichtigen Zukunftsthemas als solches, nie um die spezifische Ausprägungsform, z. B. als Start-up Investment. Gerade in sehr dynamischen Bereichen bzw. in Bezug auf neuartige Technologien kann der Schulterschluss mit einem Start-up Unternehmen aber eine sehr gute Möglichkeit sein.
Wie erläutert, folgen wir in unseren Innovationsbestrebungen einer klaren Linie. Das ist auch notwendig, um die bestehenden Ressourcen bestmöglich auf die Generierung von Ergebnissen auszurichten. Dennoch heißt das explizit nicht, dass wir Möglichkeiten außerhalb unseres Planungskorridors ausschließen. Opportunitäten stehen wir immer offen gegenüber. Wendet sich jemand mit einer Idee oder einer Kooperationsanfrage an uns, stehen unsere Türen immer offen. Trotz aller Theorie, aller Analytik: die Zukunft ist eben nur bedingt planbar und glückliche Zufälle für erfolgreiche Innovation unersetzbar.
Im Klartext: wann bleibt einem Unternehmen nichts anderes übrig, als in ein Start-up zu investieren?
Die Partnerschaft mit einem Start-up sollte unserem Begreifen nach immer eine bewusste Wahl, nicht die letzte Alternative sein. Es kann sehr gute Gründe geben, sich für die Zusammenarbeit mit einem Start-up zu entscheiden. Hier sehen wir vor allem das Vorhandensein strategisch wichtiger, komplementärer Kernkompetenzen zum Mittelständler. Nicht zu unterschätzen bleibt aber der kulturelle Fit zwischen beiden Einheiten. Dieser ist für unsere Kooperationsentscheidungen die unabdingbare Basis zum Aufbau nachhaltiger Partnerschaften. Dies ist ein ganz entscheidender Punkt, bedingt durch unsere Motivation hinter einem Engagement. Diese ist immer darauf ausgerichtet, unsere Marke zu stärken und durch Diversifikation den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens zu erhalten. Wir sehen uns explizit nicht als Venture Capital-Geber. Damit steht hinter jeder finanziellen Unterstützung auch der Plan zu einer langfristigen Partnerschaft, kein Exit-Szenario. Aus diesem Grund ist der genannte kulturelle Fit für uns von überproportionaler Bedeutung, gerade in der Anbahnungsphase einer neuen Kooperation. Nicht umsonst prägte Peter Drucker einst den Spruch „Culture eats strategy for breakfast“. Das sehen wir ganz genauso. Haben wir bezüglich der gemeinsamen kulturellen Linie Zweifel, entscheiden wir uns daher auch trotz inhaltlicher Synergien gegen eine Kooperation. Meist merken wir das schon, wenn es um Bewertung oder Beteiligungsquoten geht. Wenn es einen starken Drang nach der „golden share“ gibt, lassen wir es lieber gleich bleiben. Strategische Richtungsentscheidungen sollen auf gemeinsamer Überzeugung fußen und nicht per Mehrheitsvotum in der Gesellschafterversammlung „durchgedrückt“ werden. Das unterscheidet unsere Vorstellung von Kooperation sicher von vielen klassischen Finanzinvestoren.
Sie sind Head of Corporate Innovation Management bei edding und befassen sich vorrangig mit dem analytischen und operativen Handling von Innovation, der Einschätzung disruptiver Marktveränderungen sowie klassische Strategieentwicklung. Wie schätzen Sie die Lage des klassischen Mittelstandes ein? Kann er noch agieren wie vor fünf bis zehn Jahren oder muss er sich laufend neu erfinden, weil dies sonst andere innovative Unternehmen für ihn tun?
Der klassische Mittelstand ist nach wie vor das Rückgrat der Wirtschaft. Ja, natürlich muss er sich verändern, weil es die Welt eben tut. Ich persönlich bin allerdings der festen Überzeugung, dass der Mittelstand die besten Voraussetzungen dafür mitbringt, diesen Wandel auch erfolgreich zu schaffen. Marke, Infrastruktur, Marktzugang, gut laufende Prozesse, Erfahrung, Verantwortungsgefühl für die nächste Generation – das sind maßgebliche Erfolgsfaktoren eines gut eingespielten Orchesters, die auch für die Zukunft gelten. Unter zwei Voraussetzungen: sofern die ehrliche Bereitschaft zur Veränderung wirklich gegeben ist, sowie die Einsicht, dass das ein mitunter schmerzhafter, aber alternativloser Weg ist, der aktiv gesteuert werden muss.
Abgesehen von der Disruption: In welchen Bereichen lohnt es sich aus Ihrer Sicht, Innovation aus eigener Kraft voranzutreiben und wann sollte in Start-ups investiert werden?
Die Basis für Innovation sehen wir maßgeblich im Bewusstsein der eigenen Kernkompetenzen. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich situativ entscheiden, ob Innovation aus eigener Kraft vorangetrieben werden kann und sollte. Fehlen erfolgskritische, komplementäre Faktoren für die Umsetzung eines Innovationsprojektes, machen wir uns gezielt auf die Suche nach passenden Partnern, die unsere Kernkompetenzen komplettieren. Für uns konkret bedeutet das z. B.: strategische Markenbildung und -dehnung, das können wir gut, da trauen wir uns eine Menge zu. Für sehr spezifische Entwicklungs- und Technologiethemen scouten wir nach den richtigen Partnern. Beides zusammen – mit dem notwendigen kulturellen Fit – hat hohe Chancen auf Innovationserfolg. Das müssen aber nicht unbedingt Partnerschaften mit Start-ups sein – so haben wir eine Historie sehr fruchtbarer Kooperationen mit Unternehmen unterschiedlichster Größe. So sind wir gerade sehr erfolgreich mit unserer jüngsten Geschäftseinheit edding Tech Solutions in den Markt für Compact Printer im Industrie 4.0 -Umfeld eingestiegen – in Partnerschaft mit einem bayerischen Mittelständler.
Im Januar 2018 hat edding seine Kooperation mit Prismade Labs GmbH vertieft. Was waren die konkreten Gründe für den Ausbau - bzw. überhaupt den Beginn dieser Kooperation? Wie kam es konkret zu der Kooperation und wie wird diese gelebt?
Eines unserer strategischen Suchfelder beschäftigt sich mit funktionaler Tinte. Der Ursprung der Kooperation liegt also in ganz klassischer Analystentätigkeit, einer intensiven Recherche. Während dieser Recherche gewann das Thema der leitfähigen Tinten und ihrer technologischen Möglichkeiten immer mehr Präsenz, nicht zuletzt durch die Fähigkeit der Verbindung von analogen und digitalen Welten. Über die Recherche der Arten leitfähiger Tinten, ihrer Anwendungsmöglichkeiten und der führenden Player innerhalb dieses Ökosystems stießen wir auf die beiden Gründer von Prismade Labs GmbH und ihre hochinnovativen Plattformtechnologie, die heute den Namen edding code trägt. Beim ersten persönlichen Treffen mit den Gründern und dem Einblick in die Technologie war uns schnell klar: das ist von hoher strategischer Relevanz für uns, da müssen wir dranbleiben. Der Beteiligung gingen schließlich fast zwei Jahre Beziehungsbildung voraus, um eine tragfähige Basis für eine langfristige Partnerschaft zu schaffen. Heute ist das Team von Prismade Labs ein fester Teil der edding Familie.
Welche Herausforderungen bestehen bei einem Schulterschluss mit Start-ups?
Trotz der allerbesten Vorbereitung und Absichten: den Schulterschluss mit einem anderen Unternehmen gilt es nie zu unterschätzen. Egal wie gut man der Theorie nach oder im Strategiepapier zusammenpasst; letztendlich entscheidet das Zwischenmenschliche über Erfolg oder Misserfolg. Je tragfähiger die Beziehung schon vor der Beteiligung ist, desto höher die Chance, ohne allzu große Reibungsverluste das Beste aus der Kooperation zu holen. Fehler wird man dennoch machen, abweichende Standpunkte wird es dennoch geben. Tragfähigkeit der Beziehung bedeutet daher vor allem Vertrauen und Empathie. Vertrauen in den Partner, dass dieser die besten Absichten für das gemeinsame Vorankommen hat, und Empathie, um sich in die Lage des jeweils anderen versetzen zu können. Im konkreten Fall des Schulterschlusses eines Traditionsunternehmens mit einem Start-up bedeutet das zum Beispiel das Verständnis dafür, dass es einem höchst agilen und kreativen Start-up naturgemäß immer zu langsam geht, und dass ein Traditionsunternehmen – insbesondere bei einer Börsennotierung – um gewisse Reportingpflichten nicht herumkommt und dies damit eben auch dessen Partner betrifft.
Hinweis
Die Studie „Unternehmenskäufe: Motivation, Erfolgsfaktoren und Herausforderungen“ können Sie gerne als PDF mit einer kurzen E-Mail an novus@ebnerstolz.de anfordern.