Im Rahmen der Wissensplattform des Handelsblatts „Managing the New Normal“ stellten sich in einem Webtalk am 15.09.2021 Dr. Eva Oertel, Leiterin des Referats für internationales Steuerrecht im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Markus Braun, Director Tax der ElringKlinger AG, sowie Dr. Sven Christian Gläser, Rechtsanwalt, Steuerberater und Partner bei Ebner Stolz, den Fragen von Benjamin Hils von der Handelsblatt Media Group GmbH.
Dabei wurde deutlich, dass Unternehmen unter der zunehmenden Regulatorik leiden, technologische Lösungen enorme Möglichkeiten bieten, aber die Finanzverwaltung hier noch einige Aufgaben zu meistern hat, und der zunehmende Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern - Stichwort „War for talents“ - alle drei Diskutanten aus Industrie, Finanzverwaltung und Beratung vor große Herausforderungen stellt. Einigkeit konnte darin erzielt werden, dass Betriebsprüfungen künftig mit einem neuen Mindset angegangen werden sollten. Mehr Kommunikation, mehr Offenheit, mehr Vertrauen - darin, so das Ergebnis der Diskussion, liegt der Schlüssel.
Doch wie soll diese Erkenntnis praktisch umgesetzt werden? Wir sprachen dazu im Nachgang mit Markus Braun und Dr. Sven Christian Gläser und zeigen einen ersten Lösungsansatz aus Unternehmens- bzw. Beraterperspektive auf.
Herr Braun, wie sehr werden aus Ihrer Erfahrung heraus die personellen Ressourcen durch Betriebsprüfungen gebunden?
Markus Braun: Grundsätzlich ist eine der Hauptaufgaben jeder Steuerabteilung, sich auf die steuerliche Betreuung der Geschäftsprozesse und des Businessmodells zu konzentrieren. Die zunehmende Regulatorik von Meldepflichten und steigenden Compliance-Anforderungen stellen in diesem Zusammenhang eine große Herausforderung dar. Aus meiner langjährigen Erfahrung bei unterschiedlichen Konzernen stellt sich vor allem heraus, dass Betriebsprüfungen, die sich teilweise über Jahre hinziehen und bei denen der Prüfer peu à peu Informationen und Daten abfragt, enorm viel Arbeitskraft binden.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich auf Seiten der Betriebsprüfung ein Generationenwechsel vollzieht. Es ist zu hoffen, dass bereits im Rahmen früherer Betriebsprüfungen erlangte Informationen an die neuen Prüfer weitergegeben werden und diese nicht wieder von Null anfangen. Andernfalls rechne ich mit einer enormen Mehrbelastung für Konzernsteuerabteilungen.
Wie könnte aus Ihrer Sicht eine Verbesserung erzielt werden?
Markus Braun: Betriebsprüfungen sollten wie Projekte aufgezogen und umgesetzt werden können. Sowohl für die Unternehmen als auch für die Prüfer wäre es deutlich einfacher, die Prüfung in Themenfelder einzuteilen, deren Bearbeitung mit klaren Zeitschienen verknüpft sind, verbindlich für beide Seiten. Dadurch könnten wir die Vorbereitung besser steuern, der Informationsaustausch wäre klarer und Ergebnisse lägen sicher deutlich schneller auf dem Tisch.
Herr Gläser, Sie betreuen zahlreiche Unternehmen in Betriebsprüfungen. Könnte der Ablauf der Prüfungen durch mehr Kommunikation, Zeitschienen, Kooperation mit den Prüfern verbessert werden?
Dr. Sven Christian Gläser: Leider setzen sich die Betriebsprüfer oftmals nicht ausreichend mit dem jeweiligen Geschäftsmodell des Unternehmens auseinander. Dadurch sind abweichende Bewertungen steuerlicher Sachverhalte vorprogrammiert. Tatsache ist aber: In mittelständischen Unternehmen spielen steuerliche Motive bei strategischen Unternehmensentscheidungen und erst recht im Alltagsgeschäft in der Regel nur eine deutlich untergeordnete Rolle. Den Unternehmen grundsätzlich Steuervermeidungstaktiken zu unterstellen, ist schlichtweg verfehlt. Da gehen Prüfer oftmals mit einer ausschließlich durch die steuerliche Brille geprägten Einstellung in die Unternehmen. Hier könnte helfen, bereits in der Ausbildung der Betriebsprüfer betriebswirtschaftliches und unternehmerisches Denken zu schulen.
Als problematisch sehe ich auch, dass es Betriebsprüfern nicht selten (nur) darum geht, ein Mehrergebnis zu erzielen. Sachliche Erwägungen geraten dabei allzu oft in den Hintergrund. Das ist meines Erachtens der falsche Fokus. Entscheidend ist doch die richtige, jedenfalls vertretbare Besteuerung, welche durch ein Nullergebnis keineswegs in Frage gestellt wird. Idealerweise haben die Beteiligten bereits im Vorfeld alles richtig gemacht. Hier sollte sich das Mindset der Finanzverwaltung ändern.
Wenn wir dann auch noch erreichen, dass - wie von Herrn Braun bereits angesprochen - Betriebsprüfer zeitnah entscheiden, die Kommunikation und Kooperation zwischen Prüfer und Unternehmen bzw. Berater verbessert wird, würde das ganz klar zu einem Plus in Sachen Ablauf, Geschwindigkeit und auch Ergebnis der Betriebsprüfung führen. Nur leider haben wir dazu keine gesetzlichen Vorgaben, etwa in der Abgabenordnung oder verwaltungsinterne Anweisungen der Finanzbehörden. Wie reibungslos eine Betriebsprüfung abläuft, hängt damit letztlich vom konkreten Prüfer und der konkreten Zusammenarbeit mit dem Unternehmen und uns Beratern ab. Wünschenswert, wohl auch notwendig, wären hier klare Regelungen, entweder durch die oberen Finanzbehörden oder durch den Gesetzgeber. Ehrlicherweise wird man aber sagen müssen, dass Softskills nur bedingt vorgeschrieben werden können.
Abgesehen vom Faktor Mensch, ließe sich denn nicht auch durch die Digitalisierung der Ablauf von Betriebsprüfungen verbessern?
Dr. Sven Christian Gläser: Wir könnten da auf einen bereits vorhandenen Lösungsansatz bauen. Tax Compliance Management Systeme (TCMS) werden derzeit schon in vielen Unternehmen eingesetzt. Von Seiten des Gesetzgebers bzw. der Finanzverwaltung beschränkt sich deren Berücksichtigung aber auf die strafrechtliche Entlastung im Falle von etwaigen steuerrechtlichen Verstößen. Ein solches TCMS, ggf. sogar zertifiziert durch einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, wäre prädestiniert, auch bei der Betriebsprüfung zu unterstützen. Dabei könnte geprüft werden, ob die zutreffende Behandlung steuerlicher Sachverhalte systemisch sichergestellt ist. Ist dies der Fall, würde sich in den meisten Fällen eine Prüfung einzelner Sachverhalte erübrigen. Einen ähnlichen Weg geht man derzeit auch auf internationaler Ebene. Das sog. ICAP-Projekt (International Compliance Assurance Program) auf OECD-Ebene sieht eine vorgelagerte Risikoeinschätzung im Rahmen einer Vorprüfung vor. Nur wenn in diesem Rahmen ein Risiko erkannt wird, ist eine weitere Prüfung vorgesehen. In ähnlicher Weise würde auch die Idee einer Systemprüfung auf Basis eines TCMS funktionieren.
Markus Braun: Das käme doch beiden Seiten zugute. Können aufwendige und sich in Details verlierende Einzelfallprüfungen durch eine Systemprüfung weitgehend ersetzt werden, könnte die Geschwindigkeit der Prüfung deutlich erhöht und auf beiden Seiten der Arbeitsaufwand reduziert werden. Zudem sollten auch die der Finanzverwaltung aus zahlreichen Meldepflichten bereits vorliegenden Informationen und Daten im Rahmen von Betriebsprüfungen genutzt werden, um schneller zu Ergebnissen zu kommen. Dazu bräuchte es dann aber auch umfassende technologische und nicht an den Grenzen des jeweiligen Bundeslandes halt machende Lösungen.
Sie sehen aber durchaus die Möglichkeit, in absehbarer Zeit zu einer Verbesserung der Abläufe von Betriebsprüfungen zu kommen?
Markus Braun: Die Diskussion hierzu ist längst angestoßen. Aus Sicht der Unternehmen muss sich hier dringend eine Verbesserung ergeben. Wie gesagt, Steuerabteilungen sind permanent mit Regulatorik und Compliance beschäftigt. In Zeiten eines geradezu disruptiven Wandels des Wirtschaftslebens ist es aber wichtiger denn je, dass sich die Steuerexperten im Unternehmen stärker, intensiv und proaktiv mit steuerlichen Belangen durch neue Geschäftsfelder und Veränderungen am Markt befassen können.
Dr. Sven Christian Gläser: Es ist sicherlich Aufgabe aller Beteiligten einer Betriebsprüfung, für ein gutes und konstruktives Arbeitsklima zu sorgen. Allein auf den Faktor Mensch und auf Softskills zu setzen, dürfte freilich nicht in der Breite zu einem baldigen Resultat führen. Aber mit den Möglichkeiten der Digitalisierung und insb. der besseren Nutzung eines TCMS sollte ein Schwenk hin zu mehr Systemprüfungen und zu weniger Klein-klein möglich sein. Auch hat sich die Bundessteuerberaterkammer mit einer Eingabe zur Verbesserung der steuerlichen Betriebsprüfung an das BMF gewandt. Darum bin ich zuversichtlich, dass wir bald ergebnisorientiertere und schnellere Betriebsprüfungen erleben werden.