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Steuerberatung

Nachträgliche Wahlrechtsausübung auf Vollverschonung bei Vorläufigkeitsvermerk?

FG Münster 14.2.2018, 3 K 565/17 Erb

Das Ge­setz re­gelt nicht, bis wann der Er­wer­ber den An­trag auf Voll­ver­scho­nung stel­len kann. Ins­be­son­dere er­gibt sich aus dem Ge­setz nicht, ob die Steu­er­fest­set­zung im Falle ei­nes Vorläufig­keits­ver­merks nach § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 bzw. 3 AO geändert wer­den kann. Dem­ent­spre­chend wer­den zu die­ser Frage un­ter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen ver­tre­ten.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger ist Al­lein­erbe des im Jahr 2012 ver­stor­be­nen Erb­las­sers. Zum Nach­lass gehörten u.a. Kom­man­dit­be­tei­li­gun­gen an drei GmbH & Co. KGs. Der Kläger reichte im Mai 2014 eine Erb­schaft­steu­er­erklärung ein. In der "An­lage Steu­er­ent­las­tung für Un­ter­neh­mens­vermögen (§§ 13a, 13b ErbStG)" gab er den Wert der vor­ge­nann­ten Be­tei­li­gun­gen an. Einen An­trag auf vollständige Steu­er­be­frei­ung nach § 13a Abs. 8 ErbStG stellte er zunächst nicht.

Dem­ent­spre­chend gewährte das Fi­nanz­amt einen Ver­scho­nungs­ab­schlag i.H.v. 85 % für die Be­tei­li­gun­gen. Der Be­scheid er­ging un­ter dem Vor­be­halt der Nachprüfung und ent­hielt einen Vorläufig­keits­ver­merk mit fol­gen­dem Wort­laut: "Die Fest­set­zung der Erb­schaft­steuer (Schen­kung­steuer) ist gem. § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AO im Hin­blick auf die durch das Ur­teil des BVerfG vom 17.12.2014 (1 BvL 21/12 - BStBl 2015 II S. 50) an­ge­ord­nete Ver­pflich­tung zur ge­setz­li­chen Neu­re­ge­lung in vol­lem Um­fang vorläufig. Sollte auf­grund der ge­setz­li­chen Neu­re­ge­lung die­ser Steu­er­be­scheid auf­zu­he­ben oder zu ändern sein, wird die Auf­he­bung oder Ände­rung von Amts we­gen vor­ge­nom­men".

Das Fi­nanz­amt stellte die Be­darfs­werte der Be­tei­li­gun­gen ge­son­dert fest und folgte da­bei den in der Steu­er­erklärung an­ge­ge­be­nen Wer­ten. Eben­falls ge­son­dert fest­ge­stellt wur­den die Sum­men der ge­mei­nen Werte des Ver­wal­tungs­vermögens so­wie des jun­gen Ver­wal­tungs­vermögens. Es änderte die Steu­er­fest­set­zung nach § 164 Abs. 2 aus hier nicht streit­be­fan­ge­nen Gründen und hob den Vor­be­halt der Nachprüfung auf. Der Vorläufig­keits­ver­merk blieb be­ste­hen.

Der Kläger be­an­tragte die vollständige Steu­er­be­frei­ung für Be­triebs­vermögen gem. § 13a Abs. 8 ErbStG, doch das Fi­nanz­amt lehnte den An­trag ab. Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab.

Die Gründe:
Die Erb­schaft­steu­er­fest­set­zung war nicht auf­grund des An­trags auf Voll­ver­scho­nung zu ändern.

Die Voll­ver­scho­nung wird nach § 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG nur gewährt, wenn das er­wor­bene Be­triebs­vermögen höchs­tens zu 10 % aus Ver­wal­tungs­vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG be­steht. Zu­dem darf die Summe der jähr­li­chen Lohn­sum­men über einen Zeit­raum von sie­ben Jah­ren nach dem Er­werb 700 % der Aus­gangs­lohn­summe nicht un­ter­schrei­ten (§ 13a Abs. 8 Nr. 1 ErbStG). Die Be­hal­tens­frist für das begüns­tigt er­wor­bene Vermögen beträgt sie­ben Jahre (§ 13a Abs. 8 Nr. 2 ErbStG).

Das Ge­setz re­gelt nicht, bis wann der Er­wer­ber den An­trag auf Voll­ver­scho­nung stel­len kann. Ins­be­son­dere er­gibt sich aus dem Ge­setz nicht, ob die Steu­er­fest­set­zung im Falle ei­nes Vorläufig­keits­ver­merks nach § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 bzw. 3 AO geändert wer­den kann. Auch die Ge­set­zes­begründung verhält sich zu die­ser Frage nicht. Dort heißt es le­dig­lich, dass der Er­wer­ber die Erklärung bis zur (for­mel­len) Be­stands­kraft der Steu­er­fest­set­zung ab­ge­ben kann (BT-Drs. 16/11107, S. 10). Dem­ent­spre­chend wer­den zu die­ser Frage un­ter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen ver­tre­ten.

Nach­dem die Fi­nanz­ver­wal­tung zunächst einen An­trag bis zum Ein­tritt der for­mel­len Be­stands­kraft der Fest­set­zung der Erb­schaft- oder Schen­kung­steuer für er­for­der­lich hielt, ver­tritt sie in den Erb­schaft­steu­er­richt­li­nien 2011 die Auf­fas­sung, dass der Er­wer­ber den An­trag grundsätz­lich bis zum Ein­tritt der ma­te­ri­el­len Be­stands­kraft der Fest­set­zung der Erb­schaft- oder Schen­kung­steuer stel­len kann. Da­bei bleibt of­fen, wann ein Be­scheid ma­te­ri­ell be­standskräftig wird.

Nach Auf­fas­sung der Ober­fi­nanz­di­rek­tion Karls­ruhe eröff­net ein Vorläufig­keits­ver­merk nach § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO dem Steu­er­pflich­ti­gen die Möglich­keit, auch noch nach Un­an­fecht­bar­keit der Steu­er­fest­set­zung einen An­trag auf Voll­ver­scho­nung zu stel­len. Da­ge­gen er­gibt sich nach Auf­fas­sung des Fi­nanz­mi­nis­te­ri­ums NRW aus einem sol­chen Vorläufig­keits­ver­merk keine Ände­rungs­be­fug­nis nach § 165 Abs. 2 AO. Auch in der Li­te­ra­tur wird teil­weise an­ge­nom­men, dass ein Vorläufig­keits­ver­merk nach § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 bzw. Nr. 3 AO dem Steu­er­pflich­ti­gen ermögli­che, nachträglich einen An­trag auf Op­ti­ons­ver­scho­nung zu stel­len.

Nach Auf­fas­sung des Se­nats lie­gen die Vor­aus­set­zun­gen für eine Ände­rung der Steu­er­fest­set­zung im vor­lie­gen­den Fall nicht vor. Da das Ge­setz nicht re­gelt, bis wann ein An­trag auf Voll­ver­scho­nung zu stel­len ist, rich­tet sich diese Frage nach den all­ge­mei­nen Grundsätzen. Aus dem gewähl­ten Vorläufig­keits­ver­merk er­gab sich hin­rei­chend klar, dass das Fi­nanz­amt die Be­stands­kraft nur für den Fall of­fen hal­ten wollte, dass sich die für den Streit­fall gel­tende Rechts­lage durch die ge­setz­li­che Neu­re­ge­lung, die auf­grund der BVerfG-Ent­schei­dung vom 17.12.2014 er­for­der­lich ge­wor­den war, ändert. Die Durch­bre­chung der Be­stands­kraft galt dem­nach nur für eine et­waige ge­setz­li­che Neu­reg­lung.

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