Als physische Risiken, die direkt auf die Substanz eines Vermögenswertes wirken, gelten sowohl Extremwettereignisse und deren Folgen (z. B. Trockenperioden, Überflutungen, Stürme, Waldbrände, Lawinen) als auch langfristige Veränderungen klimatischer und ökologischer Bedingungen (z. B. Niederschlagshäufigkeit/-menge, Wetterunbeständigkeit, Anstieg des Meeresspiegels, Veränderungen von Meeres-/Luftströmungen, Anstieg der Durchschnittstemperaturen). Physische Risiken können zudem indirekte Folgen haben, bspw. den Zusammenbruch von Lieferketten, die Aufgabe wasserintensiver Geschäftstätigkeiten oder gesellschaftliche Konflikte.
Wertbeeinflussende Transitionsrisiken gehen mit der Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft einher. Politische Maßnahmen können zu einer Verteuerung bzw. Verknappung fossiler Energieträger führen. Für Träger und Investoren in etablierte Technologien besteht zudem das Risiko, dass neue, weniger umweltschädigende Technologien gefördert bzw. vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Konsenses nachgefragt werden. Demgegenüber laufen nicht angepasste Unternehmen Gefahr, bspw. zu Schadensersatzleistungen verurteilt oder von Behörden gezwungen zu werden, für (potentielle) Umweltschädigungen in verstärktem Maße aufzukommen (z. B. Rücknahme Elektrogeräte).
Vor dem Hintergrund eines politischen und gesellschaftlichen Prozesses zu einem „grüneren Finanzsystem“ müssen sich Geschäftsleitungen von Instituten zwangsläufig mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen.
Im Folgenden geben wir einen Überblick über die für Institute relevanten Initiativen der verschiedenen Stakeholder (Politik, Aufsicht, Branche) und skizzieren die mit dem Thema Nachhaltigkeit zusammenhängenden Herausforderungen für Institute, um abschließend mögliche Lösungsansätze für die institutsindividuelle „Transformation“ bzw. Compliance aufzuzeigen.
Relevante Initiativen
Wesentliche Initiativen von Politik, Aufsichtsbehörden und Marktteilnehmern im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind insbesondere die folgenden:
- Vereinte Nationen (UN): Auf der Pariser Klimaschutzkonferenz vom 12.12.2015 einigten sich 195 Länder erstmals auf ein rechtsverbindliches, weltweites Klima-schutzübereinkommen. Dieses umfasst einen globalen Aktionsplan, der die Erderwärmung auf unter 2° Celsius der vorindustriellen Werte begrenzen soll. Zwecks Verbesserung der Umsetzung wird gleichzeitig die Vereinbarkeit der Finanzströme mit einem Weg hin zu niedrigeren CO2-Emissionen und klimaresistenter Entwicklung angestrebt.
- Europäische Union (EU):
- Der Final report der EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance (HLEG; Januar 2018) enthält Definitionen zur Nachhaltigkeit, Empfehlungen für eine binäre Taxonomie („grün“ oder „nicht grün“) bzw. zur Klassifizierung von nachhaltigen Aktivitäten und Investitionen für zahlreiche Wirtschaftssektoren (anhand technischer Evaluationskriterien erfolgt eine Beurteilung bzgl. des Beitrags zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel). Im Tenor wird die Notwendigkeit verstärkter regulatorischer Maßnahmen zur Erreichung der gesetzten Klimaschutzziele bis 2030 festgestellt.
- Im Aktionsplan der EU-Kommission („Financing Sustainable Growth“, März 2018) erfolgte die Veröffentlichung einer Strategie zur Reformierung des EU-Finanzsystems und Unterstützung der Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsagenda, die 10 Maßnahmen enthält. Dazu gehören u. a.:
- Entwicklung einer allgemein gültigen Taxonomie zur Umlenkung von Kapitalströmen in nachhaltige Investments,
- Verankerung von Nachhaltigkeit im Risikomanagement durch Betonung von Investorenpflichten in Bezug auf ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance; Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) sowie Kapitalanforderungen für Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitsrisiken,
- Forcierung nachhaltiger Unternehmensführung und Offenlegung entsprechender nicht-finanzieller Informationen.
- Finanzbranche: Vor diesem Hintergrund entwickelte die Finanzbranche eigene Standards für nachhaltiges Investieren sowie eine Berichterstattung im Rahmen der nicht-finanziellen Informationen (Auswahl):
- ICMA Sustainability bzw. Green/Social Bond Principles (freiwillige Standards für den Emissionsprozess zwecks Förderung der Standardisierung, Integrität und Transparenz im Bond Markt für nachhaltige Investitionen),
- Climate Bonds Initiative/Standard (Grundlage der Climate Bonds Zertifizierung, die an Kapitalanleger gerichtet ist und Investitionen in eine kohlenstoffarme Wirtschaft fördert; ausgerichtet an den Zielen des Pariser Klimaabkommens),
- Principles for Responsible Banking (Rahmenwerk für Kreditinstitute, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen),
- Deutscher Nachhaltigkeitskodex (freiwilliger Standard zur Berichterstattung, der Mindestanforderungen für das Reporting nichtfinanzieller Leistungen beschreibt).
Herausforderungen für Institute
Seit Veröffentlichung ihres Aktionsplans für nachhaltige Finanzierungen hat die EU-Kommission mehrere Rechtsvorschläge zur Klassifizierung bzw. Quantifizierung („EU-Taxonomie“), zur Offenlegung von Informationen über nachhaltige Investitionen und Nachhaltigkeitsrisiken sowie zu Referenzwerten für CO2-arme Investitionen vorgelegt.
Hinweis
Die HLEG veröffentlichte im Juni 2019 den Abschlussbericht zum freiwilligen „EU Green Bond Standard“, der im Sinne eines Best Practice bestehende Branchenstandards berücksichtigt. Im gleichzeitig veröffentlichten „Taxonomy Technical Report“ wird ein Rahmenwerk zur Klassifikation der Klimafreundlichkeit eingeführt. Die EU-Taxonomie kann als beispielhafte Auflistung von Geschäftsaktivitäten und Investitionen interpretiert werden, die zum Klimaschutz beitragen. Zur Sicherstellung der Glaubwürdigkeit von „EU Green Bonds“ wird zudem eine verpflichtende externe Prüfung bzw. Zertifizierung empfohlen. Da die EU-Taxonomie grundsätzlich auf bestehenden Markt-Standards aufbaut (siehe oben), sollten entsprechend zertifizierte Bonds von der EU anerkannt werden. Es ist zu erwarten, dass auf Basis der HLEG-Empfehlungen kurzfristig eine „EU-Taxonomie“ und ein „EU Green Bond Standard“ eingeführt werden.
Bereits in im März 2019 einigten sich das EU-Parlament und die EU-Mitgliedsstaaten auf neue Anforderungen zur Offenlegung von Angaben zu nachhaltigen Investments und Nachhaltigkeitsrisiken (“Disclosure Regulation”). Die Leitlinien der EU-Kommission zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/2341 erläutern, wie Kapitalmarktteilnehmer und Finanzintermediäre („financial advisors“) ESG-Chancen und Risiken in ihre Geschäfts-/Risikoprozesse bzw. Investmentpolitik übernehmen können. Eine Harmonisierung soll durch die Vorgabe eines allgemein anerkannten Regelwerks hinsichtlich werthaltiger Information von Investoren über die Integration von ESG-Kriterien forciert werden (z. B. Informationen über potentielle Risiken und finanzielle Auswirkungen von ESG-Sachverhalten auf den Wert einer Investition). Die Leitlinien (Mitteilung 2019/C 209/01) sind im Wesentlichen durch drei Eckpunkte gekennzeichnet:
- Verhinderung von “Greenwashing“ - Vermeidung möglicher Vertrauensverluste als Folge von unzutreffenden oder missverständlichen Angaben hinsichtlich der Nachhaltigkeitskriterien eines Finanzproduktes,
- Regulatorische Neutralität - zur Verfügung gestellt werden beispielhafte Offenlegungselemente, die durch die verschiedenen Marktteilnehmer in einheitlicher Weise anzuwenden sind; die Überwachung der Harmonisierung soll durch die ESA in den jeweiligen Sektoren erfolgen,
- Level playing field - die Anforderungen werden sowohl Investment Fonds, versicherungsgebundene Investmentprodukte, individuelles Portfoliomanagement als auch Versicherungs - und Investmentintermediäre betreffen.
Die “Disclosure Regulation” ist noch durch das EU-Parlament und den Rat zu verabschieden. Eine Umsetzung ist ab Anfang 2021 zu erwarten.
Vor dem Hintergrund der geschilderten Maßnahmen ist eine Änderung zahlreicher EU-Richtlinien absehbar (z. B. MiFID II, AIFMD, UCITS, Solvency II). Davon werden alle Finanzmarktteilnehmer direkt betroffen sein (z. B. Kreditinstitute/Investmentfirmen, die Portfoliomanagement anbieten, Versicherungsunternehmen, die entsprechende Investmentprodukte anbieten) sowie indirekt auch die Finanzmarktintermediäre (z. B. Kreditinstitute, Investmentfirmen, Kapitalverwaltungsgesellschaften).
Mit Blick auf das Risikomanagement von Instituten hat die BaFin bis November 2019 zudem ein Merkblatt konsultiert (Konsultation 16/2019), das den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken thematisiert. Ziel ist es, Instituten eine Orientierung im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken anhand von Fragen und Antworten sowie Beispielen zu geben („Good-Practice-Ansätze“). Zwar soll die grundsätzliche Methodenfreiheit beim Risikomanagement der Institute (vgl. MaRisk bzw. KAMaRisk) nicht beschränkt werden, jedoch wird mit dem Merkblatt die „Erwartungshaltung“ der Aufsicht dokumentiert.
Trotz teilweise noch offener Grundsatzfragen ergibt sich daher Handlungsbedarf für Institute insbesondere in den folgenden Bereichen, für welche sich bspw. folgende Lösungsansätze ableiten lassen:
Chancen im Investmentbereich
Ziel des Sustainable Finance-Aktionsplans der EU-Kommission ist es, den Kapitalfluss auf nachhaltige Investitionen umzulenken, um nachhaltiges Wachstum zu erreichen. Durch die EU-Nachhaltigkeits-Taxonomie wird die Einordnung als nachhaltiges Investment ermöglicht. Hierdurch und durch die auf der Taxonomie aufbauenden EU-Normung nachhaltiger Investments sowie durch die weiteren vorstehend angesprochenen Maßnahmen (u. a. der freiwillige „EU Green Bond Standard“) besteht die Chance für Assetmanager, Nachhaltigkeitsprodukte sicherer zu strukturieren und sich neue Investorenkreise zu erschließen, die in nachhaltige Investments investieren wollen. Für an dem Thema Nachhaltigkeit interessierte Investoren besteht die Chance, eine zutreffende Auswahl zu treffen und „Greenwashing“-Produkte zu vermeiden.
Hinweis
Die vorstehend beschriebenen regulatorischen Maßnahmen zur Nachhaltigkeit haben bereits zur Auflegung einer großen Zahl verschiedener Investmentprodukte geführt: Green Bond, Green Loan, Grüne Hybridanleihe, Grüner Schuldschein und ESG-linked Bond.
Über die weiteren Entwicklungen zu Nachhaltigkeitsaspekten bei Instituten werden wir detailliert in den kommenden Ausgaben des novus Financial Services berichten.