Neue Regeln zum Vorsteuerabzug bei unentgeltlichen Zuwendungen
Mit BMF-Schreiben vom 24.01.2024 hat sich die Finanzverwaltung durch eine Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) der Auffassung des BFH (Urteil vom 16.12.2020, Az. XI R 26/20 (XI R 28/17)) und EuGH (Urteil vom 16.09.2020, Rs. C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie) angeschlossen und erleichtert den Vorsteuerabzug bei unentgeltlichen Zuwendungen an Dritte bzw. reduziert den Anwendungsbereich der unentgeltlichen Wertabgabe. Zugleich wird die Veröffentlichung des BFH-Urteils im BStBl. II angekündigt.
Hintergrund
Mit Urteil vom 16.09.2020 (Rs. C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie) urteilte der EuGH, dass ein Vorsteuerabzugsrecht aus Ausbaumaßnahmen einer Gemeindestraße besteht, wenn eine Straße sowohl vom Steuerpflichtigen als auch der Öffentlichkeit genutzt wird und der Ausbau nicht über die betrieblichen Erfordernisse hinausgeht. Diese Rechtsprechung hatte der BFH mit Urteil vom 16.12.2020 (Az. XI R 26/20 (XI R 28/17)) bestätigt und gleichzeitig die Voraussetzungen näher definiert, wann trotz unentgeltlicher Übertragung keine Wertabgabenversteuerung zu erfolgen hat. Dabei gab er seine ältere Rechtsprechung auf.
Hinweis: Gemäß BMF-Schreiben vom 07.06.2012 (Az. VI D 2 - S 7300/07/10001:001) war bisher der Vorsteuerabzug aus Erschließungsmaßnahmen bei unentgeltlicher Weiterlieferung der Erschließungsanlagen auf die Gemeinde ausgeschlossen. Daher musste im Hinblick auf unentgeltliche Wertabgaben bisher umsatzsteuerlich zwischen der unentgeltlichen Lieferung und der unentgeltlichen Leistungserbringung unterschieden werden. Während (bisher) jede unentgeltliche Lieferung zu einer Wertabgabenbesteuerung und damit zum Vorsteuerausschluss führte, kam es zu dieser Rechtsfolge bei einer unentgeltlichen Leistungserbringung nur beim Vorliegen von außerbetrieblichen Gründen.
Mit der o. g. Entscheidung erkannte der BFH erstmals an, dass auch mittelbar verfolgte Zwecke für den Vorsteuerabzug ausreichend sein können.
Neues BMF-Schreiben
Grundsätzliche Bestätigung und Fortgeltung der Verwaltungsgrundsätze zu Erschließungsmaßnahmen
Mit dem nun vorliegenden Schreiben vom 24.01.2024 (Az. III C 2 - S 7109/19/10004 :001) bestätigt das BMF zwar zunächst die bisherigen, zuletzt mit BMF-Schreiben vom 07.06.2012 aufgestellten Grundsätze zum Vorsteuerabzug bei Erschließungsmaßnahmen. Die darin niedergelegten Grundsätze, die regelmäßig zum Vorsteuerausschluss führen, gelten unverändert fort. Denn die unentgeltliche Wertabgabe von Leistungen würde in den dortigen Fällen, so das BMF, im Regelfall zu einem unversteuerten Endverbrauch führen.
In Ausnahmefällen: Unionsrechtskonforme einschränkende Auslegung der Wertabgabenbesteuerung und Änderung des UStAE
Gleichwohl schließt sich die Finanzverwaltung der Rechtsprechung des BFH zum Vorsteuerabzug bei „mittelbarer" Veranlassung an und ändert den UStAE entsprechend:
Gemäß dem neu eigefügten A 3.2 Abs. 4 UStAE entfällt aufgrund einer einschränkend unionsrechtskonformen Auslegung der § 3 Abs. 1b und 9a UStG die Wertabgabenversteuerung, wenn kein unversteuerter Endverbrauch droht.
Ein unversteuerter Endverbrauch droht nicht, wenn
- die bezogene Eingangsleistung nicht über das hinausgeht, was erforderlich bzw. unerlässlich ist, um diesen Zweck zu erfüllen,
- die Kosten der Eingangsleistung (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind und
- der Vorteil des Dritten allenfalls nebensächlich ist.
Flankiert wird die Änderung durch Negativbeispiele als Folge von weiteren BFH-Urteilen, in denen ein unversteuerter Letztverbrauch droht. Danach führt bspw. die Abgabe von bürgerlicher Kleidung an Arbeitnehmer grundsätzlich zur unentgeltlichen Wertabgabe (vgl. BFH-Urteil vom 24.08.2022, Az. XI R 3/22) wie auch Zuwendungen an das Personal im Rahmen von Betriebsveranstaltungen, wenn diese ausschließlich dem privaten Bedarf der Betriebsangehörigen dienen und über Aufmerksamkeiten hinausgehen (vgl. BFH-Urteil vom 10.05.2023, Az. V R 16/21). Dies ist regelmäßig dann gegeben, wenn die 110 EUR-Freigrenze überschritten wird (vgl. weitere Details hierzu in novus August/September 2023, S. 19).
Die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs trotz unentgeltlicher Übertragung in Folge der o. g. EuGH-Rechtsprechung in der Rs. Mitteldeutsche Hartstein-Industrie und die hierzu geänderte Verwaltungsauffassung finden sich nunmehr in der Ergänzung von A 15.2b Abs. 2 Satz 3 UStAE und dem neu eingefügten Abs. 2a. Zunächst werden darin die oben aufgezählten Voraussetzungen wiederholt. Sind diese erfüllt, reicht nunmehr insoweit eine mittelbare Veranlassung für den Vorsteuerabzug aus. In der Folge konkretisiert das BMF die einzelnen Voraussetzungen unter denen zukünftig ein Vorsteuerabzug ausnahmsweise möglich ist:
- Ein Leistungsbezug ist dann erforderlich und unerlässlich, wenn der Unternehmer seine wirtschaftliche Tätigkeit ohne diese Leistung nicht ausführen oder fortführen könnte (A 15.2 Abs. 2a S. 3 UStAE).
- Eine rechtliche Verpflichtung, bspw. behördliche Auflage allein genügt jedoch nicht.
- Geht der Leistungsbezug über das Erforderliche hinaus, ist der Vorsteuerabzug nur anteilig möglich und eine Aufteilung des Vorsteuerabzugs ggf. analog A 15.17 UStAE vorzunehmen. Hierzu wurden flankierend erläuternde Beispiele aufgenommen.
Anwendung in allen offenen Fällen
Das BMF-Schreiben ist in allen offenen Fällen anzuwenden. Die Regelungen im BMF-Schreiben vom 07.06.2012 sind weiter anzuwenden, soweit mit dem nun vorliegenden BMF-Schreiben keine abweichende Regelung getroffen wurde.
Was bedeutet dies für Sie in der Praxis?
Die Anerkennung der Mitteldeutsche Hartstein-Rechtsprechungsgrundsätze durch die Finanzverwaltung ist zu begrüßen.
Betroffene Unternehmer können damit auch für die Vergangenheit ganz oder teilweise den Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit Erschließungsmaßnahmen begehren, soweit die Voraussetzungen erfüllt sind. Ebenso könnte in einzelnen Fällen ein Vorsteuerabzug bei aus unternehmerischen Gründen ohne Entgelt abgegebenen Gegenständen (z. B. Blutzuckermessgeräte, die nachzukaufende Teststreifen erfordern) möglich sein.
Zu beachten ist jedoch, dass das BMF-Schreiben nicht als Freifahrtschein verstanden werden darf, dass zukünftig in allen Fällen der Vorsteuerabzug uneingeschränkt möglich ist. Nur wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, erkennt die Finanzverwaltung nun den Vorsteuerabzug an. Insofern ist neben der Überprüfung der Voraussetzungen auch auf eine ausreichende Dokumentation zu achten.
Dienen die Maßnahmen nicht allein vorwiegend unternehmerischen Belangen, ist ein Vorsteuerabzug grundsätzlich nur anteilig möglich. Idealerweise werden daher z. B. Gewerke separat beauftragt. Soweit dies nicht möglich ist, ist eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge anhand eines geeigneten Aufteilungsmaßstabes vorzunehmen. Auch insoweit ist wieder an eine geeignete Dokumentation zu denken.