Wir sprechen mit Eileen Wu und Dr. Gerald Neumann von Ebner Stolz Neumann Wu in Shanghai und Peking, wie das Wirtschaftsleben derzeit in China aussieht und wie sich die Arbeitswelt dort vor Ort für deutsche Unternehmen verändert hat.
Für viele Betriebe in China scheint das Schlimmste überstanden zu sein. In zahlreichen Branchen wird wieder gearbeitet. Welche Arbeitsschutzmaßnahmen mussten chinesische Unternehmen treffen, um wieder zu einer Art von Normalität zurückzukehren? Oder gibt es eine solche neue Normalität in China eventuell gar nicht, weil der asiatische Raum erfahrener im Umgang mit Epidemien ist?
Wu: Wir können heute festhalten, dass China im ersten Quartal fast einen vollständigen epidemischen Entwicklungszyklus durchlaufen hatte. Es ist richtig, asiatische Länder sind im Allgemeinen im Umgang mit Epidemien wohl geschulter, dennoch - oder gerade deshalb - wurden viele Maßnahmen ergriffen, um den Arbeitsalltag sicher zu gestalten:
- Alle Unternehmen müssen über umfassende Präventionsmaterialien wie Masken, Desinfektionsmittel und Präventionspläne verfügen. Jedes Unternehmen muss ein Epidemiepräventionsteam einrichten, das für die Umsetzung aller Präventionsmaßnahmen verantwortlich ist. Insb. müssen die Unternehmen sicherstellen, dass genügend Masken vorhanden sind, welche an ihre Mitarbeiter verteilt werden können. In den Büros müssen alle Kollegen die Masken ständig tragen.
- Täglich wird eine Desinfektion durchgeführt.
- Gleichzeitig mussten betriebsinterne Berichte erstellt werden. Symptome wie Fieber, Husten, Gliederschmerzen und unternommene Reisen müssen im Unternehmen zur weiteren Vorbeugung gemeldet werden.
- Bürogebäude, Produktionsbereiche und Einkaufszentren sind mit intelligenten Instrumenten zur Überwachung der Temperatur der Arbeitnehmer und Besucher ausgestattet.
- Alle Personen müssen eine App herunterladen, die die Farbe ihrer persönlichen Gesundheitssituation anzeigt. Nur Mitarbeiter/Besucher mit persönlichem Gesundheitscode dürfen ein Bürogebäude betreten.
Läuft die chinesische Wirtschaft jetzt schon wieder reibungslos oder gibt es noch Produktionsstillstände etwa wegen Lieferschwierigkeiten?
Wu: Die chinesische Wirtschaft erholt sich langsam wieder. Die Arbeitnehmer durften in die Produktion zurückkehren und Unternehmen konnten eine Unterstützungspolitik der Regierung in Anspruch nehmen, wie z. B. die Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge und subventionierte Finanzierungskosten. Wir sehen heute, dass das Vertrauen der Unternehmen wieder zunimmt, dennoch gibt es immer noch viele Herausforderungen:
- Rohstoffe und vorgelagerte, zur Produktion notwendige Teile können nicht ordnungsgemäß geliefert werden. Die Lieferverzögerungen führen zu einem höheren Cash-Flow-Bedarf.
- Erhöhter Kostendruck, insb. in Exportunternehmen. Die derzeitige Entwicklung der globalen Epidemie führt zur Unsicherheit, wie sich die Auftragslage internationaler Kunden entwickelt. Unternehmen benötigen häufig finanzielle Unterstützung, um Betriebskosten, Rohstoffbeschaffung und die Lagerbestände aufrechtzuerhalten.
- Die Reduzierung internationaler Geschäftsreisen hat negativen Einfluss auf Geschäftsmöglichkeiten im Ausland.
Wie ist die Situation für ausländische Unternehmen? Konnten sie die Produktion auch wieder anlaufen lassen - oder fehlt hier ggf. das Personal, das Mitte März wegen der Pandemie in die jeweiligen Heimatländer zurückgekehrt ist?
Neumann: Die Tendenz ging in den letzten Jahren ohnehin in die Richtung, dass weniger ausländisches Personal in China arbeitet. Viele Positionen werden mittlerweile von Chinesen übernommen, ausgenommen so genannte Key Positions wie Geschäftsführung oder besonderes technisches Personal. Zudem sind viele Ausländer während der Corona-Krise in China geblieben. Daher halte ich diesen Gesichtspunkt für nicht so relevant.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Unternehmen in China strikt an die sehr strengen Auflagen während der Corona-Krise halten; auch mit Blick auf das neu eingeführte Corporate Social Credit System, um hier keine Nachteile zu erleiden.
Wu: In China sind ausländische Unternehmen in der Regel mit der gleichen Situation konfrontiert wie andere lokale Unternehmen auch. Da die Geschäftsketten ausländischer Unternehmen jedoch aus globaler Sicht enger miteinander verbunden sind, sind sie häufig stärker von der Entwicklung der globalen Epidemie betroffen. Wir sehen aber auch, dass einige ausländische Unternehmen, die den chinesischen Markt vollständig für sich entwickelt haben, über eine stärkeres internes Risk Management System verfügen und besser auf die Krise reagieren.
Konkret zu Tochtergesellschaften oder Niederlassungen deutscher Konzerne: Ist bereits absehbar, wann deutsche Expats wieder nach China reisen können?
Neumann: Nein, ein konkreter Termin ist nicht genannt, ich persönlich rechne mit Anfang August. Es gibt nun bereits Sonderflüge nach China, durch die deutsches Führungspersonal wieder einreisen kann. Von daher gehe ich davon aus, dass die Grenzen mittelfristig wieder geöffnet werden. Eine andere Frage ist dann, ob für einreisende Ausländer die 14-Tage-Quarantäne gilt oder ob man sich mit entsprechenden Arztbescheinigungen relativ frei bewegen kann, letzteres wäre natürlich zu begrüßen.
In der Krise kamen u. a. auch in Deutschland Überlegungen auf, ob es nicht doch sinnvoller ist, national statt etwa in China zu produzieren. Ist hiervon in China schon etwas zu spüren? Überlegen deutsche Unternehmen, sich vom chinesischen Markt zurückzuziehen?
Neumann: Es gibt bereits seit vielen Jahren die Tendenz, dass deutsche Unternehmen in China nicht mehr für den internationalen Markt produzieren, sondern lediglich für den chinesischen oder auch asiatischen Markt. Dies hängt mit den steigenden Produktionskosten zusammen, aber auch mit der immer noch nicht befriedigenden Rechtssicherheit in China. Diese Tendenz wird sich sicher fortsetzen. Aufgrund der Bedeutung des chinesischen Marktes wird es aber keine generelle Trendwende außer in Tendenzindustrien geben (wie z. B. Medizinausrüstung).
Wu: Wir haben auch viel positives Feedback von unseren Mandanten erhalten. Die Corona-Epidemie wurde in einem vergleichsweise hoch besiedelten Land wie China schnell und umfassend unter Kontrolle gebracht. Viele Mandanten investieren ja nicht nur in China, sondern international und betrachten die Entwicklung in China als bedeutend besser als in den meisten westlichen Ländern.
Wie wird sich aus Ihrer Sicht der gegenwärtige Konflikt zwischen den USA und China wirtschaftlich auswirken?
Neumann: Der Konflikt ist eine enorme Belastung für beide Länder. Wir spüren in China eine große Unsicherheit durch den Handelsstreit mit den USA. Konkrete Zahlen kennen wir nicht, aber ich vermute, dass der wirtschaftliche Schaden in China groß ist. Das gilt sicherlich auch für die amerikanischen Bürger, verstärkt jetzt noch durch Corona. Zwei Gesichtspunkte werden übersehen: China hat neben Nordamerika und den führenden Ländern in Europa (Deutschland, Frankreich, UK) viele andere Absatzmärkte, wie Afrika, Südamerika, Osteuropa, wo preiswerte, aber qualitativ gute Güter verkauft werden. Das sind zwar zumeist kleinere Märkte, aber vielerorts Emerging Markets, in denen chinesische Hersteller sehr hohe Marktanteile haben. Die langfristige Abhängigkeit von den USA ist meines Erachtens nicht so stark wie häufig in den Medien dargestellt. Zum anderen hat sich China sehr schnell von der Corona-Krise befreit, die Auswirkungen halte ich für geringer als in den USA.
Bislang hat die Corona-Pandemie in vielen Staaten eine Stärkung des Zusammenhalts bewirkt. Leider rücken aber auch nationale Interessen in den Vordergrund und schüren Ressentiments gegenüber Ausländern. Sie kennen sowohl den chinesischen als auch den deutschen Alltag. Stellen Sie hier Veränderungen im Miteinander fest?
Neumann: Ja, leider stellen wir sowohl in China als auch in Deutschland Veränderungen im Verhalten gegenüber Ausländern fest. Zumeist sind die Menschen nach meinem Eindruck aber nur vorsichtiger und zurückhaltender. China selbst war nie ein echtes Einwanderungsland, ganz im Gegensatz z. B. zu den USA. Da sich China ja als Reich der Mitte bezeichnet, hielt man eine Öffnung gegenüber ausländischen Kulturelementen für nicht notwendig. Hieraus resultiert, dass die Menschen noch häufig vorsichtig gegenüber Ausländern sind. Das ist aber in den allermeisten Fällen eher mit einem Unbehagen zu vergleichen, ein chauvinistisches Verhalten habe ich persönlich noch nicht erlebt. Solches Unbehagen verstärkt sich in Krisenzeiten.